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Krankheit hat viele Ursachen

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Zwei kurze Beispiele aus meiner Tätigkeit als Kardiologe sollen verdeutlichen, wie ich mit der Zeit immer stärker merkte, dass der Schlüssel zu Krankheit und Heilung – und zwar bei Weitem nicht nur zur seelischen Heilung –, in der genauen Kenntnis unserer Gefühle steckt. Die erste Schlüsselszene ereignete sich im Jahr 2000. Ich arbeitete in einem Herzzentrum und im Grunde war der 39-Jährige, mit dem ich dort zu tun hatte, ein Routinefall – auch wenn 39 eigentlich kein Alter war, in dem man normalerweise mit einem Herzinfarkt rechnet. Dieser Mann jedoch war rechtzeitig in die Klinik gekommen, sein Infarkt lag erst etwa zwei Stunden zurück, sodass wir handeln konnten.

Innerhalb von nur 90 Minuten gelang es unserem Team, ein fast völlig verschlossenes Blutgefäß mit einem Katheter, einer so- genannten Ballondilatation und dem Einbau eines Stents stabil wieder zu eröffnen. Zum Glück war es noch zu keiner dauerhaften Schädigung des Herzgewebes gekommen. Fast alles funktionierte wieder wie zuvor. Für mich als Mediziner war damals das erwünschte therapeutische Ergebnis erreicht. Aber sollte es damit wirklich schon getan sein?

Vier Tage später begegnete ich dem Mann im Park der Klinik, in seiner Hand: eine Zigarette. Wenige Tage, nachdem er dem Tod ins Auge geblickt hatte, frönte er den alten Gewohnheiten und fand sichtlich nichts Besonderes dabei. Offenbar war das Rauchen für ihn ebenso selbstverständlich wie in der Zeit vor dem Infarkt.

Ich war mehr als irritiert, denn hier passten die Dinge nicht zusammen. Ganz offensichtlich reichte es dem Patienten, dass wir an seinem Körper eine »Reparatur« vorgenommen hatten und zunächst einmal alles wieder so funktionierte wie vor dem Herzinfarkt. Ich jedoch spürte, dass mich dieser Vorgang in meinem ärztlichen Selbstverständnis zutiefst berührte. War ich nur der Meister in einer Reparaturwerkstatt? Genügte es, Funktions- fähigkeit wiederherzustellen und dann den Blick am Tellerrand abzuwenden? Oder lohnte es sich doch, weiter über diesen hi-nauszublicken, als das bisher der Fall gewesen war? Mehr noch: Musste ich nicht sogar darüber hinausblicken, um meinem medizinischen Anspruch auf Heilung wirklich gerecht zu werden?

Ich fühlte mein ärztliches Selbstverständnis grundsätzlich in Frage gestellt. Offenbar war es weder mir noch dem Patienten gelungen, die Weichen auf eine wirkliche Heilung zu stellen. Diese ist nämlich etwas ganz anderes, als rein symptomorientierte Reparaturarbeiten. Ich rief mir andere Beispiele aus der Vergangenheit in Erinnerung und stellte fest, dass dieser Fall gar nicht einmal so selten vorkam. Patienten wurden als gesund entlassen, weil der körperliche Schaden behoben worden war. In ihrem Gefühl für sich selbst jedoch hatte sich offenbar nichts geändert, sodass die nächste gesundheitliche »Panne« und der entsprechende neuerliche Besuch in der Reparaturwerkstatt vorprogrammiert schienen.

Der scheinbar simple Fall war für mich wie ein Startschuss. Ich weiß nicht, warum es ausgerechnet dieser eine Patient war, der ein solch einprägendes Erlebnis hervorrief, aber er geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Offenbar war mein Geist in diesem Moment bereit, eine neue Bewusstseinsstufe zu erklimmen. Dafür bin ich dem rauchenden Infarktpatienten im Nachhinein fast ein wenig dankbar.

Gesundheit ist auch Gefühlssache

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