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Zum Kaffee bei Sarah

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Ich habe Sarah am Telefon erreicht, sie hat heute Abend Zeit für mich. Sarah wohnt wie wir in Sausalito. Zu Fuß sind es nur zwei Straßenzüge, die ich schnell zurücklege. Als hätte sie auf mich gewartet, öffnet sie mir sofort die Tür, als ich klingele. Es ist ein herzliches Wiedersehen, und ich mache es mir auf ihrer Couch richtig bequem. In der Hand halte ich kurz darauf eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Wir plaudern ein Weilchen, bis ich zum Thema komme: „Ich habe Angst um John. Er will sich ein neuronales Implantat mitten ins Gehirn einpflanzen lassen. Er ist der Erste, bei dem das versucht wird. Es ist ein Implantat, das bewusstseinserweiternd wirken soll.“

„Das kann man doch jetzt noch gar nicht wissen, wenn er der Erste ist?“, denkt Sarah laut.

„Man weiß eigentlich so gut wie noch gar nichts. Man vermutet, dass Lernen mit diesem Implantat nicht mehr nötig sein wird, weil in dem Implantat schon alles abgespeichert sei, was man nur lernen kann. Von künstlicher Intelligenz ist die Rede. John spricht vom neuen Menschen, der durch die Verbindung mit der neuen Technik geschaffen wird. Sarah, ich habe so sehr Angst, dass John sich verändert und dass ich am Ende nicht mehr mit demselben Mann zusammen bin. John ist von diesem Projekt so eingenommen. Er ist so berauscht von der Entwicklung bei Biophysical Implants, dass er sich von mir gar nicht mehr warnen lassen will. Was kann ich nur tun?“

– Ich sehe, wie Sarah tief einatmet: „Jetzt hast du mir erst einmal dein Herz ausgeschüttet. Und jetzt sehen wir zusammen weiter.“ – Sarah schenkt mir Kaffee nach. Dann setzt sie fort: „Ich verstehe von neuronalen Implantaten, Technik und Medizin zu wenig, um dir einen Rat zu geben. Aber so viel weiß ich, dass es hier um eine ethische und moralische Frage geht. Sprich doch mal mit Pastor Tim. Er hat immer einen weisen Rat.“

„Das ist ja eine gute Idee!“, antworte ich. Nach einer kurzen Pause erzähle ich meiner Freundin auch das: „Seit mir John von seinem Vorhaben berichtet hat, träume ich jede Nacht ganz intensiv einen Traum. Ich träume so intensiv, dass ich früh morgens mitten im Traum aufwache. Ich habe John von dem Traum schon erzählt, aber er kann mit ihm nichts anfangen.“ – „Ja, kannst du dich denn an den Inhalt des Traums erinnern?“ – „Ja. Jedes Detail. Ich sehe auch jetzt, in meiner Erinnerung, alles ganz deutlich vor mir. Wie ein Bild. Wie einen Film.“ – „Was ist das?“ – „Ich träume, ich stehe in einem Wasserstrom. Im ersten Traum stand ich nur mit meinen Füßen im Strom. Dann ging von Traum zu Traum das Wasser höher. Erst bis zu meinen Knien. Zuletzt bis zu meiner Hüfte.“

„Erzähle Pastor Tim auch von diesem Traum“, rät mir Sarah.

„Ja, ich nehme jede Hilfe an, die ich jetzt bekommen kann. Wir müssen John klar machen, auf welches Risiko er sich einlässt. Zeit ist nicht mehr viel. Diese Woche wird der individuelle XEQ-Chip schon für ihn angefertigt und programmiert. Nächste Woche könnte schon die Operation stattfinden.“

„Hoffentlich kommt es nicht so weit“, gibt Sarah zurück.

„Dann rufen wir Pastor Tim doch sofort an.“

„Ja, Laura, vielleicht hat er Zeit und kann gleich hierher kommen.“ – Sarah greift zu ihrem Telefon. Sofort hat sie ihn am Apparat: „Guten Abend, Pastor Tim? Hallo. Hier ist Sarah. Hättest du Zeit für ein seelsorgerliches Gespräch? … Jetzt? … Könntest du denn kommen? … Danke. Bis später.“ – Sarah beendet das Gespräch und wendet sich mir wieder zu: „Ja. Er hat Zeit. Pastor Tim ist gleich hier.“

Wir trinken unseren Kaffee. Schweigend. Ich habe Herzklopfen. Wird mir Tim helfen können? Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er nicht helfen kann. Unser Pastor hat immer eine Idee. Immer ein Wort. Immer einen Ausblick. Trotzdem gehen die Gefühle in mir wild durcheinander, wenn ich an John denke.

Da klingelt es auch schon an der Tür. Es ist Tim. – Der gut durchtrainierte Pastor mit dem kurzen gepflegten Bart betritt den Raum mit viel Schwung. Über seiner Jeans trägt er locker ein Hawaiihemd: „Guten Abend, Sarah. Guten Abend, Laura. Kriege ich auch einen Kaffee? Also: Was kann ich für euch tun? Ich bin für euch da.“

Ich bin vollkommen überwältigt, dass mein Pastor jetzt für mich hier ist. Und ich ihm alles von der Seele weg erzählen kann. Warum bin ich nicht schon früher auf Pastor Tim gekommen? Jetzt spreche ich aufgeregt und schnell: „John will sich in seiner Firma ein neuronales Implantat mitten ins Gehirn setzen lassen. Ins Tor zum Bewusstsein. Angeblich wirkt das Implantat bewusstseinserweiternd und angeblich hat es künstliche Intelligenz. Tim, ich habe solche Angst, dass das John vollkommen umkrempelt und ich ihn bald nicht mehr wiedererkenne. John spricht vom optimierten Menschen, vom optimierten Denken und vom optimierten Handeln. Er sieht das Risiko einfach nicht. Und ich habe Angst. So viel Angst, Pastor Tim.“

Sarah ergreift das Wort: „Und Laura hat, seit John ihr von der anstehenden Operation erzählt hat, immer wieder einen Traum. Laura, erzähle einmal.“

– Doch Tim geht auf Sarah gar nicht ein. Stattdessen fragt er mich sachlich: „Welche Erfahrung hat Johns Arbeitgeber mit diesen Implantaten?“

„Keine, Tim. John ist der Erste, an dem das Implantat erprobt werden soll. Wir wissen ja gar nicht, was auf uns zukommt.“

Die Miene des Pastors wird jetzt sehr ernst, als er antwortet: „Ich bin kein Arzt. Und auch kein Computeringenieur. Aber so viel ist sicher: jede Operation ist ein Eingriff in den Körper, der auch die Psyche und den Geist verändern kann. Körper, Psyche und Geist sind im Menschen untrennbar miteinander verbunden. Änderst du eins, änderst du alles. Jeden Aspekt. Ganz sicher wird sich deshalb auch die Psyche von John nach dem Eingriff verändern. Er wird nicht derselbe bleiben. Deine Befürchtungen sind berechtigt. Wenn das Implantat sein Bewusstsein und sein Handeln verändert, dann wird auch eure Beziehung nicht dieselbe bleiben, Laura. Ich verstehe deine Angst gut. Sie ist begründet. Soll ich einmal von Mann zu Mann mit John sprechen?“

Mein Herz schlägt wie wild: „Ich nehme deine Hilfe natürlich an. Ja, bitte sprich mit John. Bald. Nächste Woche kann es schon zu spät sein.“

Pastor Tim kramt in seiner Westentasche und zückt dann seinen Terminkalender: „Hmm“, brummt er und kratzt sich an seinem Hinterkopf: „Heute Abend habe ich einen Termin, den ich nur ungern verschieben möchte…“

„Bitte, Pastor Tim. Jeder Tag, jede Stunde ist jetzt kostbar.“ – Ich bin jetzt sehr aufgeregt. Ich lege meine Hände vor meinen Mund und sage gar nichts mehr. Ich bin jetzt ganz Auge, um zu sehen, was Pastor Tim tut. Ich bin ganz Ohr, um zu hören, was Pastor Tim sagt.

Eine Pause. Er denkt. Ich schaue. Dann setzt er sich nach hinten in seinen Sessel: „OK. Ich gebe den Termin an meinen Co-Pastor ab. Ich verstehe, dass es hier um viel geht…“

„Um alles, Pastor Tim. Um alles!“

„Ich rufe jetzt John an. Kannst du mir die Nummer von seinem Mobiltelefon geben?“, bittet Tim.

Ich nehme mein Mobiltelefon aus meiner Handtasche und rufe Johns Nummer ab. Tim ruft ihn an. Er erreicht ihn: „Kann ich heute Abend mit dir sprechen? Es ist wichtig … Über deine Arbeit … Ja, mit deiner Frau habe ich schon gesprochen … Das hat mit der Kirche nichts zu tun? Aber mit dir und Laura hat es etwas zu tun. Ich möchte deine Frau in dieser Zeit unterstützen. Und dich auch, wenn du es möchtest … Ja, ich weiß, dass eine schwierige Operation bei dir ansteht … Du weißt nicht, was das bringen soll? Lass uns einfach offen miteinander sprechen, und lass uns schauen, in welche Richtung das Gespräch geht … Im Supermarkt bist du? Wann bist du wieder zuhause? … In einer Viertelstunde? OK. Dann bin ich in einer Viertelstunde bei dir. Danke. Bis gleich.“ – Tim wendet sich mir wieder zu: „Er ist zumindest zu einem Gespräch bereit.“

– Jetzt kehrt eine kleine Pause in unserer Unterhaltung ein. Da fällt mir mein Traum ein. – „Ich träume seit drei Tagen immer ganz intensiv einen Traum. Ich stehe in einem Wasserstrom. In der ersten Nacht ging der Strom bis zu meinen Knöcheln. In der zweiten bis zu meinen Knien. Im letzten Traum ging das Wasser bis zu meiner Hüfte.“

„Woher kommt denn das Wasser? Hast du die Quelle gesehen?“, fragt Tim in seiner typischen Art, einer Sache auf den Grund zu gehen.

„Es kommt aus einer Wand. In einem Haus.“

„Gibt es noch ein Detail, an das du dich erinnerst?“ – Tim schaut mir direkt in die Augen.

„Nein. Das ist alles.“

„Laura, ich bin mir noch nicht im Klaren, in welche Richtung der Traum geht. Lass es mich wissen, wenn du wieder diesen Traum hattest.“ – Pastor Tim schaut auf seine Uhr: „Bleibst du bei Sarah?“, fragt er mich, „ich möchte mit John gerne allein sprechen.“

„Ja. Ich bleibe hier.“

„Dann betet ihr zwei, während ich mit John spreche. Wir müssen jetzt alle Hebel bewegen. Dazu gehört auch das Gebet.“

„Ja, Pastor Tim“, antwortet Sarah sofort, und ich nicke dankbar.

Ich bin aufgeregt. Wie wird das Gespräch wohl werden?

„Jetzt rufe ich erst einmal meinen Co-Pastor an, dass der meinen Termin in der Kirche heute Abend übernimmt…“, brummelt Tim vor sich hin, als er das Haus verlässt, um zu John hinüber zu gehen.

Deep Dream

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