Читать книгу Deep Dream - Rüdiger Marmulla - Страница 8
Die Revision
Оглавление„Wenigstens ein EKG hängen wir an“, forderte Stephen.
„Bitte, du weißt doch sicher noch, wie das geht“, raunzte Michael zurück.
Stephen verdrehte die Augen. Für ihn, als Neurochirurg, lag es Jahrzehnte zurück, dass er das letzte Mal ein EKG selbst angelegt hatte. Das Sicherheitspersonal hatte dem Mann inzwischen das Hemd ausgezogen. Auf seiner Brust waren die Stellen, die bereits bei der Implantation für das EKG freirasiert worden waren, noch sichtbar. Ein bisschen waren die Haare schon nachgewachsen. Soviel eben in einer Woche wächst. Stephen legte die Saugnäpfe mit den EKG-Elektroden an, nachdem er die Haut mit Desinfektionsmittel angefeuchtet hatte. Drei Elektroden auf der Brust. Dann legte er noch eine Blutdruckmanschette am Oberarm an. Kurz darauf war nach Einschalten des Geräts das beruhigende Piepen des Monitors zu hören.
Unterdessen richtete Stephens OP-Schwester den Tisch steril an. Es passte Michael überhaupt nicht, dass Stephen seine eigenen Leute aus New York mitgebracht hatte. Aber Stephen bestand auf seine eigene OP-Schwester und seinen eigenen OP-Springer. Auch sein eigenes Instrumentarium hatte er mitgebracht. Stephen hasste es, wenn ihm unvertraute Instrumente in der Hand lagen. Mit einer Mayfield-Klemme fixierte der Springer den Kopf des Mannes am OP-Tisch. Als nächstes applizierte Stephen eine schützende Salbe auf die Augen des Patienten. Danach desinfizierte der Neurochirurg mit einem Tupfer in einer Kornzange das Gesicht des Mannes. Dazu war der Tupfer mit einer braunen Flüssigkeit getränkt, die Stephen immer wieder aus einem sterilen silberfarbenen Gefäß aufnahm. Braun getränkte Tamponaden wurden in beide Nasengänge eingelegt. Mit einem neuen, trockenen Tupfer reinigte Stephen das Gesicht von der braunen Flüssigkeit. Dann zog er die Tamponaden wieder aus den Nasengängen. Er legte OP-Mantel und Handschuhe an. Zusammen mit der OP-Schwester deckte er den Patienten mit einem grünen sterilen Tuch ab. Die Nase blieb frei. Der Neurochirurg schaltete sofort die Visualisierung über sein Opticus-Implantat ein. So sah er in seinem Gesichtsfeld sowohl das Gehirn mit dem Thalamus als auch das Implantat. Als erstes drang er mit einer langen Zange in den linken Nasengang ein und entfernte den Knochendeckel an der Schädelbasis. Anschließend löste er die harte Leichenhirnhaut, mit der er vor einer Woche das Gehirn verschlossen hatte. Eine noch längere Zange hatte ein Arbeitsende, das mit einer Glasfasernavigation geortet wurde. Der Neurochirurg konnte die Spitze dieses Instruments in seiner Opticus-Projektion visualisieren. Er drang mit dem Instrument über den linken Nasengang tief in das Gehirn des Patienten ein. Er sah, dass die Instrumentenspitze unmittelbar vor dem Implantat lag.
– Nicht ohne Sarkasmus schaltete sich Michael ein: „Über diesen Zugang haben die Ägypter das komplette Gehirn ihrer Pharaonen entfernt. Sieh zu, dass du nur das Implantat entfernst. Lass das Gehirn diesmal drin.“ – Michael lachte über seinen eigenen Witz.
Stephen konnte sich nicht konzentrieren. Behutsam zog er die Zange wieder aus dem Nasengang. Dann stand er ruhig von seinem OP-Stuhl auf, wandte sich zu Michael. Und brüllte so laut, dass es noch zwei Räume weiter durch die geschlossenen Türen zu hören war: „Raus!!!“
– Michael verstand, dass für ihn hier im Operationsaal kein Platz mehr war. Er verließ den Saal. Stephen nahm wieder Platz und setzte seine Arbeit fort. – „So ein Idiot“, dachte er laut.
„Er ist ein Genie“, schaltete sich eine der Frauen aus dem Sicherheitsdienst ein.
„Dann ist er eben ein genialer Idiot. Und jetzt ist hier Ruhe im Saal. Wer hier noch ein Wort quatscht, fliegt raus!“
– Der kräftige OP-Springer positionierte sich vor dem Sicherheitsdienst und ließ keinen Zweifel daran, dass er dafür sorgen würde, dass jetzt hier die Ruhe einkehrte, die der Neurochirurg einforderte.
Wieder führte Stephen die navigierte Zange unter visueller Überwachung der Instrumentenspitze ins Gehirn ein. Nach einigen wenigen kontrollierten Bewegungen des Instruments packte er mit der Zangenspitze zu. Langsam zog er das Instrument durch die Nase wieder heraus. An der Spitze befand sich der Chip, der im vorderen Teil wie faseriges blutrotes Fleisch aussah und im hinteren Teil aus einem kleinen schwarzen Kohlefaserkästchen bestand. Auf dem Kästchen stand in schmalen Lettern der Schriftzug „XEQ | Biophys. Impl. Inc. | San Francisco, CA“.