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Traum in der Nacht
ОглавлениеEs riecht nach frischem Kaffee und Toastbrot aus der Küche. Ich muss noch einmal eingeschlafen sein. Vier Uhr nachts war es, als ich von einem seltsamen Traum erwachte. Er wirkte sehr real. Ich kann mich an jedes Detail des Traums erinnern. – John bereitet schon das Frühstück vor. Das ist seine Spezialität. Ich höre ihn in der Küche laut und fröhlich hantieren. Das ist lieb von ihm. Also stehe ich eilig auf, um ihm von meinem Traum zu erzählen. Unser Haus am Berghang ermöglicht vom Esstisch aus einen freien Blick auf die Bucht von San Francisco. Tiefblau erscheint das Wasser, ein einzelnes Segelboot ist so früh am Morgen schon in der Bucht unterwegs.
„Guten Morgen“, begrüße ich ihn.
„Einen herrlichen guten Morgen“, gibt John schwungvoll zurück. In seiner hellblauen Jeans und dem weißen T-Shirt sieht er sehr jungenhaft aus. Niemand würde ahnen, dass er mit seinen 25 Jahren schon so viel berufliche Verantwortung trägt.
Ich sehe, dass er sich sehr wohlfühlt, geradezu beschwingt sieht er aus. Er gibt mir einen Kuss, streichelt mit seinen Händen behutsam mein Gesicht, und ich setze mich zu ihm an den Tisch. Alles hat er schon vorbereitet. Ich spreche für mich kurz ein Gebet – dann greife ich zu. Kaffee. Butter. Marmelade. Toastbrot. Was braucht man mehr? Ich habe den ersten Bissen von meinem Toast noch nicht richtig geschluckt, da platzt es aus mir heraus: „Willst du wissen, was ich heute Nacht geträumt habe?“
„Ja, Laura. Selbstverständlich. Du kannst es ohnehin nicht für dich behalten“, gibt John lachend zurück.
„Ich habe von einem Bach geträumt. Ich stand bis zu meinen Knöcheln im Strom des Wassers. Ich ging den Strom aufwärts. Ich ging dahin, wo das Wasser herkam. Da entdeckte ich, dass das Wasser aus einer gemauerten Wand kam. Es war irgendein Gebäude. Ich erlebte ganz intensiv, wie das Wasser meine Füße umfloss.“
„Hast du noch mehr geträumt?“, hakt John nach.
„Nein. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Aber alles fühlte sich so wirklich an. So etwas habe ich noch nie erlebt. Alles fühlte sich so intensiv an, dass ich direkt aus dem Traum wach wurde.“
John schaut mich an, als erwarte er noch mehr Information. Aber mehr kann ich nicht sagen. Nur eine Frage beschäftigt mich: „Hat das alles etwas zu bedeuten?“
„Keine Ahnung“, antwortet er.
„Und es war so seltsam, dass der Strom aus einer Wand herauskam. Eine Wand kann doch nicht die Quelle eines Wasserstroms sein.“
„Ja, dazu kann ich nichts sagen, Laura.“
– Ich sitze gedankenversunken am Tisch, als John mich auffordert, weiter zu essen. Erst lächele ich ihn an, doch dann kippt die Stimmung in mir. Ich fühle mich ganz niedergedrückt: „Ich habe kein gutes Gefühl.“
„In Bezug auf was?“, fragt John nach.
„In Bezug auf die XEQ-Geschichte.“
„Oh, das ist alles ganz sicher. Gestern war die Funktionsuntersuchung meines Gehirns. Alles war erfolgreich. Jetzt wird der perfekte XEQ-Chip für mich angefertigt. In Zukunft darfst du allerdings nicht mehr bei Denksportaufgaben gegen mich antreten. Da werde ich unschlagbar sein“, scherzt er, lacht und setzt fort: „Wir werden uns sehr verbessern. Wir werden ein größeres Haus haben. Wir werden Kinder haben. Alles wird wundervoll.“ – Er greift nach meiner Hand, die ganz kraftlos auf dem Tisch liegt. Ich spüre, dass er meine Bedenken zerstreuen möchte: „Jeder Chirurg mit einem XEQ-Implantat wird in Zukunft operative Höchstleistung abliefern. Alle Patienten werden nur noch von Ärzten operiert, die das Geschick eines Starchirurgen haben. Und das überall auf der Erde. Nicht nur in den hochentwickelten Teilen der Welt. Nein. Auch in den armen Regionen. Die beste Chirurgie für alle, Laura. Stelle dir das einmal vor. Ich bin bereit, meinen Teil dazu beizutragen.“
– Plötzlich werde ich unsicher. Wenn er tatsächlich Recht hat? Ich schaue aus dem Küchenfenster. Die Morgensonne leuchtet mehr und mehr über dem ruhigen Wasserspiegel in der Bucht. – Ich fühle mich nicht so ruhig. Irgendwie bin ich verwirrt. Ich trinke einen Schluck Kaffee. Irgendwie kann ich nicht mehr essen. John isst auf, gibt mir zärtlich einen Kuss und verabschiedet sich von mir. Ich sitze noch lange am Esstisch und schaue zum Fenster hinaus, bis auch ich mich auf den Weg zum FedEx Ship Center machen muss. – Was soll nur werden?