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4 Lilli Sington-Rosdal: Die »jüdische« Klavierlehrerin

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»… mein gut zwei Jahre jüngerer Bruder und ich mußten Klavier lernen. Ich liebte das nicht; denn ich hatte keine Lust zum Üben, und außerdem mußte man jede Woche einmal den weiten Weg zur Klavierstunde zurücklegen; zu Fuß von der Schellingstraße in Eilbek, wohin wir Anfang der dreißiger Jahre umgezogen waren, zum Winterhuder Weg auf der Uhlenhorst und zurück. (…) Daß meine langjährige Klavierlehrerin Lilly Sington-Rosdal [sic] Jüdin war, habe ich erst Jahrzehnte nach der NS-Zeit zufällig erfahren.«[70] (Helmut Schmidt, 1992)

In Hamburg-Langenhorn befindet sich auf dem Gelände der privaten Wohnanlage des Ehepaars Schmidt das Helmut-Schmidt-Archiv. Es ist das mit Abstand umfangreichste privat erstellte Archiv eines deutschen Politikers nach 1945, Helmut Schmidt hat dafür ein eigenes Gebäude errichten lassen. Bis zu seinem Tode war es ein Privatarchiv, inzwischen ist es in die Obhut des Bundeskanzleramts überführt und zur öffentlichen Einrichtung geworden. Unter den ungezählten Dokumenten, Fotos und Schriften findet sich auch eine Postkarte der Klavierlehrerin von Helmut Schmidt, Lilli Sington-Rosdal, das wohl einzige Dokument, das die persönliche Verbindung der beiden belegt. Mehr als zehn Jahre, von 1926 bis 1936/37, dürfte diese musikalische Beziehung der beiden angedauert haben.

Die vom März 1952 datierte Postkarte[71] ist ein Glückwunsch zu einer Beförderung Helmut Schmidts in der öffentlichen Verwaltung und zeigt, dass Lilli Sington-Rosdal auch nach dem Kriege die Entwicklung ihres ehemaligen Klavierschülers mit Aufmerksamkeit verfolgt hat. Da es in diesem ehemaligen privat geführten Archiv noch kein Findbuch für die Archivalien gibt, war die Postkarte eher ein Zufallsfund. Das Finden und die Zuordnung waren nur möglich, weil Helmut Schmidt in handschriftlichen Notizen aus dem Jahr 1945 »Frl. Sington« erwähnt und in dem autobiographischen Text »Politischer Rückblick auf eine unpolitische Jugend« aus dem Jahr 1992 den Namen seiner Klavierlehrerin auch zum ersten Male öffentlich gemacht hat. Dort berichtet er über sie in einigen wenigen, aber durchaus bemerkenswerten Sätzen, wenn er schreibt:

»Dass meine langjährige Klavierlehrerin Lilly Sington-Rosdal Jüdin war, habe ich erst Jahrzehnte nach der Nazizeit zufällig erfahren. Mein Bruder meint heute, dieses Nichtwissen zeige auf typische Weise, dass es in unserem Umfeld bis in die Nazizeit hinein ganz ohne Bedeutung blieb, ob jemand Jude war, und dass darüber zu Hause nicht gesprochen wurde. Später, als ich schon eingezogen worden war,[72] hat Fräulein Sington ihren Beruf offiziell vermutlich nicht mehr ausüben können, trotzdem hat sie meinen Bruder noch einige Zeit unterrichtet, nunmehr jedoch in unserer elterlichen Wohnung.«[73]

Helmut Schmidt am Klavier

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