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Das erste Klavierspiel
ОглавлениеHelmut Schmidts Klavierunterricht beginnt am Ende des ersten oder im zweiten Jahr seiner Grundschulzeit. Mit gerade einmal sieben Jahren erhält er seine erste Klavierstunde bei seiner Lehrerin Lilli Sington-Rosdal, die ihn von nun an für sein Klavierspiel über fast ein Jahrzehnt begleiten wird. Doch die ersten Jahre sind nicht gerade erbaulich für den Jungen, sondern »sogar ziemlich lästig«, wie Helmut Schmidt erzählt.[38] Er übte anfangs eher aus Pflicht als aus Freude am Spielen, und ganz besonders missfiel ihm, dass er nach den Klavierstunden das gerade neu Erlernte zu Hause präsentieren musste. Die erzielten Erfolge blieben wohl bescheiden, ein Wunderkind am Klavier war Helmut Schmidt definitiv nicht. Diese frühen Klavierjahre erinnerte er als wenig erfolgreich und beglückend, sie galten ihm im Rückblick eher als ein »Klimpern«.[39] Die damit verbundene Unlust kann er noch als älterer Herr lebhaft erinnern und erteilt als 95-Jähriger in seinem letzten Buch Was ich noch sagen wollte musikpädagogische Ratschläge: »Ich bin der Meinung, dass Eltern ihren Kindern zwar anbieten sollten, ein Instrument zu lernen, aber sie sollten es nicht erzwingen. Wenn das Kind daran Spaß hat, sollten sie den Unterricht fördern, aber wenn es keinen Spaß hat, sollten sie nicht darauf bestehen.«[40] Er und seine Frau hatten diesen späten Rat Jahrzehnte zuvor bereits selbst umgesetzt: Als ihre Tochter Susanne das Interesse am Klavierspielen verlor, durfte sie selbst entscheiden, wie es weitergehen sollte – sie setzte den Unterricht nicht fort.[41]
Das verlief bei Helmut Schmidt – zum Glück – anders. Das pädagogische Credo seiner Eltern sah Spaß und fehlende Motivation zum Üben nicht vor, und so half ihm das Insistieren der Mutter, die Zeiten der Unlust am Klavier zu überbrücken. Als er dann die weiterführende Lichtwarkschule besuchte, hatte sich seine Einstellung zum Klavier sehr zum Positiven verändert. In diese Zeit fällt wohl auch die erste bewusste Begegnung mit der Musik von Johann Sebastian Bach. Schmidts Onkel Ottomar, der Musiklehrer, hatte dem Neffen im Familienkreis Kompositionen Bachs nahegebracht, und so spielte er ihm auch ein- oder zweimal die Goldberg-Variationen vor. Die Eindrücke auf den musikalisch interessierten Jungen waren – zumindest in der Erinnerung des älteren Helmut Schmidt – offenbar stark. Aus der eigenen Retrospektive schreibt er: »Sie erschienen mir mit meinen zwölf oder dreizehn Jahren als der absolute Höhepunkt polyphoner Musik.«[42] Onkel Ottomar war es dann auch, der ihm die ersten Bach-Noten für das eigene Klavierspiel schenkte: ein Nachdruck des Notenbüchlein[s] für Anna Magdalena Bach, Johann Sebastians zweiter Ehefrau.
© Helmut-Schmidt-Archiv (HSA)
Aus dem Notenbestand von Helmut Schmidt.
Überschaut man all diese von Helmut Schmidt selbst beschriebenen Einflüsse, so überrascht sein mehrfach geäußertes, eher abwertendes Urteil über die Prägung und Anregung, die er aus der eigenen Familie erfahren habe, zunächst.[43] Auch die vornehmlich negativen Zuschreibungen gegenüber dem Vater können irritieren. Diese Sichtweise will nicht recht zu den persönlichen Wertvorstellungen und zur eigenen Laufbahn von Helmut Schmidt passen, und ebenso wenig passt sie zu der in einigen Facetten parallel verlaufenden Entwicklung des jüngeren Bruders. Denn die erfolgreichen und erfüllten Lebenswege der Brüder lassen sehr wohl eine positivere Sicht auf das Vorbild des Vaters zu, der die Söhne mit seinem ausgeprägten Leistungswillen, seiner Selbstdisziplin und seinem Bildungsbewusstsein beeinflusste. Auch der zum Volkschullehrer ausgebildete Wolfgang Schmidt avancierte im schleswig-holsteinischen Wedel zum Schulleiter. Zudem wirkte er auf überregionaler Ebene an Expertisen zur Schulentwicklung in Schleswig-Holstein mit, engagierte sich im Stadtrat und im Kulturausschuss der Stadt Wedel.[44]
Will man die familiären Einflüsse auf die musische Entwicklung von Helmut Schmidt abschließend benennen, so wird man dennoch nicht an den Vater Gustav Schmidt, sondern viel mehr an die Mutter Ludovika, deren Schwester Marianne, den Cousin Ottomar und die gesellige Großfamilie Koch erinnern müssen. Sie waren es, die den jungen Helmut Schmidt nachhaltig und für sein Leben beeinflusst haben.