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Olga Bontjes van Beek

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Wer war diese Frau und was machte ihre besondere und über die Jahre ungebrochene Anziehungskraft für Helmut Schmidt aus?

1896 als jüngste der sechs Töchter von Amalie und Heinrich Breling geboren, wuchs sie in einem aufs engste mit den Künsten verbundenen Haus auf.[115] Als Kind erlernte die junge Olga das Klavierspiel von der Mutter, einer ausgebildeten Konzertpianistin, später übte sie auch mit den älteren Schwestern. Spielte die Mutter für sich auf dem Flügel, tanzte Olga dazu, Duette aus der Zauberflöte und Fidelio kannte sie bald auswendig und sang sie mit. Die Malerei erlebte Olga hautnah im Haus und Atelier beim Vater, die Bildhauerei bei dem mit dem Vater befreundeten Bremer Künstler Bernhard Hoetger, für ihn stand sie immer wieder Modell.[116] Dieser und seine Frau Helene, genannt Lee, nahmen die Fünfzehnjährige sogar auf eine sechsmonatige Reise nach Florenz mit. Für ihre spätere Malkunst war dieser Aufenthalt von stilbildender Bedeutung, und sie kehrte nach dem Kriege immer wieder nach Italien zurück. In ihren unveröffentlichten Erinnerungen schreibt sie: »Ich begriff damals schon einiges, die Farben in der Landschaft, die Ölbäume, welche den silbrigen, graugrünen Ton in den Blättern hatten, wo die Terrakottaerde und heller, bläulicher Himmel waren, ja die Farbskala der Florentiner Schule.«[117]

Doch Olgas Berufswunsch war es nicht, Malerin zu werden, sondern sie studierte nach Abschluss der Schule modernen Tanz bei Isadora Duncan in der von dieser und ihrer Schwester Elizabeth 1910 gegründeten Elizabeth-Duncan-Schule auf der Mathildenhöhe bei Darmstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg feierte sie also nicht als Malerin erste künstlerische Erfolge, sondern als Tänzerin mit Auftritten in Berlin und Tourneen durch Großstädte im Osten und Norden Deutschlands.


© Saskia Bontjes van Beek

Olga Bontjes van Beek beim Ausdruckstanz in den frühen zwanziger Jahren.

Bis Prag führte ihr Weg, sogar eine Tournee in die USA war geplant. Sie tanzte zur damals als avantgardistisch empfundenen Musik von Claude Debussy und Cyril Scott, begleitet am Klavier von dem später berühmten Walter Gieseking. Für die Ausstattung ihrer Tanzaufführung hatte sie die Familie Breling und Freunde als Künstlergemeinschaft an ihrer Seite: So schneiderte Schwester Amelie die expressionistisch anmutenden Kostüme, Bernhard Hoeger steuerte Kulissen und Plakate bei, Schwester Jossie versorgte sie mit Noten und eigenen Kompositionen. Jossie hatte am Berliner Konservatorium Klavier und Komposition studiert, seit 1918 war sie mit dem Musiker Hans Schultze-Ritter, Korrepetitor an der Berliner Oper, später Kapellmeister und Lehrer an der Hochschule für Musik, verheiratet. Auch die Angeheirateten der Breling-Töchter waren überwiegend künstlerisch tätig.

1920 heiratete Olga Jan Bontjes van Beek, Sohn holländischer Eltern – und wie Olga tanzbegeistert. Kennengelernt hatten sie sich auf dem Barkenhoff von Heinrich Vogeler. Natürlich gab es enge Kontakte zwischen den beiden Künstlerkolonien in Worpswede und Fischerhude. So berühmt wie Worpswerde wurde Fischerhude jedoch nie. Für kurze Zeit traten Olga und Jan sogar miteinander als Tanzpartner auf. Im November 1920 brachte sie Tochter Cato, im Mai 1922 Mietje zur Welt. 1923 wurde ihr drittes Kind, Sohn Tim, geboren. Ihre Tanzkarriere gab sie auf. »Mein Timbursche hat sich durchgesetzt und meinem anstrengenden Vagabundenleben ein Ende gemacht«, hielt sie in ihren unveröffentlichten Memoiren fest.[118] Sie widmete sich wie Ehemann Jan der Keramikarbeit, ab 1926 begann sie unter dem Zuspruch des Malers Fritz Mühsam mit der Malerei, aber erst zehn Jahre später stellte sie ihre Arbeiten zum ersten Mal aus. Es sind keine leichten Jahre, ihr Mann war zu Studienzwecken oft weg von Frau und Kindern, die Beziehung ging schließlich auseinander, 1933 folgte die offizielle Scheidung. Im selben Jahr noch heiratete Jan Bontjes van Beek in Berlin die jüdische Innenarchitektin Rahel-Maria Weisbach. Mit ihr zusammen gründete er eine große und erfolgreiche Keramikwerkstatt. Nach dem Kriege galt er als einer der bedeutendsten Keramiker des Landes, wird Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, dann an der Meisterschule für das Kunsthandwerk in West-Berlin. Am Ende seiner Lehrtätigkeit hatte er eine Professur für Keramik an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste inne. Im Fischerhuder Haus der Bontjes van Beeks steht heute noch eine glasierte Figur von ihm auf dem Klavierflügel der Familie, die ihn in expressiver Tänzerpose zeigt.

Nach ihrer Scheidung widmet Olga Bontjes van Beek sich wieder stärker ihren künstlerischen Wurzeln, der Musik. In ihren Erinnerungen schreibt sie: »Neben der Malerei fing ich [um 1933, R.L.] wieder ernsthaft an, Musik zu treiben, Klavier und Orgel, Partituren zu studieren, Bachsche Fugen zu analysieren. Durch die Linienführung bekam ich Kontakt zu Graphik und Bildkomposition, wie doch der Faden durch die Kunstgattungen sich hinzieht. Eine Partitur, die gesetzmäßig ist, sieht gut aus, und sie klingt immer. So auch ein Bild, die Komposition ist das Primäre. Ist sie ausbalanciert, so steht sie im Raum, und die Farbe bringt sie zum Klingen. Beim Tanz schwingt dieses alles genauso und hängt von einer ausgewogenen Komposition ab. So pendelte ich zwischen Musik und Malerei, und ich konnte es großartig vereinen.«[119]

Liest man dies, dann ahnt man, dass der junge Helmut Schmidt mit seiner Leidenschaft für Johann Sebastian Bach in Olga auch eine gute Gesprächspartnerin gefunden haben wird. Hinzu kam, dass Olga Bontjes van Beek nicht nur Klavier, sondern auch Orgel spielte. Im Archiv der Familie finden sich gleich mehrere Fotos, die sie an der Orgel der örtlichen Liebfrauenkirche zeigen (s. Bildteil S. III). Man kann an dem Notenwerk wie auch an den Handstellungen erkennen, dass Olga Bontjes van Beek eine versierte Organistin war. Auf einem Foto sind Noten eines Werks von Johann Sebastian Bach auszumachen, auf dem anderen spielt sie gerade ein sogenanntes Trio. Die Hände bewegen sich auf unterschiedlichen Manualen, mit den Füßen muss das Pedal bedient werden. Für die Organistin stellte das eine große Herausforderung dar, auch weil die Arme sich teils überkreuzen müssen. Die Orgel selbst war ein in Dorfkirchen der damaligen Zeit recht übliches kleineres Instrument mit zwei Manualen, Pedal und mechanischer Registratur. In dieser Kirche begleitete Olga Bontjes van Beek die sonntäglichen Gottesdienste der evangelisch-lutherischen Gemeinde. Den orgelbegeisterten Helmut Schmidt nahm sie bei seinen Wochenendbesuchen mit zum Orgelspiel in die Liebfrauenkirche, sie wird nun auch zu seiner Orgellehrerin.[120]

Noch als 95-Jähriger wusste er von seinem Fischerhuder Orgelspiel zu berichten, es muss eine starke Erinnerung gewesen sein. »Später [nach seinem Orgelspiel an der LS, R.L.] habe ich in Fischerhude auf der Dorforgel zum Gottesdienst gespielt – heimlich. Olga Bontjes, die Kantorin der Dorfkirche war, hat mich an den Spieltisch gesetzt und gesagt: ›Mach mal!‹ Das war recht ungewohnt. Man sitzt mit dem Rücken zum Pastor und weiß gar nicht, wann man dran ist und wann man wieder aufhören muss. Deshalb guckt man in den Spiegel. Wenn aber der Spiegel verdreht ist, kann man den Pastor nicht sehen – und mein Spiegel war verdreht.«[121]

Olga Bontjes van Beek war eine vielseitige Künstlerin, hatte als junge Frau und Tänzerin in den verschiedensten Großstädten und interessanten Etablissements wie dem Wintergarten in der Hauptstadt Berlin Erfahrungen gesammelt. Sie kannte zahlreiche auch über die Künstlerkolonien Fischerhude und Worpswede hinaus bekannte Kulturschaffende. In dem für Besucher offenen Haus der Olga Bontjes van Beek waren immer wieder Künstler und Intellektuelle zu Gast, Gedankenaustauch und lebhafte Diskussionen prägten die Atmosphäre des Hauses. Für den jungen Helmut Schmidt waren das beeindruckende Erlebnisse. In seiner Erinnerung kam es dabei zuvorderst zu Debatten über Kunst und Literatur, aber auch politische Themen seien angesprochen worden.

»Ihr Haus – wie auch Fischerhude insgesamt – ist in den für mich entscheidenden, prägenden Jahren unmittelbar vor dem Kriege und zu Kriegsbeginn Quelle geistiger Orientierung gewesen und zugleich in höherem Maße Heimat als Hamburg und mein Elternhaus.«[122] Die Künstlergemeinde der Fischerhuder hatte ihn fasziniert, auch die spürbare Ablehnung des Nationalsozialismus in diesen Kreisen mag Wirkung entfaltet haben, »die einzige geistige Oase in der Nazi-Zeit«[123] sei die Künstlergemeinschaft in Fischerhude und insbesondere das Haus von Olga Bontjes van Beek für ihn gewesen.

Die deutlich ältere Olga Bontjes van Beek blickte bereits auf reiche und vielfältige Lebenserfahrungen zurück, als Helmut Schmidt auf sie traf, nicht zuletzt auch durch ihre Auslandsaufenthalte, die seinerzeit nicht die Regel waren. Dazu war sie Mutter dreier Kinder. Im Familienarchiv finden sich Fotos von ihr aus den Jahren, als Helmut Schmidt hierherkam.

Olga Bontjes van Beek war eine attraktive Erscheinung, mit einem aparten Gesicht und anmutiger Haltung, wie es in der Familie heißt. Noch als ältere Frau habe sie sich diese Anmut erhalten, so ihr Bewunderer Helmut Schmidt.


© Saskia Bontjes van Beek

Olga Bontjes van Beek aus der Zeit, als Helmut Schmidt sie kennenlernte.

Der junge Soldat Helmut Schmidt schwärmte für Olga Bontjes van Beek ebenso wie der ältere Schmidt. 1968 erinnert er sich – wie bereits erwähnt – in einem Brief »an die menschliche Berührung (…), die ich Anfang des Krieges an schönen Sommertagen in Fischerhude erlebt habe«.[124] Von seiner Jugendliebe Loki Glaser will er zumindest in diesen Jahren 1938 bis 1940 nichts mehr wissen. Bereits im Jahr 1937 habe seine »endgültige Emanzipation von Loki« begonnen, wie er in seinen Aufzeichnungen notiert.[125] Von Mitte 1939 bis 1940 gab es keinen Kontakt mehr zwischen den beiden. Loki Schmidt selbst bestätigt dies in ihren eigenen Erinnerungen: »Wir waren uns damals (…) recht fremd, und für einige Zeit riß die Verbindung ab.«[126]

Helmut Schmidt am Klavier

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