Читать книгу Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt - Reiner Tetzner - Страница 20

Demeter trauert um Persephone

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Zeus erlag auch den Reizen seiner Schwester Demeter, die ihm die weißarmige Persephone gebar. Demeter, eine menschenfreundliche Erdgottheit mit weizenblondem lockigem Haar, war für die Fruchtbarkeit, vor allem für den Ackerbau zuständig. Als die schlankfüßige Persephone zu einer sinnenbetörenden Jungfrau, daher ihr Beiname Kore, erblüht war und kichernd mit ihren Freundinnen Lilien und Hyazinthen zu Kränzen flocht, klaffte plötzlich die nysäische Flur, aus der Hades mit seinem goldenen Wagen herausbrach, um die Liebliche mit Zeus’ Einverständnis zu rauben. Persephone sträubte sich und schrie gellend, aber vermochte nichts gegen den Herrscher der Unterwelt auszurichten.

Als Demeter die ängstliche Stimme ihrer Tochter vernahm, riss sie sich die Binden von ihren Locken, warf den dunklen Schleier um und eilte wie ein Vogel über Land und Wasser. Die Mutter irrte, brennende Fackeln haltend, neun Tage rings um die Erde, suchte verzweifelt ihre Tochter. Nachdem sie durch Helios von dem Raub erfahren hatte, mied sie zornig die Versammlung der Götter und stellte ihr fruchtbares Wirken ein. Gräser, Sträucher, Bäume hörten auf zu wachsen, Früchte verkümmerten und verdorrten. Die Göttin nahm das Antlitz einer ergrauten Greisin an und trauerte klaglos.

Dieser elende Anblick rührte die Eleusiner, und sie brachten die verwandelte Göttin in das Haus von Keleos und Metaneira. Deren uralter Magd Baubo23 brach es das Herz, die Trauer mitansehen zu müssen, und sie bemühte sich, die »Herrin der Ernte« mit mancherlei Scherz aufzuheitern. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, entblößte Baubo ihr verhutzeltes Geschlecht, was die erhabene Göttin zum Lachen brachte. Seitdem wurden Demeter zu Ehren Zoten aufgeführt; und sie ließ sich überreden, Demophoon, den Säugling des Paares, aufzuziehen.

Prächtig gedieh das Kind in den Armen und an der Brust Demeters. Es wuchs ohne Milch seiner Mutter und gewöhnliche Speise auf, sondern wurde mit Ambrosia gesalbt und nachts ins Feuer gehalten. Dadurch wollte Demeter ihm Unsterblichkeit und ewige Jugend verleihen. Doch als eines Abends die Mutter ahnungsvoll das Gemach betrat und sah, wie ihr Kind an den Fersen gehalten und von den Flammen umlodert wurde, stürzte sie laut schreiend hinzu und riss ihren Sprössling aus dem Feuer – Rettung im Sinn, aber Unheil bewirkend. Denn nun warf Demeter ihr Alter ab, wechselte die Größe, nahm ihre göttliche Schönheit und Gestalt an und eröffnete der schlotternden Mutter, dass Demophoon nunmehr seinem sterblichen Schicksal ausgesetzt sei. Die Göttin umzustimmen gelang nicht. Aber man baute ihr hier einen Tempel, in dem sie ihren Sitz nahm.

Der Same stockte weiter in der Erde, die Stiere zogen die Pflüge umsonst. Elend machte sich breit, die Menschen hungerten und besaßen nichts mehr, um den Göttern zu opfern. Zeus begab sich selber zu Demeter und ihrem Tempel in Eleusis und bat um Fruchtbarkeit, ließ Geschenke bringen. Aber die Göttin im schwarzen Gewand erwiderte:

»Nicht eher kehre ich in den duftenden Himmel zurück, nicht eher lasse ich wieder Früchte wachsen, bis ich meine Tochter wiedersehe.«

So musste Zeus sein eigenes Einverständnis widerrufen, Hermes zu Hades senden und befehlen, Kore wieder ihrer Mutter zurückzuschicken.

Freudestrahlend wuchs das Mädchen aus der Erde,24 doch Demeter ahnte Betrug und fragte besorgt ihre Tochter:

»Nahmst du bei den Schatten etwas zu dir?«

»Nur einen Granatapfelkern«, antwortete sie unbekümmert. Doch mit dieser Arglist band Hades seine Gemahlin ewig an die Unterwelt. Persephone darf sich zwei Drittel des Jahres am Sonnenschein erfreuen, muss aber ein Drittel zu Hades hinab ins Dunkel.

Nach Rückkehr ihrer Tochter ließ die Göttin der Ernte die Früchte gedeihen. Blätter und Blüten prangten in neuer Pracht. Bei Persephones alljährlicher Wiederkehr wird sie als Getreidegöttin begrüßt. Sie erscheint nicht im Frühjahr, sondern im Herbst, wenn die griechischen Bauern das Getreide säen, das dann bis zum Frühsommer reift und geerntet wird, bis Helios’ Sommerstrahlen alles verdorren und Kore wieder in die Unterwelt eingeht.

Demeter bedankte sich für die teilnahmsvolle Aufnahme in Eleusis. Sie gab nicht nur die Kunst des Getreideanbaus an Triptolemos weiter,25 der sie der ganzen Welt vermittelte, sondern sie wies auch die ansässigen Adelsfamilien in die geheimen Eleusinischen Mysterien26 ein. Wahrscheinlich wurde Persephone dort als Sinnbild für die menschliche Seele dargestellt, die durch den Tod hindurch zum Leben schreitet. Dabei trat wohl der eng mit Kore verbundene Dionysos als Retter auf.

Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt

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