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Die drei Göttergenerationen Die Welt entsteht

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Am Anfang entstand das Chaos. Die einen nannten es Urgrund, den gähnenden Schlund; vergleichbar dem Ginnungagap im Germanischen, bei anderen hieß es »Ungeschieden, Vermischtes«. Aus dem Gemengten ordnete sich später der Kosmos.1

Aus dem Chaos wuchs alles: zuerst die breitbrüstige Gaia, die Erde als Urmutter aller Generationen und nie wankender Wohnsitz der Unsterblichen, nebst Eros, dem schönsten unter den Göttern und Urgottheit der geschlechtlichen Liebe. Er verwirrt alle Geschöpfe und treibt zu unablässiger Zeugung.2 Alles Handeln entspringt dieser Quelle. Und führten die Griechen Krieg, kämpften sie angeblich nicht um Macht und Reichtum, sondern um die schönste der Frauen. Die Römer setzten Eros mit Amor gleich; beide gaben erotischen und amourösen Erlebnissen später sogar den Namen.

Weiter entstand aus dem Chaos die finstere Unterwelt, Erebos, als Ort der Toten längst nicht so tief in der Erde wie Tartaros, zu dem ein Amboss, der neun Tage vom Himmel bis zur Erde fällt, noch einmal so lange bis dort hinab braucht. Als das Unterirdische geschaffen war, entschwebte dem Chaos die dunkle Nacht, Nyx, die den Äther als das Überirdische aushauchte.

Nachdem diese beiden Hauptorte entstanden waren, erzeugte Gaia den riesigen Uranos, den sternenreichen Himmel, und begehrte ihn. Auch um seine Aufmerksamkeit zu erringen, türmte Gaia mächtige Berge mit wilden Schluchten auf, ihrem Leib entsprudelten die rastlos wogenden und in der Brandung tosenden Meere, auch Pontos, die offene See, die Erde mit bläulichem Schimmer umstrahlend.

Somit war die ganze unbelebte Natur, wie wir sie kennen, bar jeder Liebe geschaffen. Doch die Schönheit der Erde entstand bereits aus Liebesverlangen, und Eros reizte auch Uranos, die weitwegige Erde ganz zu umhüllen.3

Die Erdgöttin Gaia und der Himmelsgott Uranos wurden nach Hesiod das Ur-Paar aller Götter. So sahen die Menschen vieler Länder ihre Welt. Bei den Römern hieß Gaia Terra oder Tellus. Auch bei den alten Indern, den Chinesen, Japanern, Germanen, sogar den Mayas Yucatans standen eine Erdgöttin und ein Himmelsgott am Anfang der Zeiten. Bei den alten Ägyptern ist die Erdgottheit Geb männlich und der Himmelsgott Nut weiblich.

Homer nennt als anderes Urpaar aller Götter Okeanos und Tethys.4 Ein weiterer Schöpfungsbericht erzählt von einem Weltei am Anfang, gelegt von der Urnacht Nyx.

Nacht für Nacht umarmte Uranos seine Gattin. Und so gebar Gaia sechs göttliche Söhne und sechs Töchter, die Titanen, von denen verbanden sich zu Geschwisterehen die goldbekränzte Phoibe und Koios, die liebliche Tethys und der tiefaufgewirbelte Okeanos, sowie Theia und der glänzende Hyperion. Zuletzt gebar Gaia den hinterlistigen Kronos. Dieses schrecklichste aller Kinder hasste den gewaltigen Vater, eiferte aber anfangs seinen älteren Geschwistern nach, freite seine Schwester, die Erdgöttin Rhea, und zeugte mit ihr die Olympischen Götter.

Uranos’ unermessliche Zeugungskraft erwies sich bald als bedrohlich. Maßlose Kinder, Brontes, Steropes und Arges, entstampften ihrem Bund. Weil ihnen nur ein einziges kreisrundes Auge auf der Stirn stierte, wurden sie Kyklopen genannt. Zwar waren sie stark wie die Götter, aber gewalttätig und arglistig.

Darin verwandt waren ihnen ihre drei anderen Brüder: Kottos, Briareos und Gyes, die hochmütigen Hekatoncheiren. Hundert Arme wirbelten an ihren wuchtigen Leibern, und jedem waren fünfzig Köpfe über den klobigen Schultern gewachsen.

Der Vater hasste diese riesenhaften Unholde von Anbeginn. Welch widerwärtiger Anblick auf dem Antlitz von Gaia, seiner Geliebten! Welche Missgeburten verunstalteten die lieblichen Täler, die azurnen Ufer des Pontos! Würden gar diese Ungeheuer bald stärker sein als er? Versuchte sich eines von ihnen der Mutter zu entwinden, stieß Uranos es voller Ekel zurück in Gaias Schoß, der davon immer unheilvoller aufquoll.

Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt

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