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Erste Verhaftung, ab ins Gefängnis 1976

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So kam es, dass ich zum ersten Mal in Handschellen und hinter Gitter kam. Es waren andere und viel schrecklichere Umstände als heutzutage. Damals wurde ich in Alt Pfäffikon ZH inhaftiert. Dort steckte man mich in eine Zelle ohne Fernseher oder Radio, lediglich mit einem Krug, einem Glas, einem Bett und einer dünnen Matratze, die fürchterlich stank und nach deren Benutzung man am ganzen Körper Juckreiz bekam. Ungefähr so, wie heutzutage die Arrestzellen aussehen, war damals der allgemeine Zellenstandard. Das Schlimmste stand jedoch in der Zellenecke. Ein weisser Kübel mit einem Deckel drauf. Zustände wie im Mittelalter. Ich ging am ersten Tag davon aus, damit das Gesicht und die Füsse waschen zu können, doch als mir ein Aufseher erklärte, dass es sich dabei um die Toilette handelte, mit der netten Zwischenbemerkung, man könne es aber durchaus auch zum Waschen benutzen, musste ich mich beinahe übergeben. Um den Kübel zu entleeren, musste man sich morgendlich in einer Reihe anstellen, wobei einem der Gestank Tränen in Augen trieb. Auch die Spaziergänge waren damals keine Momente der freien Bewegung, sondern man trottete wortlos hintereinander her, beinahe schon wie in den alten Western Filmen, nur die Metallkugel, mit einer Kette am Fussgelenk fehlte. Auch die menschlichen Qualitäten der Aufseher waren sehr unterschiedlich. So gab es solche, die ihre Menschlichkeit während der Arbeit unter der Uniform anbehielten, wie beispielsweise Herr Widmer. Unvergessen bleiben aber auch die Vollpfosten von Aufsehern, die ihre Menschlichkeit vor dem Überziehen der Uniform ablegten, wie damals zum Beispiel Herr Häberli. Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern gewesen, als ich an meine Zellentür klopfte, da ich dringendst einen Brief abgeben musste. Aufseher Häberli knallte die Tür auf und schrie mich an, wie es nur selten zuvor ein Mensch gewagt hatte. Was mir denn einfalle und ich sei noch viel frecher als ihm der Bezirksanwalt vor dem Haftantritt beschrieben hätte. Die gute Seele Herr Widmer hingegen war anders. Nie vergesse ich ihm, wie er mir anbot, mit einer Gruppe Insassen in den Wald zum Holzhaken mitgehen zu können, was ich, ohne nur einen Moment des Überlegens zu verschwenden bejahte. So hoffte ich fortan immer wieder darauf, dass bald wieder Holz benötigt wurde, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Meine Frau kam mich jede Woche besuchen und die Zeit begann zu laufen, wenn auch stockend. Aus Platzmangel wurde ich nach einer Weile in eine Dreierzelle versetzt, wo ich mit einem alkoholsüchtigen Berufseinbrecher zusammengesetzt wurde. So war ich zumindest nicht mehr allein, und die Zeiger der Uhr begannen sich etwas weniger ruckartig, beinahe schon fliessend zu bewegen. Der Alkoholiker kannte nichts. Gut erinnere ich mich, wie er einmal den Auftrag bekam, mit Brennsprit die Fenster im Korridor zu reinigen. Nach zehn Minuten ging ihm der Brennsprit aus, so meldete er sich beim diensthabenden Aufseher, der dann schockiert darüber war, dass der Liter Brennsprit bereits aufgebraucht sei, schnell stellte sich heraus, dass kein Tropfen davon die Glasscheiben erreichte, sondern alles die Kehle runtergespült wurde. Ich musste lachen, zugleich aber auch damit beginnen, mein Rasierwasser in der Zelle zu verstecken, denn der Süffel schluckte wirklich alles, was nur ansatzweise Alkohol beinhalten konnte, selbst wenn man es im weissen Kübel gelagert hätte. Als ich ihn einmal auf sein Leben ansprach, ob er zum ersten Mal einsitzen würde, stellte sich heraus, dass er vierundzwanzig Vorstrafen auf dem Buckel hatte, was mich sprachlos machte.

Nach rund sechs Monaten in der Zürcher Guantanamo Hölle kam ich endlich vor Gericht. Der Richter brummte mir eine Strafe von zweieinhalb Jahren auf, verbunden mit einer ambulanten Therapie, was so viel bedeutete, wie einmal wöchentlich bei einem Seelenklempner vorbeischauen zu müssen. Zudem wurde mir ein Bewährungshelfer aufgetragen, da meine Strafe auf Bewährung ausgesetzt wurde. Wäre ich in nächster Zeit wieder straffällig geworden, hätte ich die zweieinhalb Jahre noch absitzen müssen. Der Schock sass tief, als ich meine Füsse wieder auf dem Boden der Freiheit aufsetzte. Ich nahm mir vor, nie aber gar nie mehr, in diese Hölle zurückzukehren. Bald begann ich wieder zu arbeiten, ganz im guten Vorsatz, keinen Blödsinn mehr anzustellen. Ich war wieder dort, wo ich angefangen hatte, nämlich beim Überstunden schinden, um den Kühlschrank vollzukriegen. Trotz allem erschien mir dies nicht mehr so schlimm wie früher vor meiner Delinquenz, denn ich kannte nun ein Leben, das noch unerträglicher war, das Leben hinter Gittern.

Was nun geschah, war der absolute Super-GAU und etwas, was klar auf meinen Werdegang Einfluss hatte. Der Staatsanwalt, Herr Schmid, legte Berufung gegen mein Gerichtsurteil ein, denn ihm passte es nicht, dass ich meine Strafe nicht hinter Gittern verbüssen musste und auch die wöchentlichen Therapiesitzungen erschienen ihm als Witz. So ging er nicht nur in Berufung, nein, er kam damit sogar durch, sodass ich erneut aus meinem Leben gerissen und in die Hölle retourniert wurde, wo ich fortan nicht nur einen Teil, nein, gar die ganze Strafe abhocken musste. Staatsanwalt Schmid war es nicht recht, dass ich resozialisiert in die Welt zurückkehrte, den rechten Weg wiederaufnahm, indem ich für meine Familie mit ehrlicher Arbeit sorgte, offenbar war es ihm lieber, dass ich auf Kosten der Steuerzahler hinter Gittern schmorte. Kriminalisierung statt Resozialisierung, schien sein damaliges Motto zu sein. Wenn man eine Haftstrafe verbüssen muss, aufgrund eines frustrierten Staatsanwaltes, der mehr nach seinem persönlichen Befinden und seiner Antipathie dem Straftäter gegenüber handelt, als nach Menschenverstand und rechtlichen Normen, entwickelt sich ein Hass auf die Justiz. Ein Hass, der sich anstaut, der sich während des Verbüssens der Strafe aber gerne auch ausweitet, beinahe wie ein Geschwür. Auch heute noch, rege ich mich über Schmids Handeln auf, gerade unter Betrachtung des heutigen Umstandes, wo jemand für dasselbe Urteil wie damals, gerade noch etwa drei Monate einsitzen müsste.

Zwischen mir und meiner Frau begann es mehr denn je zu kriseln. Zudem wurde meine Frau auch noch eifersüchtiger denn je. Mühsam versuchte ich, mein zerrüttetes Familienleben wieder wie ein Puzzle zusammenzubauen. Ich versuchte die Puzzleteile aneinanderzufügen, doch es wollte einfach nicht mehr gelingen. Es schienen Teile zu sein, die sich gar nicht mehr zu einem kompletten, einheitlichen Bild zusammenfügen liessen. Die Eifersucht meiner Frau wurde immer intensiver, erst recht, wenn mal eine alte Freundin oder einfach überhaupt eine Frau bei uns anrief und sich nach mir erkundigte, tickte meine Frau komplett aus, immer im Glauben, es wäre kein Zufall und ich hätte mich kurz zuvor mit der Anruferin getroffen. Es ging sogar so weit, dass wenn ich von Überstunden nach Hause kam, und es waren wirklich Überstunden (!), ich schon beinahe wie von den Aufsehern im Zürcher Guantanamo durchsucht und wie von Aufseher Häberli angeschrien wurde. Wo ich denn gewesen sei, mit wem ich mich getroffen und mit wem ich es getrieben hätte. Meine Lust auf Diskussionen neigte sich dem Ende zu, sodass ich meist nur noch mit einem schroffen «halt doch mal die Klappe» geantwortet habe. Als sich wieder mal so eine Situation ergab und ich so unwirsch reagierte, lief ich ins Badezimmer, liess mir ein Bad ein und legte mich zur Erholung in die Badewanne. Da kam meine Frau wie eine Furie herein, steckte den Stecker des Föhnkabels in die Steckdose und hielt mir den Föhn anschliessend drohend übers Wasser. Sie drohte mir, wenn ich nur noch ein Wort sage, würde sie den Föhn fallen lassen und so mein Leben auslöschen. Noch nie in meinem Leben bin ich so schnell aus einer Badewanne ausgestiegen, wie an diesem Tag. Die ganze Situation konsternierte und bedrückte mich immer mehr. Bald waren meine Energiereserven schneller aufgebraucht, als ich sie wieder aufladen konnte. Obschon ich zu der Zeit treu war, weit entfernt von dem Charmeur und Frauenheld der ich später noch werden sollte, unterstellte mir meine Frau Dinge, die sich lediglich in ihrer Fantasie abspielten, nicht aber im wahren Leben. Inwiefern ich zu ihrem Misstrauen beitrug, weiss ich nicht, vielleicht hatte ich mich während der Zeit im Gefängnis auch unbewusst verändert, wer weiss, jedenfalls braucht es meistens zwei für einen Streit. Es kam jedenfalls, wie es kommen musste, da ich nicht vorhatte gegen mein Naturell gewalttätig zu werden, landeten wir vor dem Scheidungsgericht. Erstaunlicherweise verzichtete meine Frau während des Scheidungsverfahrens auf die Zahlung von Alimente, da sie wohl irgendwie zur Besinnung kam und erkannte, dass ich wohl doch treu war und sie sich in ihrer Fantasie des Öfteren massiv verrannt hatte. Die Frechheit kam dann wieder mal von der Justiz, respektive ihre aktuelle Verkörperung, eben der Scheidungsrichter, der meine Frau noch vier Mal in Folge fragte, ob sie denn wirklich keine Alimente beantragen wolle, wobei ich nur dachte, «halt mal die Klappe, bevor sie es sich noch anders überlegt», was sie dann aber gottseidank nicht tat. Ich wurde geschieden und von der Verpflichtung der Alimenten Zahlungen verschont.

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