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Der 19-jährige Reini Lutz

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Meine Geschichte beginnt mit einem Ereignis der düsteren Sorte. Als ich neunzehn Jahre jung war, verstarb meine Mutter durch einen tragischen Verkehrsunfall. Als sie mit ihrem Fahrrad wie gewohnt zur Arbeit fuhr, wurde sie von einem Auto erfasst und totgefahren, wodurch ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verlor und von einem Tag auf den anderen zum Vollwaisen wurde. Ein Ereignis, das mich sehr geprägt hat, inwiefern weiss ich nicht und ehrlich gesagt, bin ich auch nicht der Typ Mensch, der darüber nachgrübeln will, denn eine Wunde immer wieder von neuem aufzukratzen, war und ist bis heute nicht meine Art. Nach diesem traurigen Ereignis verzog sich auch mein damaliger Stiefvater aus meinem Leben, indem er zu seiner neuen Freundin zog, mit der er meine Mutter bereits seit längerer Zeit betrogen hatte. Seinen Verlust hingegen kann man eigentlich auch anders einordnen, denn mit meinem Stiefvater verstand ich mich nie. Wenn wir uns einmal sahen, denn er war so gut wie nie da, stritten wir uns immer und immer wieder, sodass mir sein Verschwinden eher eine Last von den Schultern nahm, so konnte ich mich umso intensiver mit der Trauer über den Tod meiner Mutter beschäftigen. Es war das letzte Mal in meinem Leben, dass Tränen aus meinen Augen quollen. Bei ihrer Beerdigung und der anschliessenden Trauerphase machte ich mir immer wieder Vorwürfe; hätte ich ihr doch nur noch ein letztes Mal Blumen geschenkt, sie ein letztes Mal zum Essen eingeladen und so weiter, mit jeder Träne ein Vorwurf mehr, als hätte ich dieses schreckliche Ereignis vorhersehen können.

Als Vollwaise stand ich also von einem Tag auf den anderen komplett einsam da. Ich begann mich langsam durch die Welt zu tasten und konzentrierte mich auf die Welt der Frauen, also auf Beziehungen. Eine Freundin blieb mir stets besonders in Erinnerung, jedoch nicht einmal wegen ihr selbst, sondern eher wegen ihrem Stiefbruder, denn seine Persönlichkeit und die Art wie er sein Leben führte, inspirierte mich sehr. Der Stiefbruder hiess Rolf Meili und, was ich anfänglich nicht wusste, er war einer der berühmtesten Zuhälter jener Zeit. Rolf lud uns mehrfach ein, mit ihm ins Tessin zu fliegen, um dort ein Frühstück zu geniessen. Rolfs Art war höchst direkt und immer mal wieder ziemlich ungehobelt. So nannte er seine Nutten einfach nur Bäume und davon hatte er viele, einen ganzen Wald, könnte man sagen. Er war eine wahre Koryphäe unter den Zuhältern und selbst in der Strafanstalt Regensdorf bekannt, da er damals der einzige Insasse war, der keinen einzigen Tag gearbeitet hat. Dies begründete er Jahre später in einer Doku mit feiner Arroganz damit, dass seine Hände Gold wert seien und er diese zum Zählen von Geld benötige, weshalb er seine zarten Greifer nicht mit Arbeit ruinieren wolle. Ein anderer Spruch, der mir in Erinnerung blieb, betraf seine Nachttischlampe, die immer schräg stehen musste, damit er einschlafen konnte. Was so viel bedeutete wie, wenn so viele Geldnoten unter dem Lämpchen gestapelt lagen, dass die Lampe beinahe umzukippen drohte, war sein Wald rentabel, sein Geschäft florierte und sein Schlaf war garantiert. Nebst dieser rauen, arroganten Art gab es aber auch andere Seiten an diesem Menschen. Viele wussten nicht, dass er ein begnadeter Maler und Klavierspieler war, für beides war er mit viel Talent gesegnet. Trotz anfänglichen Kontakten mit Randgestalten blieb mein Leben noch recht in den Bahnen eines normalen Schweizers. So geriet ich später in eine neue Beziehung, in einer Zeit als die Verhütungsmittel noch nicht auf dem heutigen Stand und in heutigen Mengen überall vorhanden waren, was bereits erahnen lässt, was nun kommen wird, dass nämlich meine Freundin schwanger wurde. Wie es sich damals gehörte, heiratete ich meine Freundin, um die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen, aber natürlich auch dem Kind zu liebe, damit es christlich getauft werden konnte.

Bei unserer Hochzeit waren von der Familie meiner Frau rund fünfundzwanzig Angehörige anwesend, während von meiner Seite her gewollt keiner da war. Denn nach dem Ableben meiner Mutter trennte ich mich von allen Verwandten. Das Ganze hatte mit dem zuvor bereits losen Verhältnis zu tun, aber auch mit der Beerdigung meiner Mutter. Keiner meiner Familie unterstützte mich bei der Organisation der Trauerfeier, nicht einmal bei der Finanzierung des Grabsteins, was bereits damals rund fünftausend Schweizer Franken kostete. An der Beerdigung selbst, waren sie dann aber alle wie Geier anwesend, wie es in der Schweiz üblich ist, wird an einer solchen Veranstaltung «gefressen» und «gesoffen», so, dass mir der traurige An-lass beinahe wie eine Party vorkam, alles andere als was ich mir gewünscht hätte. Lieber wäre es mir gewesen, an der Beerdigung allein mit einem Pfarrer zu sein, aber es kam anders und so sah ich die Beerdigung nicht nur als Abschiedsehrung meiner Mutter, sondern zugleich als Schlussstrich unter der Beziehung zu meinen Verwandten.

Danach arbeitete ich sehr viel, doch das Geld reichte hinten und vorne nicht. Ich erkannte, wie mein Leben von einem Tag auf den anderen bestimmt worden war. Ich wurde als junger Ehemann und Vater, der kurz zuvor zum Vollwaisen wurde, in ein Leben aus Verantwortung, Pflichten gesteckt, aus dem es kein Entrinnen gab. Ich war wie einbetoniert, bevor ich jemals gelebt hatte. Meine Unzufriedenheit wuchs täglich an, so konnte ich durch die viele Arbeit mein Kind so gut wie nie sehen und wenn, dann versaute mir meine Frau diese freudige Zeit mit Streitereien bezüglich des Geldes, das immer knapper als knapp war. Nicht, dass sie geldgierig war, nein, sie war charakterlich in Ordnung, doch musste sie den Haushaltsplan erstellen und kalkulieren, sodass ihre Vorwürfe ja irgendwie verständlich waren. Ich fühlte mich machtlos, überfordert, gefangen in einer Zelle namens Leben und war alles andere als zufrieden mit den Umständen. Die einzige Lösung dem zu entfliehen, schien mir das Geld zu sein. Mit Geld dachte ich mir, kann ich mir Zeit mit meinem Kind erkaufen, aber auch Ruhe von meiner Frau und irgendwie dadurch ja auch ein Stück Zufriedenheit. Und wer weiss, vielleicht hätte dies auch meine Sehnsüchte gestillt, denn insbesondere zu Reisen stand auf meinem Plan des Lebens, von dem ich zu diesem Zeitpunkt jedoch meilenweit entfernt war.

Mein Ziel hiess also Geld. Nun galt es mich zu fokussieren und einen Weg zu finden, der mich dahin führte, wo die vielen Scheine gestapelt auf mich warteten.

Mein Leben als Schneekönig

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