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Flucht durch die halbe Welt
ОглавлениеIn Rehtobel angekommen, habe ich mich direkt in einem der Zimmer einquartiert. Bambi von den Hells Angels kam jede Nacht zu mir und brachte mir die neusten Nachrichten. Jack, von der Rockergruppe Unikons, kam zu meinem Schutz dazu, er war immer mal wieder für meine Sicherheit in brenzligen Situationen zuständig. So auch in diesem Fall. Leider wurde er später auf tragische Weise in einer Tiefgarage erschossen, was aber eine andere Geschichte ist.
Was ich jedoch vertiefen möchte, ist der damalige Milieukrieg, von dem man hier nur am Rande in den Medien mitbekommen hat, wenn überhaupt. Denn zu dieser Zeit, als ich im Rehtobel untertauchte, herrschte im St. Gallischen Vorarlberg gerade der Zuhälter Krieg. Da wurde geschossen und gesprengt, für Schweizer Verhältnisse war es richtig schlimm. Vieles was sich damals ereignet hat, kam gar nie in den Medien, denn man wollte das Volk nicht verängstigen. Für die Schweizer Publicity wäre ein Schweizer Zuhälter Krieg höchst schädlich gewesen. Der 0815 Radio DRS Hörer wusste ja dazumal noch nicht einmal richtig, was ein Zuhälter war, geschweige denn, was sich im Milieu abspielte. Einer dieser Zuhälter blieb mir durch eine besonders prägende Anekdote in Erinnerung. Pauli aus Österreich, war einer dieser Zuhälter, der gerade jeden Schritt zwei Mal planen musste, da es von Feinden um ihn herum nur so wimmelte. Als er mich einmal in einem Golf vom Flughafen Graz abholte, musste ich unverhohlen lachen.
«Warum kommst du mit einer solchen Klapperkiste von VW Golf und nicht mit deinem Mercedes?», spottete ich.
«Lieber Reini, Sicherheit geht vor Bequemlichkeit. Momentan herrscht Krieg, nicht nur bei euch. Es gilt unauffällig und vorsichtig zu sein.»
Ich lachte und empfand seine Vorsichtsmassnahme als vollkommen übertrieben, doch wollte ich nicht unhöflich sein, so unterliess ich jeglichen weiteren Spott bezüglich dieser unwürdigen Metallkiste auf vier Rädern. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, holte eine Zigarette aus meiner Jackentasche und tastete nach meinem Feuerzeug. Als ich nicht fündig wurde, griff ich nach dem Feueranzünder, der im Auto eingebaut war, dieser liess sich jedoch nicht herausziehen, ohne es noch mit brachialer Gewalt zu versuchen, steckte ich die ungebrauchte Zigarette zurück. Pauli erzählte mir währenddessen das Neuste aus seinem Leben und gerade als wir kurz vor seinem Anwesen ankamen, fuhren wir direkt in eine Strassensperre der Polizei. Ein Beamter trat auf uns zu.
«Bitte öffnen Sie ganz vorsichtig die Tür», wies uns der Polizist an.
«Ganz vorsichtig, dann steigen Sie aus», ergänzte er.
Pauli blickte mich an. Sein Blick verriet mir, dass er die Situation ebenso wenig wie ich deuten konnte.
«Was wollen die Pauli?», frage ich leise, doch Pauli zuckte lediglich mit den Schultern.
Unterdessen näherten sich uns von der Seite weitere Beamte in Schutzanzügen.
«Wir haben eine Meldung erhalten, dass sich in diesem Golf eventuell eine Bombe befindet.»
Pauli und ich wurden schneeweiss.
Gerade noch hatte ich Pauli wegen seiner übervorsichtigen Vorkehrungen veräppelt und nun schien selbst dies nicht genug gewesen zu sein, denn wir sassen auf einer Autobombe, und nur dem Glück war es zu verdanken, dass wir nicht das Zeitliche gesegnet hatten. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass tatsächlich eine Autobombe eingebaut war, ja sogar, dass das Ding hochgegangen wäre, hätte ich den Feueranzünder herausgezogen. Wer immer das Ding montiert hatte, schien Paulis Rauchgewohnheit zu kennen. Im Nachhinein, als wir uns von dem Schock wieder erholt hatten, scherzte ich: «Pauli, das Auto wechseln bringt nichts. Stell dir nur vor wir wären heute draufgegangen. Das wäre ja das Eine, aber in einem VW Golf draufzugehen, statt in einem Mercedes, das wäre dann echt das Letzte gewesen.»
Zurück zum Rehtobel, wo ich mich auf meiner Flucht immer noch im Zimmer oberhalb der Diskothek versteckt hielt. Dort kam nach einigen Tagen ein weiterer untergetauchter Typ namens Max dazu. Ein seltsamer Vogel, der wegen einer Kleinigkeit untertauchen musste. Ich befreundete mich etwas mit ihm, so hatte ich zumindest jemanden zum Reden, und so konnte ich die Langeweile in der Zeit ’auf der Matratze’ leichter ertragen.