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Schöne Frauen und Aktenzeichen XY

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Kaum in Rio eingelebt, wurde auch mein Herz fündig. Meine neue Flamme hiess Sandra. Sie war Chefärztin im lokalen Spital. Das einzige Hindernis war, sie hatte einen Freund und so konnten wir unsere Beziehung noch nicht wirklich vertiefen. Genau zu dieser Zeit kamen vier Milieubosse aus Österreich und Deutschland nach Rio. Wir trafen uns und machten vier Tage und Nächte lang Party, als gäbe es kein Morgen mehr. Es wurde getrunken, gegessen, getanzt und gefeiert ohne Pause. Zudem besuchten wir das Musikfestival Rock in Rio, wo rund 300’000 Besucher anwesend waren. Ein gewaltiges Festival. Das Highlight für mich war der Auftritt der Band Queen, die Rio wirklich zum Beben brachte.

Als die Partytage mit den Bossen vorüber und diese gerade wieder abgereist waren, stand Sandra bei mir zu Hause unangemeldet auf der Matte.

«Mit meinem Freund ist nun definitiv Schluss», schluchzte sie mir am Eingang entgegen, ergänzte es dann noch mit:

«Kann ich heute bei dir schlafen?»

Ich war nie der Typ Mann, der einfach Nein sagen konnte, und wie sehr ich Sandra auch mochte und begehrte, so gerne hätte ich ihr jetzt abgesagt, denn die vier Nächte pausenlosen Feierns hatten mir sehr zugesetzt. Doch schwach wie ich als Mann halt war, spielte ich den energievollen Tröster, im Wissen, dass die Formulierung von «bei dir schlafen» eher als «mit mir schlafen» zu verstehen war. Doch nach einem noch einigermassen gelungenen Vorspiel musste ich schnell erkennen, dass ich mich schwer überschätzt hatte, und wie sehr ich mich auch bemühte, meinen Mann konnte ich unmöglich stehen. Sandra schien dies persönlich zu nehmen, unter dem Motto: «Babe, du bist nicht mein Typ», so zog sie sich wütend an und warf mir den Ausdruck «Brocha» (Schlappschwanz/Bürste) an den Kopf, was in Brasilien so ziemlich der schlimmste Ausdruck ist, um einen Mann zu beleidigen. Die pure Demütigung, und das wohl übelste Gerücht, das man über einen verbreiten konnte. Als Sandra verschwand, erkundigte ich mich nochmals vorsichtshalber über die Bezeichnung «Brocha», die man mir dann wie folgt erklärte: Jemand der von Sex redet und wenn es darauf ankommt, nichts zu bieten hat ausser warmer Luft. Die Erklärung machte nichts besser, bestätigte lediglich, dass ich ein Problem hatte. Leider traf meine Befürchtung bald ein. Das Gerücht verbreitete sich, was gewaltig an meinem Ego kratzte. Einige Tage später traf ich auf der Gasse Christine, Sandras beste Kollegin, die mich ebenfalls direkt mit dem unschönen Wort neckte.

«Lass uns ein Zimmer nehmen, lass uns etwas Spass haben und prüfen, ob das Gerücht deiner Freundin stimmt.»

Ich pokerte hoch mit diesem unmoralischen Versuch zur Rettung meiner Ehre, doch mit Erfolg. Ausgeschlafen und willens schob ich mit Christine eine Nummer, als wäre ich nach jahrelangem Sexentzug gerade aus der Haft entlassen worden. Den Ruf eines Brochas hatte ich mir abgearbeitet, also meinen Ruf sozusagen wieder sauber gebumst. Wie es der Zufall wollte, trafen wir kurz darauf auf der Strasse Sandra, welche die Situation sofort deuten konnte, wodurch ich eine saftige Ohrfeige erhielt, da ich es mit ihrer Freundin getrieben hatte und es erst noch wagte, danach mit ihr durch die Strassen zu spazieren. Die Wogen glätteten sich jedoch bereits nach wenigen Minuten wieder. Wir mussten alle darüber lachen und machten uns gemeinsam auf, durch die Strassen zu ziehen. Die Strassen Rios, wo gelebt wird, wo man sich weit entfernt von der Schweiz, von Ernsthaftigkeit und grimmigen Gesichtern, sich nicht durch eine Geschichte wie diese den Tag verderben lässt, sondern man Feuer entfacht, dann Wasser darüber schüttet, bis nur noch Dampf in die Höhe steigt und man schnellst möglich wieder gemeinsam lachen kann, am nächsten Tag erwacht, ohne nur einmal noch einen Gedanken an den gestrigen Disput zu verschwenden, denn man lebt den Moment und lässt die Vergangenheit ruhen, wie kurz zurück sie auch liegen mag.

Ungefähr zwei Tage nach diesem kleinen Macho-Theater kam ein Anruf aus der Schweiz. Es war meine Ex-Frau mit üblen Nachrichten. «Hast du Aktenzeichen XY gesehen?», fragte sie hektisch. «Ich bin in Rio, da schau ich wohl kaum Schweizer Fernsehsender», spottete ich und fragte nach, wer von meinen Bekannten denn darin vorgekommen sei.

«Du!»

«Ich?»

Tatsächlich stellte sich heraus, dass ich durch Aktenzeichen XY gesucht wurde. Man stellte mich in einem Kurzfilm als höchst gefährlichen Gangster dar, der unter anderem wegen Drogenhandel gesucht sei. Das Erste was mich interessierte, war, ob meine Tochter Simone das alles auch gesehen hätte. Gottseidank war dem nicht so. Sie ging kurz vor Beginn der Sendung ins Bett, wo sie um diese Zeit auch hingehörte.

Ich musste ab sofort noch mehr auf der Hut sein, als bereits zuvor, denn Touristen aus der Schweiz gab es auch hier in Rio. Aktenzeichen XY galt damals als eine der Topsendungen mit einer unheimlich hohen Erfolgsquote, durch sie wurden viele Fälle gelöst. Als wäre das neue, erhöhte Risiko für mich nicht genug, ging mir auch langsam noch die Knete aus. So kontaktierte ich Fritz in Stäfa und bat ihn, mir 50’000 Franken nachzuschicken, denn ab jetzt wurde jede Bewegung teurer, es mussten eventuell Mäuler an den Grenzen gestopft, respektive bestochen werden und wer weiss, was sich noch für Hürden auf meinem Weg ergeben würden.

Fritz machte sofort den Check klar, der dann auf den Namen meines Nachbarn in Rio laufen sollte. Die Bank war vorinformiert und meldete sich bei Fritz, dass er am Freitag vorbeikommen solle. Leider wurde sein Telefon abgehört, genau wie das seiner Frau, und als Fritz bei seiner Frau den Bankbesuch erwähnte, war die Polizei alarmierte und stellte sich gemütlich am besagten Tag, auf die Lauer. Als Fritz bei der Bank eintraf, wurde er an Ort verhaftet. So auffällig die Schweizer Zivilfahnder zuvor waren, so dumm waren die hiesigen Polizisten. Denn anstatt Fritz zuerst die Sache mit dem Check abwickeln zu lassen, verhafteten sie ihn davor und verpassten so die Chance, meinen Aufenthaltsort zu erfahren. Fritz landete auf einem Stuhl im Verhörraum der Polizei.

«Wo ist Lutz? Wo sollte das Geld hin?», wurde er unzählige Male gefragt.

Ausgepresst wie eine Zitrone. Fritz schwieg eisern. Auch über das guter Cop – böser Cop Spiel konnte er lediglich lachen.

Meine Situation in Brasilien war alles andere als rosig. Mein portugiesisch war damals noch mager, in der einen Hosentasche herrschte bald Leere und in der anderen steckte ein schlecht gemachter Pass. Mit Sandra hatte ich unterdessen definitiv den Kontakt abgebrochen. Wie sehr sie mir auch gefiel, von meiner wahren Identität als Lutz liess ich sie nichts wissen. Sie hielt mich für Hogerforst und als den sollte sie mich auch in Erinnerung behalten, genau wie Christine auch.

In dieser Zeit erhielt ich einen Anruf aus der Schweiz. Werni, ein treuer Kumpel, wurde gerade aus der Untersuchungshaft entlassen und versprach mir, zur meiner Unterstützung nach Rio zu kommen. Werni war einst mein Mitarbeiter im Piccolo Giardino, wo er für mich als Koch arbeitete und sich mit der Zeit immer mehr zu einem guten Freund entwickelte. Als er bei mir ankam, waren meine Probleme zwar noch da, doch fiel mir alles leichter, denn ich hatte nun einen Weggefährten, der mir auf meiner weiteren Flucht zur Seite stehen würde.

Mein Leben als Schneekönig

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