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Vorwort von Sascha Michael Campi
Оглавление«Kennst du den Schneekönig?», fragte mich ein guter Freund und Mitinsasse in der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies, in der ich selbst mehrere Jahre inhaftiert war.
«Ja», antwortete ich, wobei ich den Namen spontan mit einem amerikanischen Spielfilm assoziierte, da gerade Filme wie Snowwhite and the Huntsman und The Snowman in Kino und TV angesagt waren. Der Irrtum klärte sich schnell, ich musste zugeben, dass ich den Namen nur aus der Presse sowie aus der Biografie meines Rechtsanwaltes Dr. jur. Valentin Landmann kannte. Der Schneekönig selbst war mir noch nie begegnet. Was ich über ihn gelesen hatte, interessierte mich nicht, ich hegte keinerlei Sympathien für ihn.
Wenige Tage nach diesem kurzen Gespräch, sah ich zufällig einen Artikel im Tagesanzeiger, mit der fetten Schlagzeile «Der Schneekönig muss für 7,5 Jahre ins Gefängnis», darunter die Karikatur aus der Gerichtsverhandlung. Seit diesem Artikel verfestigte sich in meinem Gedächtnis das Bild dieser Karikatur zum Namen Schneekönig. Gleichzeitig begann mir aufzufallen, wie viele Insassen immer wieder von dieser Zürcher Milieu Koryphäe sprachen. Langsam fragte ich mich, wer ist dieser Mann? Was ist es, was ihn ausmacht?
Rund ein Jahr später wurde ich in die halboffene Anstalt Saxerriet versetzt, wo kurz darauf noch ein neuer Insasse dazu kam, der mir irgendwie bekannt vorkam, den ich jedoch nicht einordnen konnte.
«Weisst du, wer das ist?», fragte mich einer der dortigen Insassen mit einem nicht zu übersehenden Lächeln.
Wie sich herausstellte, war es der Mann, der als Karikatur in meinem Kopf schon schubladisiert war. Trotz einer gewissen Neugier, die ich nicht abstreiten will, versuchte ich dem Schneekönig fern zu bleiben. Ich war von Vorurteilen und einigen Gerüchten geblendet und empfand es als besser, den Kontakt zu meiden. Irgendwann jedoch kam das, was im Gefängnis gang und gäbe ist, man trifft unweigerlich aufeinander, da man sich auf diesem engen Raum nur schwer aus dem Weg gehen kann. Er war sympathischer als gedacht, intelligenter als vermutet. Pluspunkte die mich allerdings von meinem Vorhaben Distanz zu wahren, nicht abhielten. Einige Tage später wechselten wir im Korridor der Strafanstalt Saxerriet spontan einige Worte, wobei er erwähnte, gerade am Manuskript für seine Biografie zu arbeiten. Das interessierte mich, da ich selbst ein leidenschaftlicher Schreiber bin und mich immer freute, in der Haft jemanden zu treffen, der diese Leidenschaft teilte. Als ich dem Schneekönig erzählte, dass ich selbst in den letzten Jahren neun Buchmanuskripte verfasst hätte und mein erstes Buch demnächst veröffentlicht würde, weckte ich auch sein Interesse. Kurze Zeit später besuchte mich der Schneekönig in meiner Zelle, stellte mir Fragen zur Manuskripterstellung und zur Publikation, die ich ihm auch beantworten konnte. Wir fanden rasch Gemeinsamkeiten, gleiche Ansichten und teilten denselben Humor, so hatten wir immer was zu lachen.
«Würdest du mein Manuskript für mich ausarbeiten?», fragte er mich eines Tages.
Gereizt hatte es mich, doch musste ich ihm absagen, da mir auch die Geschichte zwischen dem Schneekönig und Valentin Landmann bekannt war, zumindest ein Teil davon. Ich erachtete es als unpassend, die Biografie eines Mannes zu bearbeiten, der einst dafür verantwortlich war, dass ein Freund von mir hinter Gittern landete. Und wie würde es wirken, wenn ich, der zu dieser Zeit gerade ein Buch in Zusammenarbeit mit Valentin Landmann herausgab, nun auch noch für das gegnerische Lager schreiben würde, das hätte meiner Ansicht nach nicht gepasst. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es ein gegnerisches Lager gar nicht gab.
Denn mit der Zeit erkannte ich, dass die freundschaftliche Beziehung zwischen dem Schneekönig und Valentin Landmann vorhanden und beständig war, die in der Vergangenheit nur eine Kerbe erlitt, über die jedoch beide Seiten hinweg waren. Auch wenn es sicher zwei Versionen über die damaligen Geschehnisse gibt, die nicht komplett, sondern nur leicht voneinander abweichen, verursachte es nie den Bruch der Freundschaft dieser beiden Zürcher Koryphäen.
Irgendwann doppelte der Schneekönig freundlich nach, indem er mich fragte, ob ich nicht wenigstens sein Manuskript auf Schreibfehler durchsuchen könnte, eine Aufgabe, der ich guten Gewissens zustimmen konnte. Während dem Korrigieren reizte es mich dann doch immer mehr, das Manuskript zu bearbeiten. So nahm ich den Hörer in die Hand, um Valentin Landmann privat zu kontaktieren und seinen Segen erbat, für Reini das Manuskript ausarbeiten zu dürfen. Valentin hielt die Idee für gut, war damit vollkommen einverstanden, wünschte uns beiden sogar herzlichst viel Erfolg.
So begann ich eifrig und in unzähligen Stunden, das Buch «Der Schneekönig – Knete, Koks und Kanonen» zu schreiben. Durch unsere Freundschaft und meine Arbeit am vorliegenden Buch entwickelte sich der Schneekönig für mich immer mehr zu Reinhard Lutz, und aus der Zürcher Milieu Koryphäe, von der so viele nur aus Distanz Kenntnis haben, wurde mir mit der Zeit eine gut vertraute Person aus Fleisch und Blut.
Reinis Manuskript war ein inhaltlich geniales Werk, das nur noch zurecht geformt werden musste. Das Schaffen an diesem Buch hat mir viel Freude bereitet und mir Einblicke in eine Welt gegeben, von der man nur selten etwas mitbekommt. Dies ist keine fiktive Geschichte, kein Roman. Reinis Erlebnisse sind real, aber manchmal so filmreif, dass doch gewisse Zweifel aufkommen können, ob das eine oder andere wohl nicht doch geflunkert sei. Bei der Arbeit am Buch konnte ich noch so kritische Fragen stellen, Reinhard konnte immer alles plausibel und detailliert beantworten und in den meisten Fällen sogar belegen.
Reinhard Lutz habe ich als interessierten und hochintelligenten Menschen kennengelernt, der mir wieder bewusstmachte, wie falsch manchmal der erste Eindruck sein kann, vor allem dann, wenn er nur auf Gelesenem oder dem Hörensagen basiert. Besonders trifft es Straftäter, die medial durch die Mangel gezogen wurden.
Ich freue mich, das Vorwort für ihn schreiben zu dürfen. Denn so ist der Schneekönig, so habe ich ihn kennen und schätzen gelernt. Für ihn zählt nicht die Position, der Ruf oder der Nutzen, den er aus einer Bindung ziehen kann, sondern für ihn zählt der Mensch. Wer ihm Gutes tut, soll auch Gutes von ihm zurückerhalten.
Ich bedanke mich herzlich bei Reinhard Lutz und wünsche ihm für seinen weiteren Weg nur das Beste. Seiner Einladung, ihn in Rio de Janeiro zu besuchen, werde ich gerne folgen.
Sascha Michael Campi