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Nazi Bruno und die argentinischen Casinos
ОглавлениеWährend der Zeit mit Werni traf ich auf einen Mann namens Bruno Heinzl, den ich bereits lange Zeit zuvor kennengelernt hatte. Bruno war eine seltsame Gestalt, zudem schien er irgendwie immer noch zwischen 1939 und 1945 zu leben, wenn Sie wissen, was ich meine. Einst als Kampfpilot im zweiten Weltkrieg, war er heute immer noch ein überzeugter Nazi, wie er es damals hoch oben in den Lüften war. Bruno kam mir gerade recht, denn es galt nun endlich mein Geldproblem zu lösen und dazu passte, was er in seiner Jackentasche verstaut hielt.
Um meine Hosentasche vor der Leere zu bewahren, griff ich zu einer Methode, über die nun viele gleich schmunzeln werden und zwar auf die des Glückspiels. Denn im Gefängnis Saxerriet hat mir ein 72-jähriger Greis Jahre zuvor ein sensationelles Roulette System beigebracht, das mich nun vor dem Ruin retten sollte. Der alte Mann arbeitete im Saxerriet in einem Betrieb, wo Schlafsäcke repariert wurden. Er war sehr verschlossen und eigentlich nur darin auffällig, dass seine Frau ihn regelmässig mit einem Rolls Royce besuchen kam. Eines Tages kam ein Aufseher in den Betrieb, wo der Greis arbeitete und fragte nach, wo denn die anderen drei Insassen seien, die ebenfalls Schlafsäcke hätten reparieren müssen. Ohne gross nachzudenken antwortete der alte Mann.
«Die schlafen dahinten.»
Als der Aufseher nach einem Zusammenschiss für die drei «Schlafsäcke» den Raum verliess, waren die so aufgebracht, dass sie den alten Mann verprügeln wollten. Zufällig kam ich da gerade dazu und konnte den Mann von den Prügeln seines Lebens bewahren. Nach der Rettung versprach mir der alte Mann, mir ein Geschenk fürs Leben mitzugeben. Er lud mich in seine Zelle ein, deren Wände komplett mit Permanenzen verhängt waren. Permanenzen sind offizielle Zahlen, die in verschiedenen Casinos bereits gespielt wurden. Der alte Mann hatte also ein komplettes Roulette System erlernt, das er mir beizubringen begann. Anfänglich war es für mich nur ein Zeitvertreib, denn meine Skepsis demgegenüber war gross. Nach meiner Entlassung nahm ich bei der Pro-Kredit Bank einen Privatkredit von fünfzehntausend Franken auf. Damit erwarb ich einen Fiat 124 sowie einen billigen Anzug. Mit dieser Ausstattung begab ich mich jeden Tag nach der Arbeit ins Kasino in Konstanz, dieser Zeit gab es bei uns solche Zockerpaläste zu noch nicht. Das Roulette-System taugte tatsächlich, auch wenn ich es anfänglich für einen Zufall hielt. Nach kurzer Zeit hatte ich meinen gesamten Kredit vorzeitig zurückbezahlt und mir erst noch eine Kawasaki geleistet. Das System funktionierte lange, bis ich eines Tages 8’000 Franken verlor. So begann ich den Fehler zu eruieren, und arbeitete lange an der Verbesserung des Algorithmus, doch bekam ich nie die Möglichkeit, diesen praktisch zu testen. Bis in Rio, wo ich jetzt nur noch dieses Ass im Ärmel hatte. Ein System, das ich verbessert, aber noch nie ausprobiert hatte.
Ich machte mich also auf die Suche nach Casinos, wobei ich schnell erfuhr, dass es solche, genau wie in der Schweiz, zu dieser Zeit in Brasilien gar nicht gab. Die einzige Möglichkeit bestand im Nachbarland Argentinien. Ich musste somit unbedingt nach Buenos Aires kommen. Dort befand sich das «Mara de Plata», und da wollte ich hin. Zur Deckung der Reisekosten verscherbelte ich meine Rolex in den Strassen von Rio für ein Flugticket.
Bruno Heinzl sollte mich neben Werni begleiten, denn der hatte in seiner Jackentasche den roten UNO-Diplomatenpass, und da mir mein holländischer Hogerforst-Pass immer noch regelmässig Bauchschmerzen bereitete, konnte der Diplomat durchaus hilfreich sein.
Kaum in Buenos Aires angelangt, bestiegen wir ein Taxi, aufgeregt wie junge Teenager auf ihrem ersten Urlaub ohne Eltern.
«Ab ins Mara de Plata!», schrien wir synchron zum Fahrersitz.
Der Taxichauffeur konfrontierte uns aber mit der harten Realität, indem er uns aufklärte, dass es bis dorthin eine sechs stündige Autofahrt sein würde. So mussten wir unseren Plan verschieben und noch eine Nacht im Hotel verbringen. Eine Nacht der Ruhe vor dem Sturm, vor dem Dreh des Roulette Tellers, vor dem gestapelten Geld oder der anderen unschönen Möglichkeit – des endgültigen Ruins.
Am nächsten Tag begaben wir uns mit dem Bus auf die lange Fahrt. Endlich am richtigen Ort angelangt, stiegen wir erneut in ein Taxi.
«Ab ins Mara de Plata!», schrien wir wieder synchron.
«Das wird gerade umgebaut», sagte der Taxifahrer.
«Umgebaut?», fragte ich aus tiefster Kehle.
«Ja, Señores. Sie haben jedoch Glück, morgen ist bereits die Neueröffnung und es darf sogar ohne Limit gespielt werden.»
Mein Puls senkte sich wieder in etwa auf die Hälfte und so landeten wir erneut in einem Hotelzimmer, wo wir nochmals einen Tag warteten.
Am nächsten Tag war es dann endgültig soweit, auch wenn die Information des Taxifahrers falsch war, was das No Limit betraf, denn es gab ein einhundert Dollar Limit. Von vierzehn bis zwei Uhr morgens wurde durchgespielt, und von da an ging dies tagelang so weiter. Es wurde gezockt, gezockt und wieder gezockt. Nach rund drei Wochen hatten wir die umgerechnet rund 70’000 Franken zusammen, die wir benötigten, um mit Reserven nach Rio zurückkehren zu können. Ratzfatz sind drei Wochen um, betrachtet man das Ergebnis, für das andere in der Schweiz ein Jahr hart gearbeitet hätten und wovon sie erst noch achtzig Prozent für Rechnungen verbraucht hätten. Dann kam der Moment, als Bruno sich von uns verabschiedete, denn er benötigte etwas Ruhe, schliesslich war er auch nicht mehr der Jüngste.
Werni lernte eine Frau kennen und reiste mit ihr nach Espirito Santo. Als er weg war, lernte auch ich eine neue brasilianische Lady kennen.
Meine neue Flamme war der Hammer, jedoch äusserst eifersüchtig. Und wer Latinas kennt, der weiss, dass deren Eifersucht nicht mit der von europäischen Frauen verglichen werden kann. Bei ihnen ergibt Eifersucht kein Feuer, sondern einen Flächenbrand. Ein Blick in die Augen einer anderen Frau oder auf irgendwelche auffälligen Rundungen und Peng wäre eine Flasche auf deren Kopf zersplittert. So eine war meine Neue. Ein bisschen irre und knallhart. Oder schlimmer! Ich begann mich wieder über meine Rückkehr in Rio zu freuen und amüsierte mich mit ihr. Einige Tage später inmitten eines kleinen Strassenfestes griff ich meiner irren Freundin in die Handtasche, um ein Feuerzeug zu suchen, und was ich dort in meinen Fingern spürte, war ganz sicher nicht die Art von Feuererzeuger nach der ich gesucht hatte.
«Warum trägst du eine Waffe bei dir?», erkundigte ich mich schockiert über meinen Fund.
«Zur Sicherheit. Naja, eigentlich dürfte ich keine Waffe bei mir tragen, denn ich hatte damals meinen Exfreund in São Paolo erschossen. Man hat mir dann was am Hirn operiert, das ist aber noch immer nicht so gut.»
Das muss man sich mal vorstellen. Man weiss, dass sein Betthase etwas irre ist, nimmt es jedoch in Kauf, bis man zur Erkenntnis gelangt, dass sie nicht nur eine Irre, sondern auch eine bewaffnete Irre ist. Da wird auch einem Schneekönig mulmig zu Mute. Nicht besser machten es die zusätzlichen Geschichten, die sie mir in ihrem Wortrausch dann noch zu erzählen begann, wie zum Beispiel, dass irgendwer sie am Kopf operiert hätte, wodurch sie ab und zu ihre Emotionen nicht ganz im Griff hätte.
Auf und davon! war mein Vorsatz, den ich schnell umsetzte, in der Hoffnung diese Psychopathin nie mehr sehen zu müssen.
Einige Wochen später kehrte Werni zurück. Jedoch ohne Anhang, denn diesen hatte er in Espírito Santo zurückgelassen. Ich freute mich ihn wiederzusehen. Werni quartierte sich in meiner Wohnung ein.
Am nächsten Tag, als ich gerade aufgestanden und auf dem Weg zum Frühstückstisch war, hörte ich bereits von Weitem, dass Werni eine weibliche Besucherin zu haben schien. Ihr Gespräch war bereits vom Wohnungskorridor her zu hören. Als ich näherkam, mir gerade nochmal die Augen wach rieb, traf mich beinahe der Schock. Werni hatte doch tatsächlich die irre Psychopathin abgeschleppt. Es durfte nicht wahr sein, da brachte er mir ausgerechnet diese menschliche Zeitbombe zurück in meine vier Wände.
«Werni, das ist eine Psychopathin. Ich kenne sie. Sie hat eine Waffe und vor kurzem ihren Freund erschossen. Die ist unberechenbar, glaub mir!», warnte ich meinen Freund auf Deutsch, so dass die Irre nichts davon mitbekam.
Ihr Blick verriet mir während meiner Rede, dass sie gar nicht an Werni interessiert war, sondern ihn lediglich benutzte, um mir nahe zu sein. Oh je, wo war ich da wieder reingeraten?
Schnell musste ich erkennen, dass Werni, ja, wie ich ein Mann war und somit schwach, wenn es um Frauen, Kurven, Liebe und erst recht um Sex ging. Meine Worte prallten also an eine Wand, jedes weitere wäre schade um die Spuke gewesen. Unterlassen und abwarten war angesagt.
Als Werni am Abend einschlief, schlich sich die Irre zu mir rüber ins Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich zu mir ins Bett.
«Du weisst mein Schatz, ich liebe nur dich.»
Mich überkam ein Schauer, wie in einem Horrorfilm, wenn eine plötzlich zum Leben erwachte Marionette seinen Besitzer anspricht, in einem Ton, der zwischen den Zeilen sagt, ich bin dein Mörder. Ich versuchte die Irre so nett wie möglich abzuwimmeln, was mir auch gelang. In der nächsten Nacht startete sie jedoch den zweiten Versuch. Nach dem dritten Versuch konfrontierte ich Werni mit der Wahrheit, im Wissen, dass es kein einfacher Schritt werden würde. Das Resultat war höchst enttäuschend, denn statt mir zu glauben, verfiel er in eine durch Liebe geblendete Paranoia, in der er mir unterstellte, ich wolle einzig seine Beziehung zu der Irren zerstören, um selbst wieder bei ihr andocken zu können. Nicht einmal ihre Annäherungsversuche wollte Werni mir glauben, nein, er verspottete mich gar wegen meinen Behauptungen. In der gleichen Nacht dockte die Irre wieder in meinem Hafen an, wo ich sie diesmal jedoch nicht abwies. Im Gegenteil. Das Schiff durfte anlegen, die Löschung konnte starten. Ich hatte langen und intensiven wilden Sex mit ihr, nur damit sie am Ende schweissgebadet in meinem Bett lag und nach Luft hechelte. In diesem Moment täuschte ich einen Gang ins Badezimmer vor. In Wahrheit weckte ich Werni und führte ihn in mein Schlafzimmer, wo er dann endlich mit der bitteren Realität konfrontiert wurde. Werni war schockiert, begann dabei zu weinen wie ein kleines Kind, der gerade sein Lieblingsspielzeug im Meer verloren hatte. Zwei Wochen lang sprach er kein Wort mehr mit mir. Bis er sich dann endlich wieder eingekriegt hatte.