Читать книгу Mein Leben als Schneekönig - Reinhard Lutz - Страница 12
Meine Entlassung in die Einsamkeit 1980
ОглавлениеWas ich nach der Haft mache, interessierte weder das Gefängnis noch die Justizbehörde, ganz im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo es sich so krass verändert hat, dass der alte Zustand gerade als angenehm empfunden werden könnte, denn heutzutage muss man beinahe schon einen Business Plan fürs Leben vorlegen, um überhaupt entlassen zu werden.
Da stand ich nun, mit meinem Geld, das ich mir mit Gefängnisarbeit hart erarbeitet hatte. Dieses Geld nun für Hotelzimmer zu verschwenden war keine Option, schon gar nicht auf die Dauer. Ich konnte glücklicherweise zuerst bei einer Nachbarsfamilie unterkommen, in der Gegend wo ich früher aufgewachsen bin, bei netten Menschen, mit denen ich sogar ein besseres Verhältnis hatte, als mit meiner Familie, für die bereits die Bezeichnung als solche nicht mehr gerecht war. Nach einer Weile konnte ich die Wohnung eines Freundes als Nachmieter übernehmen. Die Wohnung war bereits teilmöbliert, sodass ich beim Einzug, seit langem endlich mal wieder meine eigenen vier Wände hatte, aber auch etwas das noch viel wertvoller war, etwas Ruhe. Obschon ich durch die Gefängnisuniversität nun geschult war und so manche Kniffe kannte, wie ich meine Taschen schnell füllen und meinen Lebensstandard verbessern konnte, nahm ich mir klar vor, immer auf der rechten Bahn zu bleiben. Kein Abdriften mehr, keine kriminellen Dinge und kein schnelles Geld. Wie gross die Verführung auch war, ich widerstand ihr tapfer und begann als Maler zu arbeiten. Auf dieser Bahn des ehrlichen, hart arbeitenden Bürgers lernte ich eine neue Frau kennen, mit der ich schnell zusammenkam. Sie hiess Margrit Mathis. Während unserer Beziehung musste ich für einen Monat nach Spanien, wo ich als Allrounder für einen Kollegen an der Renovation eines Hauses arbeitete. Nach meiner Rückkehr wirkte Mägi auf mich verändert, doch fand ich keine Erklärung dafür. Als wir kurz nach meiner Ankunft ins Tessin fuhren und sie mir hinten auf der Harley-Davidson bei einer Geschwindigkeit von etwa 150 Km/h beinahe einschlief, wurde ich skeptischer. Unseren Urlaub, der für eine Woche geplant war, mussten wir nach drei Tagen bereits abbrechen, da Mägi an fürchterlichem Fieber litt und sie sich vor Schmerzen krümmte. Da hat sie mir gebeichtet, dass sie heroinsüchtig geworden sei. Während meiner Abwesenheit in Spanien hatte sie angefangen sich Heroin zu spritzen. Wieso sie es machte, war mir ein Rätsel und auch sie fand keine Worte, mir dies zu erklären. Ich hatte zuvor noch nie mit der Droge zu tun. Heroin war mir lediglich aus TV-Dokumentationen und aus den Zeitungen bekannt. Die Folgen waren mir jedoch klar. Umso mehr weckte es in mir enormes Mitleid. Wie konnte ein so nettes, so unscheinbar junges Mädel sich nur auf so eine selbstzerstörerische, teuflische Droge einlassen? Von da an versuchte ich verzweifelt alles, und ich meine wirklich alles, um Mägi von diesem Teufelszeug wegzubringen. Doch vergebens. Irgendwann blieb mir nur noch die Trennung, wollte ich mit meiner wirkungslosen Hilfe nicht selbst zu Grunde gehen. Hätte ich mich nicht getrennt, wer weiss, eventuell hätte ich mich aus Verzweiflung einst auch noch auf das Zeugs eingelassen und mein Leben ebenso frühzeitig vernichtet wie sie ihres. Nach der Beziehung mit Mägi lernte ich das eine oder andere Mädel kennen, bei keiner entwickelte sich jedoch etwas Ernsthaftes, bis Chrigi in mein Leben trat. Eine wunderschöne Frau, die gerade ihre Lehre im KV absolvierte, aber erst achtzehn Jahre jung war. Meine Ex-Frau, man mag es kaum glauben, startete gerade in dieser Zeit einen erneuten Versuch, ob ich es nicht nochmal mit ihr versuchen wolle, scheinbar war ihr Neuer weg, ob die Stereoanlage und die Möbel es auch waren, ich kann mich nicht erinnern. Diesmal blieb ich allerdings standhaft, folgte meinen Prioritäten, meinem Seelen-Tattoo und wies sie ab. Beinahe jämmerlich wirkte dann das Argument, als sie begann davon zu sprechen, ich solle meiner Tochter zu liebe zurückkehren, denn sie würde mich doch so sehr vermissen. Doch genau auch meiner Tochter zu liebe, hätte ich erst recht keinen dritten Versuch gestartet. Das Kind hätte doch die Welt gar nicht mehr verstanden, würde ich zu Hause andauernd wieder ein- und ausziehen, würde mal ich, mal irgendein Typ mit Stereoanlage und Möbel dort hausen, je nachdem was Madame sich gerade wieder vornahm. Ich war keine Marionette – jedenfalls jetzt keine mehr. Und eines war ebenso klar: nie mehr, aber niemals, würde ich je wieder eine sein!