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bb) Haftgründe
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Nach § 114 Abs. 2 Nr. 3 muss der Haftbefehl den Haftgrund bezeichnen, also etwa Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr. Streitig ist, ob bei Vorliegen mehrerer Haftgründe alle im Haftbefehl aufzuführen sind. Eine weit verbreitete Meinung verneint dies, allerdings ohne Begründung.[17] Diese Auffassung ist mit einer rechtsstaatlichen Verfahrensweise nicht zu vereinbaren, da der Anspruch auf rechtliches Gehör schlicht umgangen und der Beschuldigte durch Verschweigen von Haftgründen in seiner Verteidigung in die Irre geführt werden kann.[18] Der Haftbefehl hat die Funktion, dem Beschuldigten zu eröffnen, wegen welcher Tat und aus welchen Gründen er in Haft genommen wird. Nur wenn der Haftbefehl diese Angaben vollständig, also auch alle Haftgründe, enthält, wird der Beschuldigte in die Lage versetzt, sich sachgerecht und effektiv zu verteidigen[19]. Die Möglichkeit zur umfassenden Verteidigung würde dem Beschuldigten aber abgeschnitten, wenn in dem Haftbefehl nicht alle Haftgründe aufgeführt sind, die nach Auffassung des Haftrichters vorliegen. Der Beschuldigte und sein Verteidiger konzentrieren sich mangels anderer Anhaltspunkte auf den im Haftbefehl angegebenen Haftgrund. Im Falle des Verschweigens anderer Haftgründe könnte dies dazu führen, dass dem Beschuldigten eine erfolgversprechende Verteidigung gegen den im Haftbefehl angegebenen Haftgrund gelingt, er jedoch – etwa während einer Haftprüfung oder in der Beschwerde – davon überrascht wird, dass plötzlich ein anderer Haftgrund nachgeschoben wird. Eine sachgerechte Verteidigung wird in diesem Fall unmöglich gemacht, weil es z.B. während der Haftprüfung, in der der Haftgrund der Fluchtgefahr nachgeschoben wird, nicht mehr möglich ist, die zur Verteidigung gegen die Fluchtgefahr notwendigen Unterlagen wie Meldebescheinigung, Mietvertrag, Arbeitsvertrag, eventuell Sicherheitsleistung beizubringen oder aber durch präsente Zeugen den Nachweis sozialer Bindungen zu führen. Es ist mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht zu vereinbaren, dem Beschuldigten das Vorliegen anderer Haftgründe durch deren Nichterwähnen im Haftbefehl zu verschweigen. Bei der Möglichkeit des jederzeitigen Nachschiebens von Haftgründen, obwohl deren Voraussetzungen bereits vorher geprüft und über sie entschieden werden konnte, würde der Beschuldigte zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert, mit dem man beliebig verfahren kann. Darüber hinaus ist anerkannt, dass bei einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls nur solche Auflagen angeordnet werden dürfen, die dem Zweck dienen, als weniger einschneidende Maßnahmen den Vollzug zu ersetzen, indem sie den im Einzelfall vorliegenden Haftgrund zurückdrängen.[20] Die Außervollzugsetzung gegen Auflagen hat sich daher ausschließlich an dem Haftgrund zu orientieren. Die Prüfung der Außervollzugsetzung und eine dahingehende Verteidigung würden aber ins Leere laufen, wenn der Haftgrund beliebig ausgewechselt werden könnte bzw. ein bisher im Haftbefehl nicht erscheinender Haftgrund plötzlich nachgeschoben werden könnte. Praktikabilitätserwägungen dergestalt, nur solche Haftgründe aufzunehmen, die nach dem Stand der Ermittlungen am besten abgesichert sind,[21] haben in einem rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahren keinen Platz und können nicht zur Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten und der Umgehung des Anspruchs auf rechtliches Gehör herangezogen werden.