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Misstrauen

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Vitus streckte sich und gähnte herzhaft, wobei er eine Reihe ungewöhnlich gerader und makelloser Zähne zeigte. Beim Anblick der dampfenden Schüssel, die Elisabeth ihm reichte, knurrte sein Magen vernehmlich.

„Es hört sich an, als hätte ich tagelang nichts gegessen“, rechtfertigte er sich schmunzelnd. „Ansonsten fühle ich mich, als könnte ich Bäume ausreißen.“

„Du konntest auch tagelang nichts essen.“

„Was meinst du damit? Gestern Abend …“

„Von wegen gestern“, unterbrach ihn Elisabeth. „Zwei Tage hast du gefiebert. Mutter sagt, du wärst von einer Schlange gebissen worden und nur deshalb noch am Leben, weil du dich danach kaum bewegt hast. Natürlich haben auch die Heilkräuter, die ich dir verabreicht habe, dazu beigetragen, dass du jetzt wieder wohlauf bist.“ Der Stolz in Elisabeths Stimme war unüberhörbar.

„Kräuter? Welche Kräuter?“ Vitus’ Hand schnellte vor und ergriff ihr Handgelenk. „Welches Hexenzeugs habt ihr mir verabreicht, dass ich mich an nichts erinnern kann?“

Elisabeth sah die Furcht in seinen Augen. „Au, du tust mir weh.“ Mit energischem Ruck entriss sie sich seinem Griff. „Ist das der Dank dafür, dass wir uns Tag und Nacht um dich gekümmert haben?“ Sie rieb sich die Hand.

„Pah“, schnaubte Vitus. „Wahrscheinlich habt ihr das nur getan, damit ihr eine Entlohnung bekommt und die Häscher stehen schon vor der Tür.“

„Das Schlangengift scheint aus deinem Knöchel in deinen dummen Kopf gewandert zu sein“, empörte sich Elisabeth. „Glaubst du, Mutter und ich, sitzen Tag und Nacht an deinem Lager, wischen dir den Schweiß von der Stirn und flößen dir unseren besten Wein ein, um dich anschließend zu verraten?“ Ihre dunklen Augen nahmen eine gefährliche Schwärze an. „Besser, wir hätten dich in den Mainauen liegen lassen.“

In Vitus’ Kopf drehte sich alles. Es klang so einleuchtend, was dieses Mädchen vorbrachte und doch ...? Andererseits, woher sollten sie wissen, weshalb die Kurfürstlichen hinter ihm her sind. Und, wenn sie ihn verraten hätten, warum war er dann noch hier und läge nicht schon längst im Loch?

Er fuhr sich durch die rotblonden Locken. „Entschuldige. Ich bin nur … eh, ich dachte …“

„Du dachtest?“, unterbrach ihn Elisabeth, jetzt noch wütender. „Wenn du tatsächlich denken könntest, käme nicht solch ein Geschwätz aus deinem Mund.“ Mit kerzengeradem Rücken und hocherhobenem Kopf schritt sie zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. Was hatte er verbrochen ... was zu verbergen? Irgendetwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass er zu einer gar zu grauslichen Schandtat nicht fähig sei. Aber warum setzte er sich der Gefahr des Ertrinkens aus? Und dann sein panisches Misstrauen.

„Warum bist du aus dem Hörsteinischen geflüchtet?“

„Geflüchtet? Wer sagt, dass …? Ich bin … ich habe …“

„Niemand sagt das, aber jetzt weiß ich’s“, unterbrach sie sein Gestotter. „Deine zu schnelle und heftige Antwort hat dich verraten und der Ausdruck in deinem Gesicht.“

Beobachte die Leute und ihre Reflexe und du weißt, wann sie die Wahrheit erzählen, bläute der Vater ihr und ihren Geschwistern immer wieder ein.

„Was, eh …, was glaubst du geschieht jetzt mit mir?“, erkundigte sich Vitus kleinlaut.

„Mach dir keine Sorgen. Bei uns bist du sicher. Vater weiß was zu tun ist.“

„Dein Vater vermag wohl so vielerlei? Versteckt er öfter Menschen in seinem Stall?“

„Iss jetzt, sonst wird dein Haferbrei kalt.“

***

Drakonisch preschte der Trupp durch den Forst, sodass der Boden unter dem dröhnenden Galopp der zwanzig Pferdehufe erzitterte. Dürre Äste brachen krachend auseinander. Der pulvrige trockene Waldboden stieg in die Luft und hinterließ eine Staubwolke kaum, dass die Horde eine Pferdelänge vorbei war. Geschwind sausten die kleineren Waldbewohner in ihre sicheren Unterkünfte und das Rotwild suchte Deckung hinter dichtem Gebüsch.

Angeführt wurde die Rotte von Tillmann, dem Hauptmann der kurmainzerischen Landwehr. An einer Lichtung angelangt, hob er seine linke Hand und schrie: „Halt Männer.“

Mit der rechten griff er hart in die Zügel, bremste seinen mächtigen Rappen derart abrupt, dass dieser schnaubte und sich aufbäumte. Gleichwohl rabiat zog Tillmann, die Riemen enger und brüllte: „Wirst du wohl gehorchen, du Teufel.“

Erneut versuchte das Pferd zu bocken, was ihm einen zusätzlichen Tritt in die Flanken einbrachte und abermals einen Ruck am Zaumzeug. Der Schwarze rollte mit den Augen, tänzelte einen Moment und gab auf.

„Seht ihr.“ Tillmann drehte sich zu seinen Männern um. „So geht man mit bockigen Rössern um und mit widerspenstigem Weibsvolk.“ Sein hässliches Lachen schallte durch das Gehölz.

„Die Sonne steht schon tief. Schlagt das Lager auf“, befahl er gleich darauf mit strenger Stimme. „Morgen früh suchen wir weiter nach dem Hexenbuhler und seiner anmutigen Zaunreiterin.“

Gleichsam im Einvernehmen mit ihrem Hauptmann setzte seitens der Soldaten raues Gelächter ein.

„Die verhutzelte Alte muss im Beine-breit-machen wohl mächtig gut gewesen“, setzte Eckhardt hinzu und gab einen grunzenden Laut von sich. „Wie sonst wäre das Jüngelchen ihr erlegen.“

Er nutzte Gelegenheiten wie diese, um sich in der Gemeinschaft seiner Kumpane, die sich ansonsten von ihm distanzierten, einzuschmeicheln.

Sicher hingegen wusste er sich in der Gunst seines Hauptmanns. Hatte er ihn doch vom gewöhnlichen Stadtwehrknecht zum Leutnant und somit zu seinem Stellvertreter gemacht.

Dass Tillmann diese Fürsprache nicht uneigennützig vorgenommen hatte, davon ahnte Eckhardt nichts. Eckhardts unbedarfte Art, mit der er sich, ohne Aufsehen zu erregen, unter dem einfachen Volk bewegen konnte, war für Tillmann zweckdienlich. Hinzu kam seine Unkenntnis im Lesen und Schreiben. Folglich war gewiss, dass die Botschaften, mit denen er Eckhardt entsandte und die seinen persönlichen Bedürfnissen und seiner beruflichen Laufbahn zu Gute kommen sollten, ungelesen und ohne Schaden ihre Empfänger erreichten. Außerdem bedurfte Tillmann eines Gewährsmannes, einer Kontaktperson, die ihm ergeben und in jeglicher Hinsicht treu war; die er aber, falls es notwendig war, genau wie beim Schachspiel – das er hervorragend beherrschte – jederzeit gleich einem Bauern, würde opfern können.

„Eiferst wohl, Eckhardt? Kannst es ja mal ausprobieren, wenn wir die Hex erst eingefangen haben“, frotzelte einer seiner Kumpane. „Vielleicht lernst du ja noch etwas von dem klapprigen Weibsbild.“

„So alt scheint die Hex gar nicht zu sein“, mischte sich Walfried in die Hänselei. „Erst so um die Vierziger, hat mir der Amtmann erzählt. Aber pass auf, Eckhardt, dass du danach nicht in einen Ziegenbock verwandelt wirst.“ Walfried lachte schallend und spukte auf den Boden.

Hingegen wich alles Blut aus Eckhardts Gesicht. „Nie und nimmer wollt ich mich mit dieser Zauberschen einlassen. Das schwör ich, bei meiner Mutter Grab. Ich doch nicht!“

Mit weit aufgerissenen Augen schaute er Hilfe suchend zu seinem Hauptmann. Der bemaß, dass er dem Schabernack ein Ende bereiten müsse. Denn, wie schnell aus einem unbedarften Spiel bitterer Ernst werden konnte, war ihm bestens bekannt. Er selbst beherrschte dieses Spiel meisterhaft. Aber er wusste auch, dass einige seiner Männer – besonders Walfried – nicht verstanden, warum er ausgerechnet diesen einfältigen Stadtknecht zu seinem Vertrauten gemacht hatte.

„Lass gut sein Eckhardt. Niemand denkt so etwas von dir.“ Dabei streifte sein strenger Blick über seine Männer. Um seinen Worten zusätzlich Gewicht zu geben, legte er Eckhardt kurz die Hand auf die Schulter. Alsdann fuhr er im gewohnten Befehlston fort.

„Jetzt sieh zu, dass das Lager bald steht und die faulen Kerle sollen was zu essen besorgen.“

„Ja, Hauptmann, sofort. Ich kümmere mich darum.“

Eckhardt atmete erleichtert auf und eilte davon. Ja, auf seinen Hauptmann war Verlass. Das hatte er soeben wieder bewiesen. Egal was immer geschehen sollte, Tillmann würde zu ihm halten. Und er, Eckhardt, würde ihm nicht den geringsten Anlass geben, an seiner Pflichttreue zu zweifeln.

Mit nahezu ebenso fester Stimme trieb Eckhardt die Männer an, den Befehlen Tillmanns nachzukommen. Dann führte er ihre beiden Rösser zu einem kleinen Rinnsal, das er am Rande der Lichtung erspäht hatte.

Der Rappen war noch immer angespannt und Eckhardt streichelte ihm beruhigend den Hals. „Ist doch alles gut, Schwarzer. Kennst ihn doch. Musst ihn auch nicht immer reizen.“

Das Pferd wieherte und schüttelte unwillig den Kopf, bevor er sein Maul, ebenso wie Eckhardts kleine braune Stute, ins Wasser tauchte. Dabei wedelten die Rösser unaufhörlich mit ihren langen Schweifen, um die lästigen Mücken abzuwehren, die sich auf den schwitzenden Pferdeleibern niedergelassen hatten. Eckhardt rupfte trockene Grasbüschel aus und rieb die Rösser ab.

Langsam versank der rot glühende Sonnenball in der gegenüberliegenden Waldung und versprach für den kommenden Tag wieder einen schweißtreibenden und anstrengenden Ritt.

Hoffentlich werden wir diesem verdammten Teufelsweib und ihrem Jungchen bald habhaft, dachte Eckhardt. Alle gingen davon aus, dass die Zaunreiterin und das Jüngelchen gemeinsam unterwegs waren. Und, obwohl sie bis jetzt keinerlei Spuren hatten entdecken können, bestand Tillmann darauf, dass sie weiter auf der Geleitsstraße nach Seligenstadt ritten. Selbst wenn Vitus das Satansweib auf seinem Rücken schleppte, was Eckhardt bezweifelte, hätten sie doch irgendwelche Fährten entdecken müssen.

Obwohl, wenn der Gehörnte den beiden beistand …, flogen sie womöglich genau jetzt durch den abendlichen Himmel?

Instinktiv hob Eckhardt den Kopf und erschrak. Direkt über ihm kreiste ein Mäusebussard. Er erkannte ihn an seinen breiten, abgerundeten Flügeln und dem kurzen, rundgefächerten Schwanz. Jetzt stieß er auch noch ein weithin hörbares Hiäh aus. So, als ob der Greifvogel seinen Beobachter zusätzlich ängstigen wollte.

Vom Lagerplatz stieg Rauch auf. Eckhardts Magen erinnerte ihn, dass er seit dem frühen Morgen nichts mehr zu tun gehabt hatte. Wenn Tillmann hinter einem Ketzer oder wie derzeit einer Zaunreiterin und ihrem Bettschatz her war, gönnte er sich und seinen Mannen nicht die kleinste Rast. Hexen, so betonte er immer wieder, musste man schnellstens habhaft werden, damit sie auf dem Scheiterhaufen brennen und ihre Zauberkraft ausgemerzt würde.

Eckhardt bewunderte Tillmanns Verbissenheit, dem Bösen mit allen Mitteln den Garaus zu machen, selbst wenn das bedeutete, dass er Hunger leiden musste.

***

Mit einem Stück Brot wischte Vitus die Reste aus der Schüssel und sah sich um. Hier, in diesem Stall, neben Kühen und Pferden, hatte er also die letzten beiden Tage und Nächte verbracht. Er konnte sich nur daran erinnern, dass er nackt unter einer Decke kauerte und diese füllige Frau auf ihn herabsah. Nein, nicht ganz. Sie sagte noch etwas, doch schon das verstand Vitus nicht mehr. Dann hüllte ihn die Dunkelheit ein, bis er sich in einem hellen Licht wiederfand. In seiner Nähe stand die Muhme. Er streckte seine Hand nach ihr aus, konnte sie aber nicht erreichen. „Nein“, sprach sie, ohne, dass ihre Lippen sich bewegten. „Du musst wieder zurück.“

Nachdem Vitus erwacht war, fror er erbärmlich, trotz der vielen Decken, unter denen er eingewickelt lag. Er hörte Glocken läuten und war sich nicht sicher, ob er noch träumte. Dann erinnerte er sich, als er im Schilf gelegen und gewartet hatte, dass er ungesehen den Fluss überqueren konnte, immer wieder zu den Türmen einer gegenüberliegenden Kirche gesehen hatte. Sie wirkten gewaltig, aber auch schützend.

Den Becher heißer Milch, den Elisabeth etwas später brachte, trank Vitus gierig aus. Ebenso verschlang er das mit Honig gesüßte Hirse Mus; obwohl ein Stück gebratenes Kaninchen oder ein Eichhörnchen ihm lieber gewesen wäre. Doch nach Fleisch zu fragen traute er sich nicht und gleich darauf war Elisabeth, nach ihrem kleinen Wortwechsel, auch schon wieder gegangen.

Inzwischen fühlte er sich besser und sein Fuß schmerzte kaum mehr. Einzig eine leichte Schwellung, oberhalb des Knöchels zeugte von derlebensbedrohlichen Verletzung. Er zog sich an dem Holzbalken hoch, der seinen Schlafplatz, von dem der Huftiere trennte und richtete sich auf. Vorsichtig versuchte er ein paar Schritte und bemerkte erleichtert, dass auch das gelang. Jetzt hielt es ihn nicht länger in seiner Behausung. Er war es nicht gewohnt, eingesperrt zu sein, wollte raus, Licht sehen und frische Luft atmen.

Zögernd öffnete er die Tür und blinzelte in die Helligkeit, die ihn unsanft traf. Der kleine Innenhof, in dem er stand, wurde einerseits von einer niedrigen Mauer begrenzt und auf der anderen von der Stallung, aus der er kam. Von irgendwoher rauschte Wasser und es roch nach Gebratenem. Oder spielten ihm seine Sinne einen Streich? Nein! Der Duft waberte in Wellen durch die offen stehende Haustür und zog ihn magisch an.

Im Hof hatte die Morgensonne seinen Körper angenehm aufgewärmt, jetzt fröstelte es ihn in der Kühle des weiß gekalkten Flurs. Aus dem links gelegenen Raum vernahm er das Klappern von Kochgeschirr. Auch die verlockenden Wohlgerüche kamen von dort.

Als würde er einem Wild nachstellen schlich er voran. Längst hatte er die Hälfte des Hausgangs durchquert, da knarrte unter ihm eine Holzdiele. Er hielt inne, umklammerte das Geländer der Stiege, die in die oberen Räumlichkeiten führte und traute kaum zu atmen. Er wagte sich weiter und lugte in die Küche. Eine dralle Weibsperson saß an einem langen Holztisch und schälte mit einem scharf aussehenden Messer Zwiebeln. Sie hatte den Kopf gesenkt, murmelte unentwegt vor sich hin, und ab und an fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Unter ihrer weißen Haube baumelten einige vorwitzige rotblonde Locken hervor, die bei jedem „Amen“, das sie mit einem Kopfnicken unterstrich, rauf und runter wippten.

Brodeln und Zischen auf dem Herd unterbrachen ihre geruhsame Tätigkeit. Sie sprang auf, und just in diesem Moment entdeckte sie Vitus. Der erstarrte, ebenso wie die Frau. Die beiden sahen sich an.

Oft genug hatte er erfahren, dass ein Tier, das sich in einer bedrohten, hoffnungslosen Lage befand, äußerst gefährlich war. In den Augen dieser Weibsperson stand das gleiche Feuer. Dazu hielt sie das Messer gegen ihn gerichtet.

Ähnlich der unterwürfigen Geste, die er bei Wölfen beobachtet hatte, ging Vitus langsam in die Knie.

„Bitte.“ Zu seinem eigenen Erstaunen bebte seine Stimme. „Bitte, tut mir nichts. Euer Herr war so gnädig, mich im Stall zu verstecken und nun wollte …“

„Und jetzt wolltest du mal sehen, was es hier so zu holen gibt“, unterbrach Käthe ihn eisig.

„Nein, nein. Ganz gewiss nicht“, beteuerte Vitus. „Nur frische Luft wollte ich … und dann war da dieser köstliche Duft und ...“

„Heilige Maria, die Suppe.“ Hurtig drehte Käthe sich zu der blubbernden, auf die Herdplatte überkochenden Brühe. Das Messer in der einen Hand und einen Lappen in der anderen, versuchte sie den Topf zur Seite zu ziehen, was ihr nicht gelang, weil die übergeschwappte Flüssigkeit sich teilweise auf der Herdoberfläche eingebrannt hatte. Unschlüssig stand sie vor dem Dilemma.

„Bleib ja wo du bist“, drohte sie Vitus, das scharfe Messer in der Hand schwingend.

In diesem Augenblick flog die Haustür auf und forschen Schrittes schoss Gretel herein, gefolgt von Hannes und den Kindern.

„Käthe?!“ Ihr Blick streifte Vitus. „Wieso liegt der auf allen Vieren in meiner Küche?“ Sie rauschte an ihm vorbei. „Oh Gott, oh Gott. Käthe, die gute Fleischbrühe! Hab ich es nicht gesagt, Hannes? Schon an der Laurentiuskapelle hab ich es gerochen.“

Gretel entriss Käthe den Lappen und brachte die Suppe in Sicherheit. Dann fiel ihr das Messer auf. „Wolltest du den etwa damit abstechen?“ Sie schwenkte ihren Kopf in Vitus‘ Richtung. Der war mittlerweile aufgestanden.

„Er hätt’s verdient“, brummte Käthe. „Schleicht hier rum und erschreckt ehrliche Leut’. Bestimmt wollte es alles ausschnüffeln und uns dann bestehlen.“

„Red’ keinen Unsinn“, mischte Hannes sich ein und drückte Vitus auf die Küchenbank.

„Martin, Christoph“, befahl er seinen beiden Ältesten, „holt Wein aus der Gaststube. Ich denke, ich muss Euch allen etwas sehr Wichtiges mitteilen.“

Gretel zog die Augenbrauen hoch und guckte ihren Gatten zweifelnd an.

„Du siehst doch selbst, dass es keinen Aufschub duldet“, erwiderte er. „Es geht um Vitus, unseren Gast.“

Der sackte in sich zusammen. Sie haben es herausgefunden. Gleich wird der Schultheiß mit der Stadtwache erscheinen und dann werden sie mich in den Turm werfen. Der kurze Gedanke an Flucht verging so schnell, wie er gekommen war. Zu schwer lag Hannes’ Hand auf seiner Schulter.

„Wusste ich’s doch, dass der Kerl allerhand auf dem Kerbholz hat“, zeterte Käthe weiter und schielte nach dem Messer, das jetzt neben den Zwiebeln auf den Tisch lag.

Hannes hob die Hand. „Nun gib endlich Ruh und setz dich“, forderte er verärgert.

Zögernd nahm Käthe, neben Anna und Marie, auf dem äußersten Rand der Küchenbank Platz. Gretels mitleidigen Blick wusste sie nicht zu deuten. Und obgleich ihr kein hinreichender Grund einfiel, fühlte sie sich zunehmend unbehaglich.

„Wie ihr wisst“, setzte Hannes an, „war ich gestern drüben im Hörsteinischen, um Wein einzukaufen. Dabei kam mir zu Ohren, dass die Kurfürstlichen mal wieder auf der Jagd nach einer Zauberschen und ihrem Wächter sind. Sie soll ihn verhext haben, sodass er sie aus ihrem Verlies befreite. Und nun wären die beiden zusammen auf der Flucht, hieß es.“

Forschend sah er Vitus an. Der verkrampfte seine Hände ineinander und seine Augen huschten unruhig über die Tischplatte.

Hatte Hannes bis dato Zweifel, so waren diese durch Vitus’ Reaktion endgültig beseitigt. Zusammen, mit dem was er sonst herausgefunden hatte, ergab es ein Gesamtbild.

„Anna, ich glaube wir brauchen noch ein paar Kräuter, für die Suppe. Geh doch mit Marie in den Garten und bring auch gleich Äpfel mit, damit wir …“

„Nein Gretel“, unterbrach Hannes sein Weib. „Lass die Kinder hören was ich zu sagen habe. Immerhin betrifft es unsere gesamte Familie und die Mädchen sind alt genug.“

„Wie du meinst“, antwortete Gretel.

„Nun, wie schon gesagt, die Kurfürstlichen Soldaten durchstreifen die Wälder und ihr Anführer ist … Tillmann.“

Erschrocken schnaufte Käthe auf. Erst nachdem sie Gretels Hand auf ihrem Arm spürte, entspannte sie sich wieder langsam.

„Wir haben früher schon einmal von Tillmann gehört“, fuhr Hannes fort und warf Käthe einen kurzen Blick zu. „Wie ich erfahren habe, hat er sich zu einem Gesellen der übelsten Sorte entwickelt. Er kennt kein Erbarmen und führt eine Rotte an, die meist aus Söldnern besteht, ihm aber bis in den Tod ergeben sind – und das, im wahrsten Sinne des Wortes. Wer seinen Zielen im Weg steht, der wird zum Schweigen gebracht. So jedenfalls wurde es mir berichtet.“

„Und was hat das alles mit uns zu tun?“, fragte Elisabeth ungeduldig. Sie vermochte sich nicht zu erklären, was die Suche der Kurfürstlichen aus dem Hörsteinischen nach einer Hexe mit Vitus zu tun hatte.

Ebenso gespannt, hingen Martin und Christoph an Hannes’ Lippen; aber mehr noch Käthe.

„Nun, der Bewacher dieser angeblichen Hexe soll ein Jüngelchen gewesen sein, mit rotblonden Locken. So wie unser Gast hier.“

„Was heißt das schon“, fuhr Vitus auf. „Burschen mit rötlichen Haaren gibt es viele.“

„Jaaa“, erwiderte Hannes gedehnt. „Aber, die Zahl derer, die vor einigen Tagen den Main durchquert haben und dabei beinahe fast ersoffen wären hält sich in Grenzen – soviel ich weiß. Oder sind dir noch einige begegnet, auf deinem Weg?“

Vitus sackte weiter in sich zusammen. Waren alle Strapazen, die er auf sich genommen hatte, umsonst? Sollte sein junges Leben schon vorbei sein, bevor es richtig begonnen hatte?

„Was ist nun? Vitus, berichte uns endlich, was passiert ist, damit wir essen können? Ich bin schon fast am Verhungern“, drängte ihn Martin ungeduldig.

„Na los, Junge. Hast du es immer noch nicht begriffen? Du bist hier in Sicherheit. Du hast nichts zu befürchten.“ Aufmunternd klopfte Hannes ihm auf die Schultern. „Wir wollen doch nur deine Darstellung der Geschichte hören. Und an Zaubersche glauben wir sowieso nicht.“

Er schob Vitus einen Becher Wein hin. „Hier, vielleicht löst dir das die Zunge.“

Zittrig griff Vitus danach und leerte ihn in einem Zug. Sodann berichtete er, zuerst stockend, alsbald flüssiger, wie und warum es ihn nach Seligenstadt verschlagen hatte.

Mucksmäuschenstill hörten alle zu, während er sein halbes Leben ausbreitete und sich alles von der Seele redete. Als er aber von seiner Muhme erzählte und, dass sie vor einigen Monaten gestorben sei, schrie Käthe auf.

Das Asylhaus

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