Читать книгу Das Asylhaus - Rita Renate Schönig - Страница 18
Zaubereien
Оглавление„Weiß Gebein – gut und rein – schwatzt spätre Tag im Mondenschein.“ Die Möllersche streute kleine abgekochte Hühnerknochen vor sich auf ein weißes Tuch. „Ein Vogelbein behufs dazu, die sündig Seel’ gibt ewig Ruh.“
Mitten in die Knöchelchen warf sie einen Hühnerfuß. „Und gebt’ ein Silberlein mir bei, werd sein von Schaden danach frei.“
„Möllerin, hört sofort auf mit dem unsinnigen Zeug!“ Sybilla setzte den schweren Wäschekorb auf die Wiese. „Manch einer könnt denken Ihr seid der Zauberei mächtig.“
„Ha, ha. Wenn’s denn so wär, dann könnt ich mir die Bein richten – oder glaubst net?“, schnarrte die Alte.
„Was ich glaube und was Andere befürchten, sind zweierlei Ding. Doch solltet Ihr Euer Mundwerk im Zaun halten, Möllerin, sonst kann es gut sein, dass wir beide in Teufels Küche kommen“, fauchte Sybilla.
An Tagen wie diesem bereute sie es, die Alte bei sich aufgenommen zu haben. Sie hatte es ja auch nur dem Hannes zuliebe getan, der ihr immer vor dem Winter das Dach richtete oder andere, für sie selbst zu schwierige Arbeiten am Haus tat.
Sie hievte die großen Wäschestücke auf die Leine. „Ich hab Euch nur erlaubt, die Knochen auszukochen, damit Ihr mir nicht ständig mit diesem Hokuspokus in den Ohren lieg“, richtete sie sich an Anna Möller. „Vergesst dennoch nicht, was Ihr mir schuldig seid.“
„Ja, ja – gut ist’s“, krächzte die Möllerin und hinkte, sich auf einen knorrigen Ast stützend, ins Innere des Hauses. Es war ein mühseliges Unterfangen für die Alte, bis sie endlich die Bank vor dem Kamin erreichte. Jeden Tag aufs Neue verfluchte sie insgeheim all diejenigen, wegen derer sie mit verkrüppelten Knochen ihr restliches Dasein fristen musste.
Zum einen war da des Schmieds Hausfrau die Barbara, die sie, beim Schultheißen der Hexerei angezeigt hatte. Angeblich hätte ein Gaul ihren Hännes gar so stark am Hirn verletzt, dass der nicht mehr klar denken konnte. So etwas wäre noch niemals zuvor geschehen und nur die Möllerin sei daran schuld. Wobei jeder im Dorf wusste, dass Hännes seinen Verstand schon vor Zeiten beim Saufen gelassen hatte.
Die Nacht darauf stand angeblich die Ziege der Möllerin in der Schlafkammer der Schmieds Barbara. Sie hätte sie aus roten glühenden Augen angeglotzt, erläuterte sie voller Leidenschaft den Bütteln.
Freilich vermochte Anna Möller nicht zu erklären, wie ihre Ziege dorthin gelangt sein sollte. Am nächsten Morgen stand sie wieder meckernd in ihrem Stall. Sie wusste nur, dass der ganze Ärger mit der Schmiedchen erst angefangen hatte, nachdem sie ihr in der letzten Mondnacht nicht das hatte weissagen können, was diese hören wollte.
Dann waren da die werten Kirchenmänner. Mit erstaunlicher Hurtigkeit brachten sie die Beweise – die meisten kamen von der Barbara – die letztlich die Möllerin in den Kerker brachten. Obendrein vermaledeite Anna Möller den Fauth von Hörstein, der ihre Einsprüche bei der Befragung geflissentlich überhörte, weil er bereits zu sehr damit beschäftigt war, ihr wenig Hab und Gut als Kosten des Verfahrens in seinen Besitz zu bringen.
All denen, die ihr übel mitgespielt hatten, wünschte die Möllerin die Pest an den Hals und, dass sie für ewig in der Hölle schmoren sollten. Bis dato hatte sie sich davor bewahrt die dunklen Mächte in Anspruch zu nehmen. Nun aber fühlte sie nur noch Kälte und Erbarmungslosigkeit.
Während ihrer Flucht hatte sie den Beutel mit ihren Utensilien verloren. Die Knöchelchen, die jetzt vor ihr lagen, waren jungfräulich und mussten erst mit beharrlichem Eifer brauchbar gemacht werden. Aber immer, wenn die Möllerin die ritualen Verse aufsagen wollte, kam ihr Sybilla in die Quere. Die glaubte zwar nicht, dass man aus ein paar hingeworfenen Knochen die Zukunft vorhersehen, oder unter zu Zuhilfenahme einer Vogelkralle und den entsprechenden Sinnsprüchen Verrufungen aussprechen könne. Trotzdem war sie stets auf der Hut. Wusste sie doch, dass aus Neid und Häme schnell eine Anklage entstand und der Scharfrichter sein Beil allzeit bereithielt.
Sybilla war eine ansehnliche junge Wittib, die die Blicke nicht weniger Mannsbilder auf sich zog. Seit ihr Ehemann Thomas vor zwei Jahren vom Blitzschlag getroffen verstorben war, befehligte sie alleine die kleine Herberge, in einem Waldstück in der Nähe Seligenstadts. Reich wurde Sybilla damit nicht, aber sie hatte ihr Auskommen und das war ihr wichtig. Dadurch musste sie keinem Mannsbild gefügig sein.
Ab und an kam der Bergmann Hannes vorbei, ein ehemaliger Kumpan von Thomas und sah nach dem Rechten. Schon wegen des freundschaftlichen Verhältnisses zu Hannes und Gretel war Sybilla nicht fähig, seine Bitte abzuschlagen.
Jetzt sah sie der Alten nach, wie sie humpelnd im Haus verschwand. Trotzdem sie sich gerade Mal wieder über sie geärgert hatte, empfand sie Mitleid. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welche Qualen die Möllerin hatte erleiden müssen.
Sybilla blickte zum Himmel. Graue Wolken drohten von Osten und ein kühler Wind kündigte den kommenden Winter an. Doch noch schien die Sonne und würde hoffentlich die Wäsche trocknen. Sie entschied, schnell in den Wald zu gehen, um Holz zu sammeln. Außerdem wollte sie den Platz aufsuchen, an dem ihr Thomas vom Blitz getroffen dahingerafft worden war. Vielleicht fand sie noch ein paar Blumen auf der Wiese, die sie dort niederlegen konnte.
„Ach Thomas“, seufzte sie, „warum musstest du gerade an diesem stürmischen Tag in den Wald gehen?“
Über ihrem Kopf flatterte ein Rabe und ließ sich auf einem der Apfelbäume nieder, zwischen denen Sybilla die Wäscheleine gespannt hatte. „Du schon wieder“, sprach sie den Vogel an. „Wieso kommst du immer dann, wenn ich an meinen Thomas denke?“
„Kräh, kräh“, machte der Rabe, zuckte ruckartig mit dem Kopf und sah Sybilla aus seinen kleinen schwarzen Augen an.
„Man könnte beinahe annehmen, du verstehst, was ich sage.“
Sie schüttelte den Kopf. „Grundgütiger Gott, ich rede mit einem Raben. Wen wundert’s – bei all diesem Hokuspokus, den sie fortwährend veranstaltet.“