Читать книгу Das Asylhaus - Rita Renate Schönig - Страница 6
Am Maintor
ОглавлениеDie Hitze im August des Jahres 1599 lastete schwer über der Stadt. Selbst die Nächte brachten keine Abkühlung. Nicht der geringste Windhauch streifte durch die dürren Äste der vereinzelt am Mainufer stehenden Bäume. Ohnmächtig ergaben sich Landschaft und Geschöpfe der Laune der Natur. Sogar das unablässige Zirpen der Grillen verstummte schon in den frühen Abendstunden.
Einzig der Main, auf dessen Oberfläche der fast volle Mond sein silbriges Licht warf, verursachte leise aber stete Geräusche.
„Sieht noch immer nicht nach Regen aus“, seufzt Adam, ein Leinreiter und schaute sorgenvoll in den Abendhimmel.
„Nein, immer noch keine Wolke zu sehen“, stimmte Wenzel seinem Schwager zu und kratzte sich den Bart.
„Wenn’s in den nächsten Tagen nicht ordentlich vom Himmel schüttet, werden meine Klepper im Stall bleiben. Das kann ich dir versichern“, fuhr Adam fort. „Wenigstens fünf Ellen ist’s Wasser im Main gesunken. Die Gäul werden abrutschen und sich die Bein’ brechen, wenn sie die Kähne von dort unten ziehen sollen.“
Er zeigte auf das seichte steinige Flussufer.
„Na, da werden die Handelsleute aber nicht launig sein“, warf Wenzel ein, „wenn du einfach den Betrieb einstellst.“
„Die berappen mir auch keinen Gulden, wenn meine Gäul verrecken“, entgegnete Adam mürrisch. „Trotzdem können die Pfeffersäcke zufrieden sein. Auf dem Main ist ihre Fracht immer noch schneller und sicherer, als mit den Gespannen auf dem Landweg durch den Spessart. Grad jetzt, in den schwülen Nächten, wo das Diebesgesindel hinter jedem Baum lauert.“
„Recht haste“, pflichtete Wenzel ihm bei. „Ob die Leinreiter bei Steinheim wohl schon ihre Pferde ausgezäumt haben?“, sinnierte er. „Die Stockstädter haben’s bestimmt schon gemacht. Jedenfalls kommt seit Tagen kein Kahn mehr aus der Richtung. Der letzte war ein Bamberger mit Vizedomschen Wappen und das war vor zwei Tagen.“
Adam zog tief an seiner Pfeife. „Der Kronenwirt ist auch am Greinen, weil Fischers Hensch ihm zurzeit weder Welse noch Karpfen abliefern kann.“ Dann lachte er verschmitzt. „Die Fische sind halt schlauer als die Menschen. Die haben sich auf und davon gemacht, in tiefere Gewässer.“
„Alsdann müssen die feinen Gäste halt mit kleineren Fischlein Vorlieb nehmen“, grinste Wenzel gleichfalls.
„Ah, da fällt mir ein – ich hab noch zwei Hemina Wein, von einem der es gut meint mit unsereins.“ Er zwinkerte seinem Schwager zu. „Wie sieht’s aus, wollen wir uns den gönnen, bevor du zu deiner Liesel heimgehst?“
„Na sicher. Ich kann dich doch nicht alleine saufen lassen“, feixte Adam.
Wenzel freute sich immer über ein wenig Geselligkeit, denn hier am Osttor der Stadtmauer passierte nie etwas Aufregendes. Der Main bedeutete eine natürliche Barriere, sodass nicht einmal die Stadtoberen eine Zugbrücke oder ein Vorwerk für nötig hielten. Und obgleich des Niedrigwassers zurzeit, bestand dennoch immer die Gefahr, dass man bei Unkenntnis der Furt im schlickigen Untergrund stecken blieb oder sich in den Wassertrieben verfing.
Ungleich verhielt es sich beim Obertor im südlichen Stadtteil, sowie der Röderpforte in Richtung Frankfurt, ebenso bei der Niederpforte in der Unterstadt. Diese waren durch Zugbrücken, Gräben, einem Vorwerk, Erdwall und einem Stadtwag, gesichert.
Ohnehin begehrte niemand nach Einbruch der Dunkelheit Einlass in die Stadt und möglich wäre es auch nicht. Weil, im Anschluss des abendlichen Angelusläuten, jeder Pförtner sein Tor abschloss und den Schlüssel zum Fauth zur Verwahrung brachte, bis zum morgendlichen Angelusläuten. Demnach sah selbst der mutigste Wandergeselle zu, dass er bis zur Dämmerung hinter den sicheren Mauern Unterschlupf fand. Zu viel übel Pack trieb sich in den umliegenden Wäldern umher.
Gutgelaunt erhoben Adam und Wenzel sich von der Bank vor dem Narrenhäuschen, in dem zurzeit ein häufiger Stammgast seine Berauschtheit ausschlief.
Das Gebäude wurde vor etwas über zwanzig Jahren direkt neben dem Stadttorhaus erbaut und diente vornehmlich der Unterbringung von Menschen verstörten Geistes. Zu denen zählten auch zorneswütige Zecher, die ihre Mitbürger in ihrer verdienten Nachtruhe beeinträchtigten.
Später schob Wenzel seinen Schwager, der sich bereit erklärt hatte, auf seinem Heimweg, den Stadttorschlüssel im Rathaus abzugeben, aus der Wachstube und rollte sich auf seiner schmalen Bettstatt zusammen. Nach einigen Bewegungen, wodurch er die bestmögliche Schlafposition zu erreichen versuchte, weilte er schon im Reich der Träume.