Читать книгу Das Asylhaus - Rita Renate Schönig - Страница 11
Gefahr
Оглавление„Sie müssen aus der Stadt. Am besten noch heute Nacht.“, sagte Hannes leise aber bestimmt. Die sechsköpfige Gruppe saß um den hintersten Tisch in der Schankstube. „Nicht auszudenken was geschieht, wenn die Beiden dem Kerl in die Hände fallen.“
Er ging zur Tür, öffnete sie und überzeugte sich, dass kein Lauscher ihr Gespräch hörte. Dann schlurfte er zurück. „Glaubt mir, ich kenne den Kerl. Der geht über Leichen, wenn es seinem Plan dient.“
Gretel nickte bestätigend. „Aber wir müssen sie einzeln wegbringen. Die Alte würde Vitus nur behindern.“
„Außerdem hat er immer noch viel zu viel Angst vor ihren angeblichen Hexenkünsten“, fügte Martin hinzu.
„Das liegt aber nur daran, dass ihr ihm immer noch nicht gesagt habt, wie die Möllersche hatte entkommen können.“ Gretel bedachte ihren Gatten sowie Konrad mit einem erzürnten Blick.
„Das tut auch nichts zur Sache“, lenkte Christoph die Aufmerksamkeit auf sich. „Wichtiger ist, wie wir vorgehen.“
„Ist die Möllersche denn einigermaßen wiederhergestellt?“
„So gut es eben möglich ist“, beantwortete Konrad Gretels Frage. „Die arme Frau wird wohl nie wieder richtig gehen können. Aber zumindest konnte ich ihr die Beine soweit richten, dass sie sich, auf einen Stock gestützt, fortbewegen kann. Allerdings ist sie noch sehr schwach.“
„Wir müssten sie demnach zu jemandem bringen, der sich weiterhin um sie kümmern kann, ohne aufzufallen“, sinnierte Hannes.
„Deinem Gesicht nach zu urteilen, hast du bereits eine Lösung.“ Konrad schaute seinen langjährigen Freund erwartungsvoll an.
Wie aus einem Munde antworteten Elisabeth und ihr Vater gleichzeitig. „Sybilla.“
***
Es war im wahrsten Sinne des Wortes wie verhext. Auch am dritten Tag ihrer Hatz musste Tillmann sich eingestehen, dass er nicht die kleinste Spur von der Zauberschen und ihrem Wächter hatte entdecken können. Anger und Dörfer, einsame Gehöfte und die Wälder im Hörsteinischen sowie das Gebiet rund um Stockstadt hatten er und seine Mannen abgeritten, ohne Erfolg.
Er kochte vor Wut.
„Zum Teufel noch mal“, brummte er vor sich hin. „Irgendwo muss sich dieses Pack doch verkrochen haben.“
Derzeit galoppierten sie auf der Hohen Straße, die auch Geleitsstraße genannt wurde und nach Seligenstadt führte. Obwohl Tillmann bezweifelte, dass die Flüchtigen sich bis hierher hatten durchschlagen können, wollte er die Möglichkeit doch nicht von der Hand weisen. Zudem reizte ihn die Aussicht auf ein weiches Bett. Vor allem aber sehnte er sich nach einem Weib, das seinen pulsierenden Lenden endlich Entspannung verschaffen würde.
„Halt! Wer begehrt Einlass in unsere Stadt?“ Die Wächter am Obertor kreuzten ihre Hellebarden. Tillmann sah sie mit verächtlichem Blick an, zügelte dennoch sein Ross und befahl Eckhardt die Anordnung vorzuzeigen, die es ihm erlaubte sich im gesamten Kurfürstentum nach Belieben zu bewegen.
Selbstsicher erläuterte Eckhardt, dass sie einer flüchtigen gefährlichen Hexe und ihrem Buhler auf der Spur seien. Die Torwächter schienen nicht im Geringsten beeindruckt. Nach einem kurzen Blick auf das Schreiben, wobei ihnen vorherrschend das amtliche Siegel ins Auge sprang, ließen sie aber die Meute passieren.
„Hier werdet ihr keine Zauberschen antreffen“, rief einer der Wächter lachend. „Die schicken wir alle mit dem Nachen wieder zurück über den Main.“
„Pass auf deine Zunge auf, du Tölpel“, zischte Tillmann und sprengte an der Spitze seiner Horde die Obergasse entlang. Viel Rücksicht auf die Bürger, die auf der Straße unterwegs waren, nahm er dabei nicht. Diese stoben erschrocken auseinander und drängten sich dicht an die Häuserwände.
Vor einem alten Mann, dem, in der Eile einige Kohlköpfe von seinem klapprigen Karren gefallen waren und die er nun auf allen vieren kniend wieder einsammelte, zügelte Tillmann sein Ross.
„He Alter. Wo befindet sich das beste Wirtshaus dieser Stadt?“
Der Mann glotzte ihn an, als hätte er nicht verstanden, was er von ihm wollte. Als er endlich seinen fast zahnlosen Mund öffnete, fragte er zurück: „Von wo kommt Ihr?“
„Was geht dich das an, Dummkopf. Beantworte meine Frage.“ Drohend hob Tillmann seine Peitsche.
„Schon gut, schon gut. Rechter Hand, gegenüber dem Kloster. Das Gasthaus ZUR KRONE. Dort nächtigen alle Eures Gleichen.“
„Werd‘ nicht frech, Alter, sonst ereilt dich der Tod schneller als dir lieb ist.“
„Wenn ihr aber ein gutes, selbst gebrautes Bier bevorzugt, dann haltet euch an den SCHWARZEN HANNES – ist ‘ne Straußenwirtschaft, gegenüber der KRONE“, wagte der Alte, zu antworten.
Tillmann brauchte einen Moment, um sein tänzelndes Ross in die Richtung zu lenken, die ihm gewiesen wurde.
„Schwachköpfe, alles Schwachköpfe“, stieß er hervor.
„Verdammtes Hurenpack“, murmelte der Mann vor sich hin, nachdem der Trupp außer Hörweite war, und spuckte verächtlich auf die Straße. Dann hatte er es sehr eilig und schob seinen Karren in die gleiche Richtung.
***
„Gewiss Herr, nur das Beste für Euch.“
Hannes buckelte kurz vor Tillmann, wobei er ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Tauchte dieser Kerl mit seinen Spießgesellen doch wahrlich in seiner Gaststube auf. Zum Glück hatte Nickel ihn vorgewarnt. Manchmal konnte man sich auf die Spürnase des alten Säufers verlassen. Natürlich hatte der seine Belohnung – einen Schoppen von Gretels selbst gebrauten Bier – im Hinterkopf.
„Wo bleiben die Becher und der Wein für den Hauptmann?“, brüllte Hannes, unverhältnismäßig laut durch die Wirtsstube.
Eilends tauchte hinter dem Schanktisch Christoph auf.
„Ihr seht, Herr, mein Sohn bringt den Wein direkt aus unserem Vorratskeller. Ihr könnt also sicher sein, es ist unser Bester.“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass man hier ein gutes Bier bekommt?“ Lauernd schaute Tillmann den Wirt an.
„Das ist wohl wahr, werter Herr. Aber mein Vorrat ist in den letzten Tagen stark gesunken. Es wird für Euch und Eure Männer nicht mehr ausreichend sein.“
„Dann gib, was du noch hast. Danach trinken wir Wein.“
Innerhalb weniger Minuten leerten Tillmann und vier seiner Männer den letzten Rest von Gretels Selbstgebrauten. Anschließend taten sie sich am Wein gütlich. Leutseliger geworden durch den schnellen Genuss des unverdünnten, gewürzten Weins, den Hannes ihnen mit Bedacht kredenzt hatte, winkte Tillmann ihn zu sich.
„Sagt, Herr Wirt, wo in dieser Stadt erfährt ein Mann Genugtuung nach harter Arbeit – wenn Ihr wisst, was ich meine?“
Hannes runzelte seine Stirn und tat, als würde er überlegen. Natürlich wusste er sofort, wovon der Hauptmann redete.
„Ein spezielles Haus in dieser Art gibt es in unserer Stadt nicht. Aber wenn Ihr einem reinigenden Bad nicht abgeneigt seid, könnte sich vielleicht das eine oder andere daraus ergeben.“
Auch wenn Friedmann, der Betreiber der Badestube die Gerüchte immer wieder abstritt, so verließen gewisse hohe Herren mit abgeklärtem Gesichtsausdruck oftmals dessen Behausung.
Besser, der Kurfürstliche und seine Rotte toben sich dort aus, dachte Hannes, als dass diese Kerle über die nächste Frauensperson herfallen, derer sie habhaft werden würden.
Tillmann grinste. „Ihr seid ein schlauer Mann, Wirt.“
„Das Haus befindet sich gleich hinter meinem Anwesen“, erteilte Hannes Auskunft.
Der Hauptmann griff nach der Geldkatze unter seinem Wams und warf sie Eckhardt zu. „Zahl dem Wirt seinen Lohn. Aber pass auf, dass der dich nicht übers Ohr haut. Ich geh mein Wasser abschlagen.“
„Mein Sohn wird Euch den Weg weisen, Herr Hauptmann, wenn es Euch beliebt.“ Wiederum dienerte Hannes kurz und gab Christoph ein Zeichen. Auf keinen Fall sollte der Kerl alleine in seiner Hofreite herum spazieren.
„Kommt mir nach Herr Hauptmann“, rief Christoph laut.
„Was schreist du so Bursche. Bin doch nicht taub.“
Christoph führte den Hauptmann durch den dunklen Flur, vorbei an der geschlossenen Küchentür, in den Innenhof.
„Habt eine ansehnliche Hofreite.“ Tillmann schaute zu den Stallungen, während er zum Misthaufen ging und sich an seiner Hose zu schaffen machte. „Nun verschwinde, oder willst du mir beim pissen zusehen?“
Wortlos drehte Christoph sich um und schlenderte zurück ins Haus. Dort verbarg er sich hinter dem Eingang und behielt den Hauptmann im Auge. Als dieser Anstalten machte zurückzugehen, eilte Christoph hurtig zur Schankstube. Er hatte die Hand bereits auf dem Türgriff, als die Küchentür aufging und Elisabeth heraustrat. Sie hatte Adam, den Jüngsten der Familie, auf dem Arm.
Christoph fluchte innerlich. Hatte er seine Stimme nicht laut genug ertönen lassen?
„Ja wen haben wir denn da?“ Tillmanns Augen blitzten. Womöglich musste er sich gar nicht ins Badehaus begeben, ging es ihm durch den Kopf. Was er begehrte stand direkt vor ihm. Ungeniert umfasste er Elisabeths Kinn, die sich wegen Adam nicht zur Wehr setzen konnte.
Im diffusen Lichtschein, der aus der Küche fiel, erkannte Tillmann Wut und Abscheu in den dunkelbraunen Augen. Aber gerade diese Missachtung sowie der Widerstand der Weiber heizten ihn auf. Er trat noch einen Schritt weiter auf Elisabeth zu, sodass sie dicht an die Wand gepresst seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte. Seine Hand glitt an ihrem Hals entlang und erreichte fast den Ansatz ihrer Brüste. Adam wand sich in Elisabeths Arm und weinte.
„Weg mit dem Balg.“ Tillmann erhob die Hand.
„Nein“, schrie Christoph und schlug auf dem Arm des Hauptmanns.
„Du wagst es, du Bürschchen!?“ Tillmanns kräftige Pranke umfasste Christophs Hals. Der japste nach Luft.
„Lasst sofort meinen Bruder los!“, kreischte nun Elisabeth.
„Was zum Donnerwetter ist …?“ Wie angewurzelt blieb Hannes im Türrahmen zum Gastraum stehen. Hinter ihm sammelten sich Tillmanns Leute, jederzeit bereit ihrem Hauptmann beizustehen. Es könnte ihn den Kopf kosten, fand er jetzt nicht die richtigen Worte.
Vom Krawall angelockt, rannte Gretel die Treppe herunter. „Um Gottes Willen. Was macht Ihr mit meinem Sohn, Ihr bringt ihn …?“
„Schweig Weib“, herrschte Hannes sie an.
Tillmann ließ Christoph los. Der sackte an der Wand entlang zu Boden. Sofort war Gretel bei ihm.
„Hat mein Sohn Euch beleidigt, Herr Hauptmann?“
„Ihr solltet Eurer Brut beibringen wie sie sich einem kurfürstlichen Hauptmann gegenüber zu benehmen haben“, knurrte Tillmann.
„Ich bitte um Verzeihung, Herr. Ich werde den Meinen gehörig einbläuen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.“
Adam plärrte inzwischen schrill. „Du, verschwinde nach oben mit deinem Bruder.“ Hannes deutete auf Elisabeth. „Und ihr, ab mit euch in die Küche.“ Sein Blick erfasste Gretel und Christoph.
„Ihr solltet Euch nicht den Abend vergällen, Herr Hauptmann. Kommt, ich bewirte Euch und die Euren mit einem Gescheid, auf meine Rechnung.“
Wortlos und mit weit ausholenden Schritten stürmte Tillmann in die Gaststube, vorbei an seinen Männern. Hannes eilte hinterher. Das würde noch Ärger geben – so sicher wie das Amen in der Kirche. Gott sei es gedankt, hatten sie am Abend zuvor die Möllersche aus der Stadt bringen können und Vitus war ebenfalls außer Gefahr, wenn auch, wie Konrad berichtete, er nicht sehr angetan war von seiner Unterkunft.
Zugegeben die Krypta der Klosterkirche war gewiss kein gastlicher Aufenthaltsort. Aber den armen Sündern, denen Konrad mit diesem Unterschlupf das Leben gerettet hatte, war jeder Ort lieber als der Schuldturm oder gar die Folterkammer.
Für einen Moment huschte ein Lächeln über Hannes’ Gesicht. Vor einigen Jahren hätte er im Traum nicht erahnt, mit einem Schwarzrock gemeinsame Sache zu machen. Aber der Benediktiner war schon ein Teufelskerl.
Angefangen hatte alles eines Nachts, lange vor dem Zapfenstreich. Konrad erschien in Begleitung einer kleinwüchsigen vermummten Gestalt. Es war ein Mädchen, etwa im gleichen Alter von Elisabeth, elf bis zwölf Jahre alt. Er erklärte, sie hätte ihre Eltern auf tragische Weise verloren. Über die näheren Umstände wollte er nichts sagen. Nur, dass sie aus dem Flämischen stamme und der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Hannes solle dem Kind solange Asyl gewähren – so drückte Konrad sich aus – bis die Nürnberger Kaufleute, die zwei Tage später erwartet wurden, eintrafen. Die würden sie nach Frankfurt mitnehmen, zu den Beginen, einer frommen laienreligiösen Gemeinschaft unverheirateter Frauen, die aber keinem Orden angehörte. Sie lehnten starre kirchliche Regeln ab und suchten ein persönliches Verhältnis zu Gott. Ihren Unterhalt verdienten sie mit der Tuchherstellung und Klöppeln, und sie pflegten Kranke.
Auf den Kopf gefallen war Hannes nicht. Er zählte zwei und zwei zusammen und kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Mädchen um eine Calvinistische handelte. Vermutlich waren ihre Eltern aus dem flämischsprachigen Raum geflohen, wo sie wegen Ketzerei verfolgt wurden. Und höchstwahrscheinlich hatten sie selbst den Tod in Kauf genommen, um ihrer Tochter das Leben zu retten. Das leuchtete ihm alles ein. Was er aber nicht verstand, weshalb der Schwarzkittel das Kind ausgerechnet zu ihm brachte. Deshalb fragte er ihn geradeheraus, ob er ihm eine Falle stellen wolle. Doch Konrad versicherte, dass dem gewiss nicht so wäre. Aus irgendeinem Grund glaube ihm Hannes.
Seit jenem Tag ging es im Bergmannschen Anwesen teilweise zu wie im Taubenschlag. Und stets war die Angst dabei, entdeckt zu werden und selbst in die Mühlen der gesetzgebenden Macht zu fallen.
Hannes fuhr mit einer Hand durch sein langsam lichter werdendes schwarzes Haar. Manchmal wünschte er, sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern zu dürfen. Doch er konnte nun mal nicht einfach zusehen, wenn ein Unrecht geschah. Auch, wenn sein Weib ihm deswegen die Hölle heißmachte.