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Die Krypta

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Der Benediktiner schloss die Tür, riegelte sie aber nicht ab, wie vereinbart. Dennoch ereilte Vitus ein Gefühl der Beklemmung. Der Raum war so niedrig, dass er nicht einmal aufrecht stehen konnte und allenfalls halb so geräumig wie seine Höhle im Hörsteinischen Wald gewesen war.

Die Wand am hinteren Ende bestand aus groben Steinen und sah massiv aus. Trotzdem hatte Vitus den Eindruck, ein Teil davon wäre vor längerer Zeit eingestürzt. Das restliche Mauerwerk ebenso wie der Fußboden waren glatt und mit Kalkmasse verputzt worden. In einer Ecke lagen einige Decken, ein Krug gefüllt mit Wein, wie Vitus feststellte, nachdem er daran gerochen hatte, und Brot und Käse in einer Schüssel.

Wie es aussah, sagte der Betbruder die Wahrheit, was Vitus’ Wohlergehen betraf, ansonsten hätte er ihm keinen Mundvorrat bereitgestellt. Vitus hüllte sich in die Decken und aß etwas von dem Käse. Der Wein mundete ihm ebenfalls.

Kaum war er in einen erschöpften Halbschlaf gefallen, schreckte er hoch. Deutlich hörte er Stimmen und Gesang. Ach ja, fiel es ihm wieder ein – die Benediktiner hielten ihr Nachtgebet. Entgegen seinem Willen empfand er den eintönigen Singsang als angenehm und lauschte gebannt. Möglich, dass nur seine Einsamkeit daran schuld war.

Nachdem der letzte Ton verebbt war und die Mönche mit leisen schlurfenden Schritte die Kirche verlassen hatten, rollte Vitus sich unter den Decken zusammen und versuchte, auf dem harten Boden in eine einigermaßen erträgliche Schlafposition zu gelangen. Doch etwas drückte ihn in den Rücken. Er untersuchte die Stelle und zog einen kleinen Beutel aus grobem Leinen hervor. Ein spitzer Gegenstand pikste durch den Stoff und in seine Hand.

Ein Messer, überlegte er. Das würde er gut gebrauchen können. Er öffnete die Kordel und stülpte den Inhalt aus. Kleine Knöchelchen kullerten über die Decke und ein Vogelfuß streckte ihm seine gespreizten Krallen entgegen. Erschrocken wich er zurück. Wem in Teufels Namen gehören diese Sachen? Wer weilte vor ihm in dieser Gruft?

Gleichwohl erinnerte er sich an die Worte. Zwar leise, dennoch hörbar.

Die Anna – sie muss zwischen die Bretter – egal wie.

Freilich, gesehen hatte er in der Nacht nichts; aber es war die Stimme vom Bergmann Hannes. Und er zog, mit einem seiner Söhne einen Wagen holpernd aus dem Tor.

Der Gedanke – so ungeheuerlich, dass Vitus ihn zuerst für abwegig hielt – nahm Gestalt an.

Die Möllersche, die Hexe aus dem Hörsteinischen. Der Benediktiner, der die Zauberische in ihrem Karzer besucht hatte, war dieser Konrad. Versteckt unter seiner Kutte, hatte er sie aus ihrem Kerker befreit. Deshalb der gebückte Gang und der Eindruck, er trüge eine schwere Last. Raus, nur raus hier, hämmerte es in Vitus‘ Kopf. Hastig raffte er sein wenig Hab und Gut zusammen. Er überlegte, ob er eine der Decken mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Vermutlich hat die Möllersche darauf gelegen. In seiner Eile stieß er gegen die Kerze. Die rollte auf den Boden und verlosch. Alsbald stand er in völliger Dunkelheit. Er tastete sich durch die niedrige Tür und horchte. Regen prasselte gegen die oberen Fenster des Vierungsturms. Schritt für Schritt tappte er die schmale Treppe hinauf in den Kirchenraum. Fast stolperte er über den langen Kuttenrock, den er trug. Den behalte ich auch, der hält warm, dachte er trotzig. Außerdem, in der Verkleidung würde ihn keiner so schnell erkennen, wenn er in den Straßen der Stadt umhergeisterte.

Umhergeistern. Vitus schmunzelte. Womöglich hielt man ihn für den SCHWARZEN ABT? Käthe hatte ihm die Grusellegende, mit all dem ihr zur Verfügung stehenden Einfallsreichtum, eines Abends erzählt.

Nur, wie sollte er aus der Kirche kommen? Er sah nicht seine eigene Hand vor den Augen. Selbst wenn er die Tür erreichen würde, war die gewiss verriegelt. Es blieb ihm nichts übrig, als zu warten, bis die Benediktiner erneut zum Gebet hier eintrafen. Zumindest eine Tür wäre dann offen, durch die er sich heimlich aus dem Staub machen konnte. Aber bis dahin brauchte er ein Versteck.

Die Beichtstühle.

In fast jeder Kirche befanden die sich in der Nähe des Altars. Vitus erinnerte sich, dass auf dem Altar das ewige Licht stand. Und ja – in der Ferne flimmerte etwas Rotes.

Schlurfend und mit vorgestreckten Armen bewegte er sich langsam in die Richtung. Trotzdem stieß sein Fuß heftig an einen steinernen Sockel und seine Hände berührten das kalte Mauerwerk eines der Bündelpfeiler, die den Unterbau der Vierungskuppel bildeten und in einem sternenförmigen Rippengewölbe endeten. Er stieß einen leisen Fluch aus. Im Gegenzug bestätigte ihm dieser Kontakt, dass er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Kurz danach tastete er sich an den Gebetsbänken entlang, bis er eine holzvertäfelte Wand erspürte und endlich die üppigen, äußeren Rosenornamente eines Beichtstuhls.

Er öffnete die mittlere Tür – sie quietschte ein wenig – und sank auf eine weich gepolsterte Sitzfläche. Ein Hauch von Lavendel schwebte in der engen Räumlichkeit. Nicht unangenehm, dachte Vitus und legte den Kopf gegen das Sprachgitter. Eine Minute später war er eingeschlafen.

Das Asylhaus

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