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Unangemeldeter Besuch

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Ein weiteres Mal überflog Fauth Stirn das Dokument, auf dem das Siegel des Vicedomus von Aschaffenburg prangte. Das Schriftstück wies diesen Hauptmann Tillmann als ausführendes Organ der kurfürstlichen Gerichtsbarkeit aus, dem jedwede Unterstützung zuteilwerden musste.

Die Art der Bezichtigungen wider eine Person oder gar gegen mehrere, der den Zweck dieses Unterfangens rechtfertigte, wurde nicht erwähnt. Ebenso wenig, welcher Art die Hilfeleistung sein sollte.

Gewöhnlich kündigte sich eine amtliche Visite frühzeitig an, sodass Fauth Stirn Vorbereitungen treffen konnte, bezüglich der geeigneten Worte und tauglichen Entscheidungen. Dazu verbrachte er einige Zeit in der Abgeschiedenheit seines Weinkellers. Inspiriert durch ein paar Becher des gewürzten Rebensaftes, flogen ihm alsdann buchstäblich die richtigen Worte zu.

Wer Adam Stirn mehrfach bei solchen Anlässen erlebt hatte, erkannte schnell, dass er ein Redekünstler war. Seine Manier, auf die Obliegenheiten seiner Gäste einzugehen und gleichwohl für seine eigenen Absichten ein vorteilhaftes Ergebnis zu erreichen, hatten ihm einen gewissen Reichtum beschert, die Stadt aber gleichermaßen vor Widrigkeiten der Kurmainzer Staatsmacht bewahrt.

Obgleich es sich wie ein Lauffeuer verbreitete, dass ein Hauptmann Tillmann mit seiner Horde, in unlöblicher Weise, das Obertor passiert hatte, fühlte sich Adam Stirn gegenwärtig überfallen.

„Vermaledeite Brut“, zischte er leise vor sich hin. „Versucht man abermals, sich in meine Amtsgeschäfte einzumischen?“

Zugleich durchstöberte er sein Gedächtnis hinsichtlich der in letzter Zeit durchgeführten Amtshandlungen, wobei ihm hin und wieder der Schweiß ausbrach. Die Erinnerung an die Nürnberger und der gepanschte Wein kamen in seine Erinnerung. Doch schob er diesen Gedanken schnell zur Seite. Mit solcherlei trivialen Begebenheiten würde sich ein Hauptmann in kurfürstlichem Auftrag gewiss nicht befassen. Außerdem, dank des Eingreifens eines Seligenstädter Schankwirts, zogen die Nürnberger Handelsleute derzeit, ohne Klage und froher Natur, gen Frankfurt. Gleichwohl legte sich ein bitterer Geschmack auf seine Zunge. Bis zum heutigen Tage hatte dieser Wirt noch immer keine Gegenleistung angefordert. Dass er aber über kurz oder lang seinen Dankeszoll eintreiben würde, dessen war der Fauth sich gewiss.

Für den unvorhergesehenen Auftritt dieses Hauptmanns musste es eine andere Erklärung geben – nur welche?

„Was sollen die ergebnislosen Überlegungen“, murmelte Stirn zu sich selbst. „Ich werde ihn anhören und dann …“

„Wie lange gedenkt Euer Fauth mich noch warten zu lassen? Habt Ihr ihm nicht gesagt, wie eilig es ist?“

„Gewiss Herr Hauptmann. Aber Fauth Stirn ist ein viel beschäftigter Mann und Euer Besuch kam so, eh … so überraschend.“

„Überraschend? Ha, ha.“ Tillmanns raues Lachen dröhnte durch den Raum. „Ich bin im kurfürstlichen Auftrag unterwegs. Habt Ihr vergessen, was das bedeutet?“

„Ihr ersucht um eine Unterredung mit mir?“ Fauth Stirn trat durch die Tür seiner Amtsstube. In aller Eile hatte er sich seinen pelzverbrämten Mantel übergezogen, obwohl es in der Stube stickig und warm war. Die Robe ließ seine ohnehin massige Gestalt noch eindrucksvoller wirken.

„Hauptmann Tillmann, tretet ein.“ Stirn machte eine einladende Geste. „Ich bitte für die Karenz um Nachsicht. Geschäfte, Ihr versteht gewiss.“

„Hm“, brummte Tillmann ungehalten. Mit langen Schritten ging er an Stirn vorbei.

Der Fauth wies auf einen ledergepolsterten Stuhl vor seinem, die Hälfte des Raumes ausfüllenden, Schreibtisch.

Bei normalwüchsigen Menschen verursachte diese Sitzgelegenheit Unbehagen, weil, sobald der Besucher Platz genommen hatte, er zu dem Fauth aufsehen musste. Nicht so bei Tillmann. Selbst in sitzender Position war er mit Stirn auf gleicher Augenhöhe.

„Nun Hauptmann Tillmann. Darf ich nach dem Grund Eurer Visite fragen.“ Stirn warf sich mächtig ins Zeug, um seiner Stimme noch mehr Ausdruck und Stärke zu verleihen. „Aus diesem Schreiben“, er hob das Schriftstück in die Höhe, „ist der Zweck nicht zu entnehmen.“

Ohne Umschweife schilderte Tillmann in wenigen Worten sein Begehr. Er wäre auf der Suche nach einer flüchtigen Zaunreiterin und ihres Buhlen – ein klappriges Weib und ein Jüngling – und, ob ihm der Fauth Hinweise geben könnte.

Adam Stirn hörte gelassen zu. Dabei beobachtete er sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen. Dem Kerl mangelt es erheblich an nötigem Respekt. Außerdem scheint er gewalttätig. Und noch etwas stellte Adam Stirn fest. Dieser Tillmann ist schlau und zielstrebig. Er würde auf der Hut sein und seine Zunge im Zaun halten müssen. Doch auch mit derlei Brut würde er umzugehen wissen.

Nein, es wäre ihm nichts zu Ohren gekommen, antwortete Stirn und in seiner Stadt wüsste er über alles Bescheid. Davon könne der Hauptmann ausgehen.

Tillmann nahm diese Antwort äußerst gleichmütig auf und Adam Stirn schien es, als wäre dies nicht das einzige Anliegen seines Gegenübers.

„Wie gut kennt Ihr eigentlich diesen Hannes Bergmann, den Wirt dieser Häckerwirtschaft?“

Die Frage traf Adam Stirn völlig unvorbereitet. „Was, wen?“

„Na, den Wirt der Spelunke, gegenüber der Abteikirche.“ Tillmanns Ton wurde lauter und ungehalten.

„Ach so, den SCHARZEN HANNES meint Ihr.“ Fauth Stirn wurde heiß. „Ja, selbstredend kenne ich ihn. Aber nicht sehr gut“, fügte er schnell hinzu. „Wisst Ihr, das Wirtshaus ist nicht gerade die beste Adresse und …“

„Ja, ja verstehe.“ Tillmann winkte ab. „Wie viele Mäuler gehören eigentlich zu seiner Sippe?“

„Nun ja eh …“ Adam Stirn hielt inne.

Geht es womöglich doch um die Sache mit dem Wein und die Suche nach der Hexe ist nur ein Vorwand?

„Was hat der schwarze Hannes und seine Sippschaft mit Eurer Suche nach der Zaunreiterin zu tun?“

„Ich hoffe nichts. Doch der Kerl dünkt mich nicht astrein.“

„Ach was.“ Jetzt war es Fauth Stirn, der eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand ausführte. „Der Bergmann Hannes ist ein unbedeutender Straußenwirt, der die Seinen mehr schlecht als recht durchs Jahr bringt.“

Der Hauptmann krauste die Stirn. „Ist Euch nie ein Vorfall zu Ohren gekommen, der – nun sagen wir mal – von diesem SCHARZEN HANNES nicht so recht nach dem Gesetz gehandhabt worden ist? Es könnte doch sein, dass Ihr nicht über alles im Bilde sein, was in diesem Städtchen abläuft, oder unter Umständen …?“

Das setzte dem Fass die Krone auf. Fauth Stirn schäumte innerlich vor Wut. Dieser unverschämte, aufgeblasene Kerl. Dem werde ich Manieren beibringen.

„Euer Ton gefällt mir ganz und gar nicht, Herr Hauptmann. Auch wenn Ihr in amtlichen Diensten des Kurfürsten steht und für Eure Aufgabe jedwede Hilfestellung erwarten dürft, so darf ich von Euch den mir und meinem Amt gebührenden Respekt erwarten.“

Stirn pausierte kurz. Bevor er fortfuhr, wählte er seine nächsten Worte mit besonderem Bedacht.

„Ihr könnt versichert sein Hauptmann, dass ich über alles unterrichtet bin, was in meiner Stadt vor sich geht. Selbst der kleinste Diebstahl ist mir bekannt. Zum anderen sind meine Seligenstädter allesamt brave Bürgersleut’, rechtschaffen und gottesfürchtig. Zum anderen sorgen unsere Brüder der Benediktinerabtei dafür, dass der Beelzebub erst gar nicht versucht, sich in unserer Stadt einer labilen Seele zu bemächtigen.“

Tillmann erkannte, dass er auf diese Weise gegen diese Bergmannschen Brut nichts ausrichten und speziell dem SCHWARZEN HANNES nichts anzuhängen vermochte. Er versuchte einzulenken.

„Werter Fauth, es war nicht meine Absicht, Euch zu beleidigen. Aber seht mir nach, dass ich manchmal einen härteren Ton anschlagen muss, um die Sachlage zu klären, gerade wenn es sich um Zauberwerk handelt. Doch, wie Ihr mir nun glaubwürdig versichert habt, geschieht in Eurer Stadt kein derlei Unrecht. Ich bitte nochmals um Vergebung.“

Um seinen Worten zusätzlichen Ausdruck zu verleihen, erhob sich Tillmann und deutete eine kurze Verbeugung an.

„Ihr entschuldigt mich, Fauth Stirn. Danke für Eure wertvolle Zeit, die ihr mir gewährt habt.“

Verwundert über den abrupten Rückzug seines Besuchers, geleitete der Fauth diesen zur Tür. „Ich hoffe sehr, dass Ihr der Hexe habhaft werdet, Hauptmann Tillmann. Ich wünsche Euch jedenfalls viel Glück.“

Er bot Tillmann die Hand, die dieser absichtlich oder auch nicht, übersah. Nun gut. Was soll man auch von einem, des höflichen unkundigen Vasallen erwarten, wertete Stirn diese erneute Respektlosigkeit. In Grunde war er mit sich und mit dem Verlauf der Unterredung zufrieden. Jetzt würde er sich einen „guten“ Tropfen genehmigen und den Tag ausklingen lassen.

***

Elisabeths Herz pochte heftig. Sie trat an die Pforte, begrüßte den Klosterbruder mit einem „Gott zum Gruße“ und zeichnete gleichzeitig das Kreuz vor ihrer Brust.

„Ich bin Elisabeth, die Tochter des Hannes ...“

„Ich weiß wer du bist“, winkte dieser heftig ab, wie wenn er eine Mücke verscheuchen wollte.

„Was willst du?“

„Ich möchte zu Bruder Konrad. Er hat für meinen Vater ein Elixier zur Wundheilung vorbereitet“, log sie, wohl wissend, dass sie diese Lüge am Sonntag würde beichten müssen.

„Schon wieder?“ Der Mönch zog die Augenbrauen hoch und musterte Elisabeth misstrauisch. „Bruder Konrad ist in der Krankenstube. Ich werde dich ihm ankündigen.“ Er erhob sich von seinem Stuhl und rieb seine kalten Füße aneinander.

„Bis zum Apothekerraum darfst du mitkommen. Aber das weißt du ja.“

Schwungvoll drehte er sich herum, sodass sich der untere Teil seiner Kutte aufblähte, und hastete mit weit ausholenden Schritten über den Klosterhof. Elisabeth folgte ihn.

Obgleich sie schon des Öfteren in dem Raum gewesen war, in dem allerlei Heilmittel aufbewahrt und Medizin gemischt wurde, war sie immer wieder aufs Neue fasziniert.

„Warte hier. Und nichts anfassen. Ach, das weißt du ja auch.“ Der Ordensbruder schnaufte tief und stürmte davon.

Elisabeths Blick schweifte über die, bis zur Decke reichenden Regale, auf denen zahlreiche Behältnisse standen, versehen mit lateinischen Namen. Viele davon waren ihr bekannt, dank Konrads geduldvollen Belehrungen. Deshalb wusste sie, dass die Gefäße mit gesundheitlich bedrohlicherem Inhalt sich in den oberen Reihen befanden.

Auf dem großen Eichentisch stand ein voluminöser runder Steintopf mit einem keilförmigen Stößel – ein sogenannter Mörser. Auch das hatte Konrad ihr erklärt. Sie schaute hinein, aber das Behältnis war leer. Dennoch roch es stark nach Salbei und Minze, ähnlich den Leckereien, die an Markttagen angeboten wurden. Dann sah Elisabeth, was ihre Nase vorab erfasst hatte, eine etwa daumendicke grünliche Paste auf einem Holzbrett.

„Gott zum Gruße, Elli.“

Sie fuhr zusammen. „Eh … Gott zum eh …Gruße auch Dir Konrad“, stotterte sie. Wie lange sehnst du dich schon, ihn wieder zu sehen, und jetzt stammelst du vor sich hin, schalt sie sich.

„Entschuldige, falls ich dich erschreckt haben sollte.“ Konrad schmunzelte. „Möchtest du kosten?“

Er deutete auf die Süßigkeit, schnitt ein kleines Stück davon ab und reichte es Elisabeth. Sie hielt es sich unter die Nase. „Danke. Ich werde mich später daran erfreuen.“

Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass niemand anderer in der Nähe war, trat sie dicht an Konrad heran. Als Kind musste sie sehr hoch zu ihm aufsehen, erinnerte sie sich. Nun überragte er sie gerade mal etwas mehr als eine Haupteslänge.

„Vater bittet dich, heute zur Nacht zu uns“, flüsterte sie. Konrads Nähe machte sie schwindelig.

Was ist nur los mit mir?

„Er will sich mit dir beratschlagen, wegen diesem Hauptmann Tillmann. Der lungert noch immer in der Stadt herum.“ Mühsam kamen ihr die Worte über die Lippen. „Vater glaubt, er will ihm und uns etwas anhängen.“

Konrad hörte kaum, was Elisabeth vorbrachte. Beinahe wollte er mit seiner Hand über das liebe Gesicht streichen. Hitze stieg in ihm hoch.

„Was ist mit dir Konrad. Deine Wangen, sie glühen. Bist du etwa krank?“ Elisabeth streckte ihre Hand aus. Fast berührten ihre Fingerspitzen schon Konrads Stirn. Im letzten Moment drehte er sich ab.

„Nein, nein es ist nichts.“ Er fuhr sich über die Augen. „Ich schlafe nur schlecht in letzter Zeit. Was sagtest du? Ach ja. Richte deinem Vater aus ich werde nach dem Abendgebet durch die hintere Pforte eurer Hofreite kommen.“

Das Asylhaus

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