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Das Asylhaus

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Anno 828 Januar

Trotz des Geleits, der bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, saß Bruder Johannes mit eingezogenen Schultern auf dem Karren. Wälder an sich dunkel in ihrer Art, verursachten ihm Ängste. Nicht die Furcht vor Räubergesindel, das sich gerne in diesen unübersichtlichen Waldungen herumtrieb, ließ ihn erschrecken. Diese hatten sich, bedingt durch Eis und Frost, vermutlich ohnehin in ihren Unterschlupf zurückgezogen. Eher war es das Unsichtbare, das seinen schlichten Typus mit unheimlichen Bildern beherrschte.

Dieses Gehölz, durch das sie fuhren, erschien ihm bedrohlicher als all die Vorherigen, durch die ihr Weg geführt hatte. Bei jedem Rascheln und Knacken im Laub fuhr er zusammen. Auch die heiligen Gebeine der Märtyrer Marcellinus und Petrus, die hinter ihm, in vielen Lagen Leinen eingepackt und zusätzlich mit einer dicken Fettschicht aus Schweinebäuchen ausgepolsterten Holzkiste ruhten, konnten diese Anspannung nicht von ihm nehmen. Fortwährend sandte Johannes stumme Stoßgebete in den Himmel, der sich unter dicken grauen Schneewolken versteckte.

Ihr könnt die Siedlung nicht verfehlen – ein von unserem himmlischen Schöpfer und unserem geliebten Kaiser Ludwig gleichermaßen ausgesuchter und gesegneter Ort, hatte Eginhard seine Glaubensbrüder instruiert. Immer entlang dem Flusslauf zu eurer Rechten, so hieß es in seinem Schreiben. Sobald ihr den Wald verlassen habt, liegt das Kloster in seiner ganzen Pracht vor euch.

Doch war diese Gegend von Bächlein und Flüsschen nur so durchzogen und die Orientierung schnell verloren. Und die finsteren Wälder schienen endlos.

„Schau Johannes, dort“, unterbrach Bruder Lukas die düsteren Gedanken seines Ordensbruders und zeigte auf die Helligkeit, die sich, ähnlich einem Höhlenausgang, vor ihnen auftat.

Nach wenigen holprigen Umdrehungen der Wagenräder erblickten sie inmitten einer weißen Schneelandschaft von einer rechteckigen Mauer umgebene Gebäude.

„Da vorne. Das muss die Abtei sein“, rief Bruder Lukas aufgeregt und schwang die Peitsche über dem Ochsengespann. „Los, das letzte Stück schafft ihr auch noch.“

Ob es Lukas’ aufmunternde Worte waren oder ob die Zugtiere, ähnlich wie Johannes, dem dunklen Wald endlich entkommen wollten, bleibt ein Geheimnis. Die Rindviecher nahmen ihre letzten Kräfte zusammen und zogen ihre geweihte Last zu dem, weithin sichtbar liegenden, Konvent. Ebenso beschleunigten die Rösser der Soldaten ihre augenblickliche Gangart.

„Wahrlich, ein bemerkenswerter Landstrich“, nickte Lukas, je näher sie der Ansiedlung kamen. „Wenn man bedenkt, dass die Gemarkung aus bescheidenen 19 Hofreiten mit gerade mal 13 Familien Leibeigener bestanden hatte …“, sinnierte er weiter. „Kaiser Ludwig tat gut daran diese Feldmark seinem Berater und Freund zum Geschenk zu machen. Wie alles, was Eginhard anfasst, gelingt es ihm sicherlich hier, einen gottgefälligen Garten Eden zu schaffen.“

Bruder Johannes atmete hörbar auf und bestätigte seinem Gefährten: „Das ist wohl wahr, Bruder Lukas.“ Obgleich ihn weltliche ebenso wie Staatsgeschäfte und die damit verbundenen Eigenheiten nicht sonderlich interessierten.

Johannes hatte sein Seelenheil in der Gemeinschaft der Bruderschaft gefunden und mehr wollte er nicht. Doch anlässlich eines Festgottesdienstes in der Steinbacher Basilika, die Eginhard vor einigen Jahren erbauen ließ, begegnete er erstmalig dem Baumeister und diplomatischen Berater Kaiser Karls dem Großen.

Johannes lernte Eginhard als einen gottesfürchtigen Menschen und einen klugen Gelehrten kennen. Schon aus diesen Gründen sagte er wohlwollend zu Lukas: „Es sei Eginhard und seinem geliebten Eheweib Imma vergönnt, sich an diesem Fleckchen Erde zu erfreuen, solange es unserem Herrn gefällt.“

„Ja, so sei es, Bruder Johannes. Allzeit war er unserem Kaiser Karl zu Diensten und auch dessen Sohn, Ludwig dem Frommen, ein ebenso gerechter Ratgeber, wie Freund. Seine ihm verbleibende Zeit auf Gottes Erden, abseits von Staatsführung und höfischen Verrichtungen zu verbringen, kann ich nur allzu gut nachvollziehen.“

Wiederum nickte Johannes und ließ seinen Blick über die schneebedeckte Landschaft schweifen. „Nun bin ich gewiss“, sprach er mehr zu sich selbst, „dass die Heiligen, hier an diesem schönen Ort ihre endgültige Ruhestätte und ihren immerwährenden Frieden finden werden.“

„In nomine patri, et filio, et Spiritu Sancto. Amen“, beendete Lukas die Ausführungen seines Klosterbruders. Die beiden Mönche schlugen das Kreuzzeichen jeweils über ihrer Brust, während sie weiter auf die Abtei zufuhren.

Ob die Reliquien von Marcellinus und Petrus de facto mit der ihnen zugedachten Ruhestätte wirklich im Einklang standen oder, ob sie sich durch die spätere Anwesenheit der sterblichen Überreste von Eginhard und Imma, die ihnen in ihrer Krypta Gesellschaft leisten würden gestört fühlten, bleibt ein offenes Mysterium.

Strittig ist gleichwohl die Behauptung, dass ein Mönch, in einer schwarzen Kutte, einige Jahrhunderte später, oftmals in den Gassen Seligenstadts gesehen worden sein soll.

Ob einer der Märtyrer ruhelos in den Straßen umherschlich oder Eginhard selbst? Wer weiß ...!?

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