Читать книгу Das Asylhaus - Rita Renate Schönig - Страница 17

Geheimnisse

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„Was rührst du immerfort in der Suppe? Bring sie auf den Tisch.“

Käthe nahm den Topf von der Herdplatte und stellte ihn in die Mitte des Tisches, an dem Anna und Marie schon erwartungsvoll die Löffel in den Händen hielten. Gretel legte ihren Jüngsten in die Wiege. Dann schnitt sie das frisch gebackene Brot auf.

Die Stimmung im Hause Bergmann war so trübselig wie das nasskalte Wetter draußen. Seit den gestrigen Abendstunden regnete es ununterbrochen.

„Der Herbst kommt in diesem Jahr akkurat“, bemerkte Gretel, nur um etwas zu sagen. „Ich denke, wir sehen heute Nachmittag die Wintersachen durch, falls etwas auszubessern ist.“

Sie warf Käthe einen verärgerten Blick zu. „In Herrgotts Namen. Willst du für den Rest deines Lebens schweigen? Dadurch ändert sich nichts. Hättest ihm halt sagen sollen, wie sich die Sach’ verhält.“

Käthe schluchzte auf und rannte, den Schürzenzipfel an den Augen, aus der Küche.

„Was is’n mit der Käthe?“

„Nichts, Marie. Sie ist nur ein bisschen traurig. Hier fangt schon mal an.“ Gretel schöpfte die heiße Suppe in die Holzschüsseln, riss eine dicke Scheibe Brot entzwei und reichte den Mädchen jeweils die Hälfte. „Ich sag’ den anderen Bescheid, dass das Mittagsmahl auf dem Tisch steht. Achtet derweil auf euren Bruder.“

Ein kalter Luftzug drang in die Küche, weil die Tür zum Hinterhof offen stand. Schon überlegte sie, Käthe hinterherzurennen. Stattdessen ging sie in die Gaststube. Dort fand sie ihren Gatten und die beiden Buben.

„Das Mittagsmahl ist fertig“ knurrte sie. Der nächtliche Streit lag nach wie vor wie eine dicke Nebelwand zwischen ihr und ihrem Hannes. „Wo ist die Else?“

„Ich meine, ich hätte sie oben rumoren hören“, antwortete Martin. „Sie ist noch ziemlich durcheinander. Wen wundert’s.“

„Ach ja“, seufzte Gretel, verließ die Gaststube und stieg die Stufen hinauf. Was hatte sich das Kind dabei gedacht, einen Kurfürstlichen niederzuschlagen? Mehr Vorwürfe aber machte sie ihrem Hannes. Nicht, dass er sich selbst immer wieder in die Bredouille brachte und damit die gesamte Familie gefährdete – eiferten ihm ihre Ältesten jetzt auch noch nach.

Elisabeth saß in der Kammer auf ihrer Holztruhe und blätterte in dem Kräuterbuch, das Konrad ihr geschenkt hatte. Beim Eintritt ihrer Mutter versuchte sie es hinter ihrem Rücken zu verbergen, war aber nicht schnell genug.

„Else, komm. Du hast seit dem Abendmahl nicht mehr gegessen. Käthe hat eine gute Suppe gekocht. Sie wird dich stärken. Was liest du?“

„Ach … eh … nichts von Belang.“

„Warum verbirgst du es dann vor mir?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Gretel ihre Tochter.

Indessen klopfte Elisabeths Herz bis zum Hals. Zögernd streckte sie ihre Hand aus und gab der Mutter das Buch.

Gretel verschlug es fast die Sprache. „Ja Else, wo hast du das her? Das ist ja ein Kunstwerk. Du hast es doch nicht etwa gestohlen?“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Aber nein, Mutter. Ich … ich habe es geschenkt bekommen.“

„Wer, um Himmels willen macht dir solch ein wertvolles Geschenk? Elisabeth, ich denke, du bist mir eine Erklärung schuldig.“

Wenn die Mutter sie mit ihrem Taufnamen ansprach, hieß das: keine Ausreden und schon gar keine Lügen. Wie aber sollte sie den jahrelangen Kontakt mit Konrad erklären? Weder ihre Eltern noch sonst jemand wusste, dass sie sich heimlich trafen und er sie unterrichtete. Nun ja – unterrichtet hatte. „Das Buch ist von Konrad.“

„Und weshalb?“ Gretels bohrender Blick lastete schwer auf dem Gesicht ihrer Tochter. Doch natürlich hatte sie Augen im Kopf und war auch nicht auf den selbigen gefallen. Die Veränderung ihrer Ältesten war ihr schon einige Zeit aufgefallen.

„Er hat mir alles Wissenswerte über Heilpflanzen beigebracht und in diesem Büchlein aufgeschrieben. Er schenkte es mir im Frühjahr zu meinem sechzehnten Geburtstag.“

***

Zumindest der Bergmannschen Sippe schmeckte Käthes Suppe. Sie selbst rührte, in Gedanken vertieft, bloß darin herum. „Ist er noch im Kloster, Hannes?“, unterbrach sie die allgemeine Stille.

„Mir ist nichts anderes bekannt“, antwortete er, ohne sein Mahl zu unterbrechen. „Aber wenn du es genau wissen willst, dann geh rüber ins Hospital und frag Bruder Konrad.“

Augenblicklich ließ Käthe ihren Löffel fallen und stürmte aus dem Raum.

„Ich muss zu Bruder Konrad“, rief sie außer Atem dem Mönch an der Pforte zu und eilte an ihm vorbei.

„Oh gütiger Gott. Du kannst doch nicht einfach so …“ Der Benediktiner hob Augen und Hände zum Himmel. „Selig sind die Irrgeleiteten, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Mit einem Kopfschütteln widmete er sich wieder seinem Brevier.

An der Tür zur Klosterapotheke angekommen trommelte Käthe mit den Fäusten dagegen und rief: „Aufmachen, aufmachen. Bitte macht doch auf.“

Ein Mönch öffnete. „Was soll dieser Lärm, Weib?“

„Ich muss zu Bruder Konrad“, wiederholte Käthe. „Bitte, es ist wirklich dringend.“ Sie knetete ihre Finger. „Es geht um Leben und Tod.“

„Na, worum denn sonst“, erwiderte der Mönch gelassen und verzog das Gesicht. „Sag mir deinen Namen und ich werde sehen, ob Bruder Konrad Zeit für dich hat.“

„Käthe. Ich bin des Bergmann Hannes‘ Magd.“

„Ach ja – der SCHWARZE HANNES. Bleibt hier stehen Jungfer Käthe.“

Mit gemächlichen Schritten bewegte sich der Mönch in die hinteren Räumlichkeiten. Es dauerte einige Zeit – für Käthe eine kleine Ewigkeit – bis Konrad erschien.

„Ist er noch da“, flüsterte sie. „Vitus. Ist er noch bei Euch?“

Erschrocken schaute Konrad sich um. „Du bringst mich und dich in Gefahr, Käthe. Was ist denn geschehen? Warum bist du so aufgeregt?“

„Ich muss ihn unbedingt noch sehen, bevor er …“ Käthes Stimme versagte, und Tränen flossen jetzt hemmungslos über ihre Wangen.

„Hier, trink einen Schluck Wasser und beruhige dich.“

Aus einem Tonkrug goss Konrad ihr einen Becher voll und gewahrte, dass es sich um Wein handelte.

„Nun, dann soll es wohl so sein“, murmelte er.

Nachdem Käthe den ersten Schluck zu sich genommen hatte, trank sie den Becher in einem Zug leer. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Nun macht Ihr es schon unserem Herrgott gleich und verwandelt Wasser in Wein.“

„Käthe, Vitus ist weg.“

„Was? Oh, nein. Bitte sagt das nicht. Ich muss ihm …“

Wiederum brach sie in Tränen aus.

„Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat.“ Konrad hob hilflos die Arme. „Als ich ihn holen wollte, war er jedenfalls nicht mehr dort wo ich ihn zurückgelassen hatte.“

Käthe wischte sich mit ihrer Schürze über die Augen. „Bruder Konrad nehmt mir die Beichte ab.“

„Aber Käthe, doch nicht hier in der Hospitalstube. Und in die Kirche zu gehen, ist den Bürgern nur an Feiertagen erlaubt – das ist dir bekannt. Du solltest dich an den Pfarrer eurer Gemeindekirche wenden.“

„Dem traue ich nicht“, entfuhr es Käthe. Erneut flossen die Tränen wie Sturzbäche. „Bitte, Bruder Konrad. Wenn Ihr mir das Sakrament der Sühne versagt, dann bleibt mir nur noch mich im Main zu ersaufen.“

„Käthe! So etwas sollst du nicht einmal denken. Es ist eine schwere Sünde, an das Leben, das der himmlische Vater dir geschenkt hat, selbst Hand anzulegen.“

Konrad sah sich in der Zwickmühle. „Warte hier einen Augenblick. Ich bin gleich wieder zurück.“

Er ging zum hinteren Ausgang des Hospitals. Von seinen Mitbrüdern war niemand zu sehen und auch aus dem Weinkeller drang kein Laut. Er eilte zu Käthe zurück, die noch immer auf derselben Stelle stand.

„Komm, aber sei leise.“

Käthe folgte ihm in die Basilika. Der erste der drei Beichtstühle gehörte dem Abt und durfte auch nur von ihm benutzt werden. Als sie vorbeigingen, drang ein leises Aufstöhnen aus dem Inneren. Verwundert horchte Konrad auf. Sollte Abt Krays womöglich in seinem Beichtstuhl eingeschlafen sein? Sofort verwarf er den Gedanken. Der Abt zog sich nach dem Mittagsmahl in seine Gemächer zurück, um zu meditieren, wie er es nannte. Ein jeder wusste aber, dass er ein Verdauungsschläfchen machte.

Käthe hatte ebenfalls den Laut vernommen. „Was war das?“

Konrad deutete ihr an, leise zu sein. Vorsichtig öffnete er die mittlere Tür. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Nun sieh dir das an Käthe. Der verlorene Sohn.“

Der Anblick des tief schlafenden Vitus, zusammengekauert auf der schmalen Sitzgelegenheit, ließ Käthes Herzschlag für einen Augenblick aussetzen. „Mein Bub, mein lieber Bub“, wisperte sie und streichelte sachte über seinen Kopf.

Vitus zuckte zusammen. Das Erste, was er wahrnahm, war die hohe dunkle Gestalt, die ihm jeglichen Fluchtweg versperrte. Verzweifelt stützte er sich auf Konrad und versuchte an ihm vorbeizukommen. Dann sah er Käthe. „Was … was tust du hier?“

„Die Frage stellt sich ebenso für dich. Warum bist du nicht in der Kry …, eh in deinem Versteck, wie du es versprochen hast?“, fragte Konrad streng. „Du bringst dich und mich wiederholt in Gefahr. Bist du dir dessen bewusst?“

„Ihr habt die Hexe dort versteckt“, spie Vitus mit Abscheu in der Stimme dem Mönch entgegen. „Habt Ihr tatsächlich angenommen, ich bleibe auch nur eine Sekunde in diesem eh ..., diesem Loch, in dem die Zaunreiterin sich aufgehalten hat? Ja, da staunt Ihr? Ich habe den Beutel gefunden, mit dem Handwerkszeug der Teufelsbuhlerin.“

„Vitus, beruhige dich. Du verstehst die Zusammenhänge nicht. Aber ich werde es dir erklären, sobald wir diesen Ort verlassen haben.“

Vitus bemerkte offenbar nicht, dass er zunehmend lauter wurde.

„Dies ist das Haus Gottes und hier sollte keiner seine Stimme erheben – es sei denn, zum Lobgesang unseres Herrn“, tadelte Konrad.

Vitus wollte erneut aufbrausen, doch Käthe nahm ihn bei der Hand. „Komm, mein lieber Junge. Nun wird alles gut. Du wirst schon sehen.“

Sie versuchte, obwohl einen halben Kopf kleiner als Vitus, ihren Arm um seine Schultern zu legen.

In dem Moment wurde die Pforte zum Kreuzgang geöffnet. Konrad erschrak. Hatte er die Glocke überhört und war es schon Zeit für die Non – das letzte der kleinen Tagesgebete?

„Schnell, hinein“, flüsterte er und schubste Käthe linksseitig in den Beichtstuhl. Ihm selbst gelang es gerade noch rechtzeitig, die Tür auf der rechten Seite hinter sich zuzuziehen.

„Verhaltet euch bloß still“, raunte er.

Oh himmlischer Vater, welche Überraschungen hältst du noch für mich bereit, fragte er lautlos, den Blick zur Decke gerichtet. Fast meinte er, eine Stimme zu hören, die belustigt antwortete: Noch einige mein Sohn – noch einige.

Die kleinen Horen dauerten nicht sehr lange und auch Konrads Abwesenheit fiel desgleichen nicht weiter auf, indem seine Arbeit im Klosterhospital ihn dann und wann hinderte, an den Stundengebeten teilzunehmen. Nachdem wieder Ruhe in das Gotteshaus eingekehrt war, führte er Käthe und Vitus zur östlichen Seitenpforte der Klosterkirche. Er zog einen langen Schlüssel aus seiner Kutte und öffnete die Tür zur Laurentiuskapelle.

Das Asylhaus

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