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a) Beendigung des Verfahrens aufgrund einer gütlichen Einigung

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Sobald eine Beschwerde für zulässig erklärt worden ist, bemüht sich der Gerichtshof, anstelle einer streitigen Entscheidung eine gütliche Einigung auf der Grundlage der Achtung der in der Konvention anerkannten Menschenrechte zu erreichen. Zu diesem Zweck nimmt der Kanzler – nach den Weisungen der zuständigen Kammer oder ihres Präsidenten – Kontakt mit den Parteien auf. Die Kammer selbst trifft alle geeigneten Maßnahmen, um eine solche Einigung zu erleichtern (Rule 62 Abs. 1).[64] Ob eine gütliche Einigung im Einzelfall als geeignetes Mittel zur Verfahrensbeendigung erscheint, erfordert eine umfassende Abwägung; hier sollte sich der Bf. bzw. dessen Vertreter zunächst vor allem vergegenwärtigen, welches Ziel mit der Beschwerde verfolgt wird.[65]

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Obwohl Rule 62 Abs. 1 die Aufnahme von Vergleichsverhandlungen (friendly-settlement negotiations) zwischen den Verfahrensbeteiligten in Hinblick auf eine Erledigung der Beschwerde scheinbar auf den Zeitraum nach der Zulässigkeitsentscheidung des Gerichtshofs beschränkt, können die Verfahrensbeteiligten bereits in dem diesem Zeitpunkt vorgelagerten Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung ausloten, müssen hierzu allerdings selbst die Initiative ergreifen (Art. 39 Abs. 1 EMRK). Die Einschaltung des Gerichtshofs zur Anbahnung dieser Verhandlungen ist ebenfalls möglich. Insbesondere können die Parteien die Kanzlei bzw. die mit der Rechtssache (voraussichtlich) befasste Kammer um die Unterbreitung eines Vorschlags für eine gütliche Einigung bitten.[66]

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Inhalt einer gütlichen Einigung kann auf staatlicher Seite ein ausdrückliches Anerkenntnis und Bedauern des eingetretenen Konventionsverstoßes (statement of regret), eine freiwillige Geldzahlung (ex gratia payment) und/oder das Versprechen sein, zukünftigen Konventionsverstößen vorzubeugen (undertaking to adopt appropriate/necessary measures). Daneben sind noch andere Inhalte einer solchen Einigung denkbar, einen festen Katalog möglicher Absprachen gibt es nicht. Es ist daher die Aufgabe des Verteidigers, konkrete Vorschläge zu unterbreiten, die für seinen Mandanten von Vorteil sind.[67] Eine Verpflichtung, das Verfahren nicht weiter zu betreiben, muss der Bf. nicht unbedingt eingehen, da der Gerichtshof den Fall ohnehin aus seinem Register streicht, wenn er der Meinung ist, dass die Einigung gütlich erfolgt ist (Art. 39 Abs. 3 EMRK; Rule 62 Abs. 3 i.V.m. Rule 43 Abs. 3).

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Um den Einigungsprozess nicht durch äußeren Druck zu gefährden, sind die im Hinblick auf eine gütliche Einigung geführten Verhandlungen vertraulich und erfolgen unbeschadet der von den Parteien im streitigen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen. Die Vergleichsverhandlungen werden auch nach Abschluss des Verfahrens der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, ebensowenig wie die gegenüber der Gegenseite abgegebenen Erklärungen (Art. 39 Abs. 2 EMRK; Rule 62 Abs. 2 Satz 2, Rule 33 Abs. 1).

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Das gilt prinzipiell auch im späteren Verfahren, falls die Verhandlungen scheitern. Im Rahmen der Vergleichsverhandlungen geäußerte schriftliche oder mündliche Mitteilungen, Angebote oder Eingeständnisse dürfen weder im Schriftwechsel mit der Kanzlei noch im Rahmen des streitigen Verfahrens erwähnt oder geltend gemacht werden (Rule 62 Abs. 2 Satz 2, § 17 PD-W[68]).[69] Nicht ausgeschlossen ist aber, dass der betroffene Vertragsstaat – außerhalb der Vergleichsverhandlungen – eine „einseitige Erklärung“ abgibt, in der er den Konventionsverstoß anerkennt, eine seiner Ansicht nach angemessene Kompensation anbietet, um eine Streichung der Beschwerde nach Art. 37 Abs. 1 lit. c EMRK zu erreichen (vgl. Rn. 376) und dabei auch über das Scheitern der Vergleichsverhandlungen „referiert“ (unilateral declaration, vgl. Rn. 378).[70]

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Ob ein Verstoß gegen die Vertraulichkeit vorliegt, hängt nicht davon ab, wie viele Einzelheiten aus den Verhandlungen zur friedlichen Streitbeilegung Dritten bekannt gegeben werden; ein derartiger (vorsätzlicher) Verstoß kann dazu führen, dass die Beschwerde als missbräuchlich eingestuft wird.[71]

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Wenn zwischen dem in seinen Rechten verletzten Bf. und der verantwortlichen Vertragspartei eine Einigung erzielt worden ist, prüft der Gerichtshof (lediglich noch), ob ihr Inhalt als gütlich (friendly) eingestuft werden kann. Eine Fortsetzung der Prüfung der Beschwerde erfolgt jedoch dann, wenn die Achtung der Menschenrechte dies erfordert (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EMRK), d.h. der Gerichtshof kann einen Fall, der für die Achtung der Menschenrechte wichtige Fragen grundlegender Natur betrifft (serious issues of general nature) auch gegen den Willen des Bf. weiterverfolgen, selbst wenn dieser oder sein Vertreter von einer staatlichen Wiedergutmachung und damit einem Wegfall der Opfereigenschaft durch eine gütliche Einigung ausgehen.

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Liegt eine gütliche Einigung nach Ansicht des Gerichtshof vor und erfordern die Menschenrechte keine weitere Prüfung der Beschwerde, so kann der Gerichtshof durch Beschluss[72] entscheiden, die Rechtssache aus dem Register zu streichen (Art. 39 Abs. 4 EMRK; Rules 43 Abs. 3, 62 Abs. 3). Der Zulässigkeit einer erneuten Individualbeschwerde in derselben Sache steht dann Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK entgegen.[73]

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Dieses Urteil kann auch eine Kostenentscheidung enthalten (award of costs), die vom Gerichtshof nach billigem Ermessen getroffen wird (Rule 43 Abs. 4). Die allgemeinen Grundsätze für die Erstattung von Kosten nach Rule 43 Abs. 4 sind wesentlich dieselben wie die nach Art. 41 EMRK. Kosten werden nur insoweit erstattet, als sie sich auf die behaupteten Verletzungen beziehen.[74] Soweit die Verteilung der entstandenen Kosten nicht bereits ein Element der zwischen den Parteien getroffenen Einigung ist, sollte der Bf. einen Antrag auf Festsetzung einer Kostenerstattung durch die beklagte Vertragspartei stellen.

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Erst durch die Entscheidung des Gerichtshofs, die Beschwerde aus dem Register zu streichen, wird das Verfahren der Individualbeschwerde beendet. Hält sich jedoch der Vertragsstaat nicht an den Inhalt der getroffenen Einigung, deren Überwachung dem Ministerkomitee des Europarates obliegt (Art. 39 Abs. 4 EMRK; Rule 43 Abs. 3 Satz 2), kann der Gerichtshof die Wiedereintragung der Beschwerde ins Register beschließen (Art. 37 Abs. 2 EMRK; Rule 43 Abs. 5).

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Zur Durchsetzung des Vergleichs, insbesondere der zugesagten Zahlungen vor nationalen Gerichten, siehe Rn. 381.

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