Читать книгу Geheime Kräfte - Roland E. Koch - Страница 16
ROTER REGEN
ОглавлениеEine Frau machte fast jeden Abend nach dem Essen einen Spaziergang durch den nahegelegenen großen Park. Hier konnte sie sich entspannen und nachdenken und dem entkommen, was sie tagsüber quälte, dem Büro, den Kolleginnen, der ständigen Sorge um den Arbeitsplatz, die alle zu Jasagerinnen, Nickerinnen, stillen Lächlerinnen machte. Ihre Wut und die Demütigungen konnte sie im Park ablaufen, so dass sie es anschließend wieder einigermaßen in der Wohnung aushielt und mit den Sorgen, wie der nächste Tag werden, wie sie ihn bestehen und überleben würde, um wenigstens einmal draußen frei herumlaufen zu können. Deswegen ging sie auch bei jedem Wetter und bei jeder Jahreszeit.
An einem Frühlingsabend wurde sie von einem leichten Regen überrascht, der merkwürdig roch, nicht nach Mairegen. Er hatte einen rötlichen Schimmer. Die Jogger hatten den Park schon verlassen. Die innere Anlage wurde um 20 Uhr geschlossen, so dass man zwar noch hinaus-, aber nicht mehr hereinkonnte. Die Frau blieb stehen und betrachtete den roten Regen. Zuerst dachte sie, es sei Blütenstaub in der Luft, aber die Farbe kam ihr leuchtend rot vor, wie Feuer, wie Lava, nicht rostig und nicht gedämpft. Vielleicht hing alles mit einer Raffinerie in der Nähe zusammen, dachte sie, bei der es häufig Störungen und Verpuffungen gegeben hatte.
Am nächsten Tag regnete es nicht, und sie sprach mit niemandem über den roten Regen. Doch zwei Tage später, an einem Freitag, nahm sie wieder den selben roten Farbton wahr. Es roch kalt, dachte sie, wie in einem gefliesten Raum, wie im Kühlhaus einer Metzgerei. Offenbar schien niemand die Farbe des Regens zu beachten, und sie begann zu fürchten, dass nur sie sie wahrnahm. Es gab auch keine Berichte in der Lokalzeitung, die sie genau durchsuchte. Sie sammelte den roten Regen in verschiedenen Gefäßen, doch wenn er länger als zehn Minuten stand, war er durchsichtig.
Dann bin ich eben verrückt, dachte die Frau, so geht es ohnehin nicht weiter.