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DER GOLF VON MARSEILLE
ОглавлениеEin durchaus ernsthafter Mann von fast fünfzig Jahren, verheiratet und Vater, verliebte sich überraschend in eine sehr junge Frau. Sie war klein, dünn, rothaarig, ihr Gesicht voller Sommersprossen, und sie entsprach in ihrer zarten, mädchenhaften, kindlichen Art überhaupt nicht dem, was er an Frauen bisher begehrenswert gefunden hatte. Das war nun anders. Er träumte von ihren harten, dunkelblauen Augen, ihren roten Zöpfen, er stellte sich immer wieder ihren sommersprossigen Körper vor, ihre kleinen Füße. Er dachte an ihre Hände, ihre Ohrläppchen, die Stecker darin, ihre hellgrüne Jacke, ihre Turnschuhe oder Stiefel. Er sah die Leichtigkeit, mit der sie eine Treppe hinunterlief. Er wusste, dass sie einen gleichaltrigen Freund hatte, der aus demselben Dorf in Schleswig-Holstein stammte und sehr groß war, viel größer als sie. Er studierte auch nicht, sondern machte eine Ausbildung. Den Bauerntölpel nannte der Mann ihn für sich, da er nicht gerade redegewandt schien. Nichts deutete darauf hin, dass es Svenja, der jungen Frau, in den Sinn kommen könne, ihrem Freund untreu zu werden.
Der Mann dachte trotzdem weiter an ihre hohe, kindliche, fast piepsige Stimme, die kaum laut werden konnte, an ihre Augen, die sich wild veränderten, wenn sie ärgerlich oder wütend war, an ihre Ordnungsliebe, ihre aufgeräumte kleine Wohnung.
Sie hatte irgendwann eingewilligt, mit ihm ins Museum zu gehen, und er hatte sie zu Hause abholen dürfen. Sie verhielt sich merkwürdig; immer wenn er sie zum Lachen bringen wollte oder sagte, dass er glücklich sei, sie zu treffen, sah sie ihn unverändert skeptisch an, wie einen Kranken oder einen ganz unberechenbaren Menschen. Zu Hause hatte er nicht einmal überzeugend erklären können, warum er wegging und fürchtete die ganze Zeit, von Bekannten gesehen zu werden.
Als er in einer Ecke der Ausstellungsräume Svenjas Hand nahm, standen sie gerade vor einer Ansicht des Golfs von Marseille von Cézanne. Er wollte ihr sagen, wie sehr er in sie verliebt war, sie begehrte, aber er sah schon, sah in den Linien des Bildes, dass es ganz unmöglich war. Da spürte er auf einmal, wie sie den Händedruck erwiderte und es war, als flögen sie Hand in Hand dorthin, nach Südfrankreich, mit ihren nun verbundenen Energien.