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bb) Die Europäische Union als „Staatenverbund“ und als Union der Bürger

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Das BVerfG hat im Maastricht-Urteil für die Charakterisierung der Europäischen Union den Begriff „Staatenverbund“ geprägt:

„Der Vertrag begründet einen europäischen Staatenverbund, der von den Mitgliedstaaten getragen wird und deren nationale Identität achtet; er betrifft die Mitgliedschaft Deutschlands in supranationalen Organisationen, nicht eine Zuständigkeit zu einem europäischen Staat.“[71]

Das BVerfG knüpft dabei nicht an etablierte Kategorien des Völkerrechts oder der allgemeinen Staatslehre an, sondern unternimmt den „interessanten Versuch, die Eigenheiten des Unionssystems mit dem außergewöhnlichen Grad an vergemeinschafteten Kompetenzbereichen sowie die Breite der unter dem Dach der Union gezogenen Politikfelder als „Mehr“ gegenüber dem herkömmlichen Staatenbund begrifflich einzufangen“[72].

Entscheidender Ansatzpunkt ist für das BVerfG, dass die Union ungeachtet der Fülle der auf sie übertragenen Kompetenzen und „Staatsfunktionen“, insbesondere der Währungshoheit[73], auf der fortbestehenden Entscheidung der Mitgliedstaaten für diese und damit auf dem Willen der Völker der Mitgliedstaaten, dieser anzugehören basiert, ihr somit die sog. Kompetenz-Kompetenz fehlt. Die demokratische Legitimation wird danach „zuvörderst“ über die nationalen Parlamente vermittelt[74]. Daher bedürften die Staaten „hinreichend bedeutsamer eigener Aufgabenfelder, auf denen sich das jeweilige Staatsvolk in einem von ihm legitimierten und gesteuerten Prozess politischer Willensbildung entfalten und artikulieren kann“[75].

Auf den Gesichtspunkt der „Übertragung“ stellt ausdrücklich der Vertrag von Lissabon ab (vgl zB Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 EUV), der ungeachtet und wohl gerade wegen der erheblichen und durch diesen Vertrag noch erweiterten Kompetenzfülle der EU die tragende Rolle der Mitgliedstaaten betont. Im Lissabon-Urteil bestätigt das BVerfG das Maastricht-Urteil und präzisiert und ergänzt es:

„Das Grundgesetz ermächtigt mit Art. 23 GG zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union. Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“[76]

Das BVerfG bekräftigt, dass in den Mitgliedstaaten ein „ausreichender Raum zur Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse“ bleiben muss und nennt dazu „insbesondere“ konkrete Sachbereiche[77] (s. dazu Rn 242). Der „Systemwechsel“ in einen europäischen Bundesstaat sei von Art. 23 GG nicht gedeckt und bedürfe der Entscheidung des Verfassungsgebers „Volk“ (vgl Art. 146 GG), nicht lediglich des Verfassungsgesetzgebers[78].

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Am Maastricht-Urteil wurde kritisiert, dass das BVerfG die Rolle des Europäischen Parlaments zumindest verbal unterschätzt, allerdings mit einer Entwicklungsperspektive[79]. Zutreffend ist allerdings der Ansatz einer zweigleisigen demokratischen Legitimation[80]. Diesem Ansatz entspricht auch der Vertrag von Lissabon, der in Art. 12 EUV den aktiven Beitrag der nationalen Parlamente „zur guten Arbeitsweise der Union“ betont (s. dazu Rn 340). Das Lissabon-Urteil bestätigt diesen Ansatz und verdeutlicht, warum das Europäische Parlament systembedingt, dh solange die EU kein Staat ist, nicht voll dem Parlament eines Staates entsprechen kann[81], weshalb die demokratische Legitimation über die nationalen Parlamente notwendig bleibt (s. dazu und zu den Folgen Rn 386). Entscheidend ist, dass das parallele Gleis des Europäischen Parlaments als angesichts des Integrationsstands der Union ebenso notwendig erkannt wird. In der Direktwahl zum Europäischen Parlament kommt wie in der unmittelbaren Berechtigung und Verpflichtung von Individuen zum Ausdruck, dass die EU nicht nur eine Union der Staaten, sondern auch der Bürger ist, ungeachtet dessen, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament nach wie vor über auf die Mitgliedstaaten fest verteilte Sitze erfolgt. Bezieht man diesen Aspekt der Repräsentation der Bürger (vgl Art. 14 Abs. 2 EUV) ein, so gibt der Begriff „Staatenverbund“ den besonderen Charakter der Union zutreffend wieder. Dies bekräftigt jetzt Art. 10 Abs. 2 EUV.

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