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c) Die Sicherung der einheitlichen Geltung und Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten
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Die Rechtsordnung der EU kann nur dann eine gemeinschaftliche sein, wenn Geltung und Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten einheitlich sind und nicht jeweils verschiedenen Bedingungen unterliegen. Die Verträge enthalten insoweit keine Regelungen. Der EuGH hat deshalb frühzeitig den Vorrang des Gemeinschaftsrechts (jetzt des Unionsrechts) vor nationalem Recht behauptet (s. Rn 218 ff). Die verfahrensmäßige Absicherung dieses Vorrangs erfolgt nicht nur durch den EuGH, sondern auch durch die nationalen Gerichte, die insoweit Verantwortung für die Einhaltung des Unionsrechts tragen (s. Rn 724). Zunehmend wird erkannt, dass die Herstellung des Binnenmarktes wirkungslos bleibt oder gar kontraproduktive Wettbewerbsverzerrungen schafft, wenn die einheitliche praktische Durchsetzung des Unionsrechts im gesamten Unionsgebiet nicht gewährleistet ist. Die Kommission wendet dieser Aufgabe daher besonderes Augenmerk zu. Auch die Mitgliedstaaten haben dieses Problem erkannt und in einer Erklärung der Konferenz von Maastricht vom 7.2.1992[117] die Mitgliedstaaten unter Heranziehung der vom EuGH entwickelten Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz (vgl Rn 610 ff) zur Gemeinschaftstreue ermahnt und die Kommission zur Kontrolle ihrer Einhaltung aufgefordert.
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Lösung Fall 2 (Rn 168):
Enthält eine unionsrechtliche Regelung keine besondere Vorschrift, die für den Fall eines Verstoßes gegen sie eine Sanktion vorsieht, oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so sind die Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 291 Abs. 1 AEUV verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten.
Obgleich den Mitgliedstaaten dabei die Wahl der Sanktionen verbleibt, müssen sie darauf achten, dass Verstöße gegen das Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartiger Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss („Effektivitätsgebot“). Außerdem müssen die nationalen Stellen gegenüber Verstößen gegen das Unionsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften walten lassen („Äquivalenzgrundsatz“).
Wegen des Effektivitätsgebotes genügt ein Untätigbleiben jedenfalls nicht dem Unionsrecht, selbst wenn dies in vergleichbaren nationalen Fällen üblich sein sollte.
Ergebnis: Griechenland ist zu den geforderten Maßnahmen dem Grunde nach verpflichtet.
Diese Verpflichtung wurde durch den Maastricht-Vertrag in Art. 209 EGV kodifiziert und im Amsterdamer Vertrag in Art. 280 Abs. 2 EGV sowie im Vertrag von Lissabon in Art. 325 Abs. 2 AEUV beibehalten. Art. 325 Abs. 1 und 3 AEUV verdeutlicht die Verpflichtung von Union und Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung betrügerischer Praktiken. Art. 325 Abs. 4 AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat zum Erlass von Rechtsakten im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren über Verfahren zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten. Der noch in Art. 280 Abs. 4 EGV enthaltene Vorbehalt zur Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und der Strafrechtspflege wurde gestrichen. Mit Beschluss 1999/352 der Kommission[118] wurde das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) errichtet, dessen Befugnisse in der VO 1073/99 des Europäischen Parlaments und des Rates[119] im Einzelnen festgelegt sind[120]. Art. 86 AEUV sieht jetzt die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vor (s. Rn. 1058).
Literatur:
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§ 3 Grundlagen der Europäischen Union › VI. Das Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten › 3. Europäische Union und Teile von Mitgliedstaaten mit eigener Rechtspersönlichkeit