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2.Jugend als Zeit des Übergangs und der entwicklungsbedingten Spannungen

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17Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein ist für den jungen Menschen eine Zeit besonderer innerer und äußerer Spannungen. Sie werden biologisch durch den Vorgang der Pubertät (Geschlechtsreifung), soziologisch durch die Notwendigkeit der „Anpassung an eine neue soziale Rolle“,25 eben die des auch gesellschaftlich und beruflich „Erwachsenen“ ausgelöst.

18a) Nach einem vorbereitenden Stadium der „Vorpubertät“ (bei männlichen Jugendlichen etwa mit dem 12. Lebensjahr, bei weiblichen schon früher beginnend) fällt bei der deutschen Jugend die eigentliche biologische Pubertät etwa in das Lebensalter von 14 bis 18 Jahren. Das jedenfalls ist die Altersbegrenzung, die seit dem Jugendgerichtsgesetz von 1923 dem gesetzlichen Begriff des „Jugendlichen“ zu Grunde liegt. Doch ebenso wenig wie die Pubertät plötzlich und unvermittelt beginnt, wird der biologische Reifungsvorgang übergangslos zu einem generell bestimmbaren Zeitpunkt abgeschlossen. Nicht nur, dass die Entwicklung bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer verläuft, vielmehr wird man ganz allgemein feststellen dürfen, dass pubertätsbedingte Verhaltensweisen in verschieden starkem Umfang auch noch in den folgenden Jahren (etwa bis in das 21. Lebensjahr, ja gelegentlich noch darüber hinaus) auftreten. Das deutsche JGG von 1953 hat dieser Erkenntnis Rechnung getragen, indem es in gewissem Umfang auch diese Altersstufe der „Adoleszenz“, d. h. in der Sprache des Gesetzes die „Heranwachsenden“, bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres in das Jugendstrafrecht einbezogen hat.

Die Pubertät ist nicht nur ein körperlicher Reifungsvorgang, der mit dem Wachstum und dem In-Funktion-Treten der Sexualorgane sowie der Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Schambehaarung, Stimmbruch usw.) äußerlich erkennbar wird. Vielmehr ist diese körperliche Umwälzung regelmäßig mit einer mehr oder minder schweren Krise der seelischen Entwicklung verbunden, die weit über den Bereich des Sexuellen hinausgeht. Sie ist vor allem geprägt von einem starken Drang nach Erlebnissen, Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung sowie dem Bedürfnis nach Partnerschaften, ohne dass immer entsprechende Realisierungschancen bestünden. Ferner ist charakterisierend die leichte Verführbarkeit des jungen Menschen bei gleichzeitiger Ablehnung von Autorität und Zwang.26

19b) Zu diesen biologisch-psychologischen Kennzeichen der Pubertät tritt nun als ein kriminalsoziologisch kaum minder bedeutsamer Umstand hinzu, dass der junge Mensch in dieser kritischen Periode sich regelmäßig aus der relativen Geborgenheit des Elternhauses löst oder zumindest dort eine ganz neue Rolle einnimmt. Mit dem Übergang aus Familie und Schule in das Arbeits- und Berufsleben tritt er in eine völlig neue Umwelt ein. Diese aber hält eine Fülle neuer Anforderungen, Einflüsse und Versuchungen für ihn bereit, zu deren seelisch-charakterlicher Bewältigung er gerade in diesem Stadium puberaler Labilität und Unausgeglichenheit vielfach noch nicht im Stande ist.

Wenn nun auch die Zusammenhänge zwischen Pubertät, Sozialisation und Kriminalität in ihren Einzelheiten noch nicht hinreichend geklärt und daher noch vielfach kontrovers sind, so ist doch unbestreitbar, dass nicht etwa nur die Sittlichkeits- und die Aggressivitätsdelikte, sondern auch zahlreiche sonstige Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender auf die biologische und soziologische Krisensituation der Reifezeit zurückzuführen sind. Für die strafrechtliche Behandlung dieser Täter ergeben sich daraus mannigfache Konsequenzen. Ihre Schuldfähigkeit kann durch pubertätsbedingte Störungen des seelischen Gleichgewichts herabgemindert oder ausgeschlossen sein. Aber auch wenn sie zu bejahen ist, bleibt die Frage, ob es sinnvoll und gerechtfertigt ist, die ganze Zukunft des jungen Menschen durch die Bestrafung einer Tat in Frage zu stellen, die nur Ausdruck einer ihrer Natur nach vorübergehenden Entwicklungsstufe ist. Zwar ist das Bedürfnis der Allgemeinheit nach schuldproportionaler Sühne und nach Schutz auch angesichts einer Jugendstraftat zu beachten, aber es wäre kurzsichtig, wenn man dabei übersähe, dass dieses Bedürfnis in einer der spezifischen Eigenart des Jugendlichen angepassten Form befriedigt werden muss. Denn sonst würde die rechtliche Reaktion auf die Tat eines Heranreifenden, dessen Charakter gerade durch die Lebenserfahrungen dieser Jahre geprägt wird, die Gefahr seines weiteren kriminellen Abgleitens begründen und dadurch sowohl ihn selbst wie die Allgemeinheit nur umso stärker gefährden.

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