Читать книгу Salz. Fett. Säure. Hitze - Samin Nosrat - Страница 12

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ls Kind dachte ich, Salz gehöre in einen Streuer auf den Tisch und sonst nirgendwohin. Ich gab nie welches ins Essen, und ich sah auch nie, dass Maman das tat. Wenn meine Tante Ziba, die eine wohlbekannte Vorliebe für Salz hatte, jeden Abend beim Essen welches auf ihren Safranreis streute, kicherten meine Brüder und ich. Wir fanden das unglaublich seltsam und lustig. »Was um Himmel willen«, fragte ich mich, »soll Salz im Essen bringen?«

Bei Salz war meine erste Assoziation der Strand, an dem es meine Kindheit gewürzt hatte – die endlosen Stunden im Pazifik, als ich einen Mundvoll Wasser nach dem anderen schluckte, weil ich die Wellen falsch einschätzte. Wenn wir bei Ebbe in den dämmrigen Klippen herumkletterten, Gezeitentümpel untersuchten und Seeanemonen anstupsten, bekamen meine Freunde und ich oft eine unfreiwillige Salzwasserdusche ab. Und meine mit Riesentang bewaffneten Brüder, die mich über den Strand jagten, ärgerten und kitzelten mich mit seinen salzigen, außerirdisch wirkenden Quasten, sobald sie mich eingeholt hatten.

Maman bewahrte unsere Badesachen immer im Kofferraum unseres blauen Volvo-Kombis auf, weil wir ständig an den Strand wollten. Sie war sehr geschickt im Umgang mit Sonnenschirm und Decken und baute alles auf, während sie uns drei ins Meer scheuchte.

Wir blieben im Wasser, bis wir einen Riesenhunger hatten, dann suchten wir den Strand nach dem sonnengebleichten rot-weißen Sonnenschirm ab, dem einzigen Orientierungspunkt, der uns zu unserer Mutter zurückführte. Wir wischten uns das Salzwasser aus den Augen und trabten schnurstracks zu ihr.

Maman wusste immer ganz genau, was uns am besten schmecken würde, sobald wir auftauchten: persische Gurken und Feta-Käse, eingerollt in Lavash-Fladenbrot. Wir verdrückten die Sandwiches mit handvollweise eiskalten Trauben oder Wassermelonenschnitzen, um unseren Durst zu löschen.

Dieser kleine Imbiss, gegessen mit tropfnassen Locken, während sich auf meiner Haut Salzkrusten bildeten, schmeckte immer so gut. Zweifellos trug das Strandvergnügen zum Zauber des Erlebnisses bei, aber erst viele Jahre später, als ich im Chez Panisse arbeitete, verstand ich, warum diese Häppchen auch in kulinarischer Hinsicht so perfekt gewesen waren.

Mein erstes Jahr im Chez Panisse verbrachte ich mit dem Abräumen von Tischen. Dem Essen kam ich für gewöhnlich dann am nächsten, wenn die Köche bei der sogenannten Probierrunde jedes Gericht vorab für den Küchenchef oder die Küchenchefin zubereiteten. Weil das Menü jeden Tag wechselte, benötigten sie diese Probierrunde, um sicherzustellen, dass ihre kulinarischen Ideen auch tatsächlich um gesetzt wurden. Alles musste genau stimmen. Die Köche bastelten und spielten herum, bis sie zufrieden waren; dann gaben sie die Gerichte dem Servicepersonal zum Probieren. Auf der winzigen Veranda hinter dem Haus beugten sich ein Dutzend Leute über die Teller; wir reichten sie herum, bis jeder einen Bissen von allem gekostet hatte. Bei diesen Gelegenheiten probierte ich zum ersten Mal knusprig frittierte Wachteln, zarten, im Feigenblatt gebratenen Lachs und Buttermilch-Pannacotta mit duftenden Walderdbeeren. Oft begleiteten mich diese kräftigen Aromen durch meine ganze Schicht.

Sobald ich eigene kulinarische Ambitionen entwickelte, riet mir Chris Lee – der Koch, der mich später unter seine Fittiche nehmen sollte –, mich weniger auf die Geschehnisse bei der Probierrunde auf der Veranda zu konzentrieren als auf die in der Küche. Auf die Sprache, die die Köche verwendeten, woran sie merkten, dass etwas gelungen war – das waren die Schlüssel, um eine bessere Köchin zu werden. Wenn ein Gericht nicht gut ankam, lag die Lösung meist darin, beim Salz nachzujustieren. Manchmal in Form von Salzkristallen, oft auch mit ein wenig geriebenem Käse, ein paar zerdrücken Sardellen, einigen Oliven oder ein paar über das Gericht gestreuten Kapern. Ich erkannte allmählich, dass es beim Kochen keine bessere Richtschnur gibt als aufmerksames Kosten, und dass nichts so aufmerksam gekostet werden muss wie das Salz.

Ein Jahr später bekam ich als Jungköchin die Aufgabe, Polenta zu kochen. Ich hatte Polenta nur einmal probiert, bevor ich im Chez Panisse anfing, und war nicht sehr begeistert davon. Vorgekocht und in Plastik eingewickelt wie ein Fertigteig, schmeckte sie nach gar nichts. Aber ich hatte mir geschworen, im Restaurant alles zumindest einmal zu probieren, und als ich meine zweite Polenta kostete, konnte ich kaum glauben, dass etwas so Cremiges, Komplexes denselben Namen trug wie jene Rolle geschmacksfreier Astronautennahrung. Aus einer alten Maissorte hergestellt, schmeckte jeder Bissen der Polenta im Chez Panisse süß und erdig. Ich konnte es kaum abwarten, selbst welche zu kochen.

Sobald der Küchenchef, Cal Peternell, mir die einzelnen Schritte des Polentakochens erklärt hatte, fing ich an. Vor lauter Angst, die Polenta anbrennen zu lassen und damit den ganzen riesigen Topf zu ruinieren – ein Fehler, den ich bei anderen Köchen gesehen hatte –, rührte ich wie wahnsinnig.

Nach anderthalb Stunden gab ich Butter und Parmesan dazu, genau nach Cals Anweisungen. Ich brachte ihm einen Löffel des cremigen Breis zum Probieren. Mit seinen 1,93 Metern ist Cal ein sanfter Riese, mit flachsblondem Haar und knochentrockenem Humor. Ich schaute erwartungsvoll zu ihm auf, mit Respekt und Schrecken in gleichen Anteilen. Mit dem für ihn charakteristischen Pokerface sagte er: »Da fehlt Salz.« Pflichtbewusst kehrte ich an den Topf zurück und streute ein paar Salzkörner ein, mit der Zurückhaltung, mit der ich vielleicht, sagen wir mal, Blattgold einsetzen würde. Ich fand, es schmeckte ziemlich gut, also ging ich mit einem Löffel meiner frisch abgeschmeckten Polenta zu Cal zurück.

Wieder genügte ihm ein Moment, um zu wissen, dass die Würze nicht passte. Aber diesmal – ich vermute, um Zeit und Mühe zu sparen – ging er mit mir zurück zum Topf und gab nicht nur eine, sondern gleich drei riesige Handvoll koscheres Salz hinein.

Die Perfektionistin in mir war entsetzt. Ich hatte mir so sehr gewünscht, bei dieser Polenta alles richtig zu machen! Die Größenordnung, um die ich danebengelegen hatte, war exponentiell. Drei Handvoll!

Cal holte Löffel, und wir probierten zusammen. Eine unbeschreibliche Verwandlung hatte stattgefunden. Irgendwie schmeckte der Mais süßer, die Butter üppiger. Sämtliche Aromen waren ausgeprägter. Ich hätte geschworen, dass Cal den ganzen Topf ruiniert und meine Polenta in einen Salzbrei verwandelt hatte, aber so sehr ich mich auch bemühte: Das Wort salzig passte nicht zu dem, was ich probierte. Alles, was ich wahrnahm, war ein befriedigendes Pling!-Gefühl bei jedem Bissen.

Es war, als hätte mich der Blitz getroffen. Mir war nie vorher der Gedanke gekommen, dass Salz mehr sein könnte als der kleine Bruder des Pfeffers. Aber jetzt, nachdem ich seine Transformationskraft selbst erlebt hatte, wollte ich lernen, wie ich dieses Pling! jedes Mal beim Kochen erzeugen konnte. Ich dachte über all die Gerichte nach, die ich als Kind und Jugendliche geliebt hatte – ganz besonders über die Gurken-Feta-Häppchen am Strand. Da erkannte ich, warum sie so gut geschmeckt hatten: Sie waren richtig gewürzt gewesen, mit Salz.


Salz. Fett. Säure. Hitze

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