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Kapitel 7 | Jonathan | Razzia

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Ich hatte Cloe und Richard in der Pause alles erzählt, was mir passiert war. Sie reagierten mit Verständnis, doch einen Platz zum Schlafen konnte mir keiner von beiden anbieten. Ihre Eltern akzeptierten es nicht, das wusste ich. Aber ich käme schon zurecht. Ich war ja auch die letzten Jahre im Bettlerviertel über die Runden gekommen. Im Magierviertel oder in einem der anderen inneren Viertel würde es sicherlich schwerer für mich werden, ohne Elternteil eine Wohnung zu finden und vor allem bezahlen zu können. Doch als Magier hatte man das ein oder andere As im Ärmel. Nur musste ich mir meines noch suchen.

Was hatte ich für Möglichkeiten? Ich könnte Zauber verkaufen. Ich besaß ein paar Heilzauber, die sich immer teuer verkauften. Aber die hielt ich besser bei mir, man wusste ja nie, was passierte. Oder sollte ich ein oder zwei der Kampfzauber verscherbeln? Bei dem lichtscheuen Gesindel waren diese Zaubersprüche Unmengen wert, trotzdem hatte ich hier Skrupel, eine solche Macht aus der Hand zu geben. Sollte ich vielleicht Dienstleistungen erbringen mit meinen Zaubern? So war ich in der Lage, ihren Einsatz zu überwachen und auch abzulehnen, wenn mir der Zweck nicht zusagte. Oder ich konnte weitermachen wie bisher und mir das, was ich zum Leben brauchte, zusammenstehlen. Das war allerdings in den letzten Tagen sehr gefährlich geworden. Die Wachen waren zu aufmerksam bei ihrer Jagd nach dem Mörder. Aber was blieb mir sonst noch? In der Alchemie war ich kaum gut genug, um auch nur einen Tee zu brauen und es war zusätzlich das Geschäftsfeld der Technomanten. Die ließen sich nicht gerne in ihre Geschäfte pfuschen. Ich hätte die Möglichkeit, eine normale Arbeit zu finden: In den Docks suchte man immer kräftige Hände. Oder vielleicht eine Anstellung bei einem der Händler. Das wäre leichte Tätigkeit, die besser bezahlt wurde, nur gab es hier kaum freie Stellen. Was konnte ich sonst?

Zaubersigillen herstellen, sagte eine leise Stimme in mir. Doch das war verbotenes Wissen. Meine Eltern hatten mir früh beigebracht, diese zaubermächtigen Zeichnungen anzufertigen und mit Magie aufzuladen. Zumindest einfache Zauber konnte ich nachbilden, die mächtigen Zauberkarten stellten das Erbe dar, das sie mir hierlassen hatten. Es waren kaum Karten davon übrig geblieben. Dabei handelte es sich um einen alten, vergessenen Wissensschatz, den ich nicht weitergeben durfte; es sei denn an meine eigenen Kinder.

Also war auch das keine Alternative.

Während ich so in meinen Gedanken die verschiedenen Pläne für meine Zukunft durchging, lauschte ich nur halb dem Unterricht: Zauberpraxis bei Professor Blue. Ich besaß keinerlei Talent für dieses Fach, war doch die einzige Art der Zauberei für mich das Zeichnen der Sigillen. Ich konnte mir in dem Unterrichtsfach aber auch keine schlechten Noten erlauben, wenn ich zu den Prüfungen zugelassen und ein anerkannter Magier werden wollte. So musste ich halt schummeln. Ich zeichnete immer rasch kleine Sigillen auf eine Ecke meines Schreibblocks und versuchte so, den gewünschten Effekten der gestellten Aufgaben nachzubilden.

Es lief im Grunde alles sehr gut. Ich probierte zuerst, die Techniken wie beschrieben nachzuempfinden, und tat so, als würde ich es wahrlich versuchen, auf diese Art zu zaubern. Doch bei mir brachten Handzeichen und Zauberworte nichts. Stattdessen zeichnete ich meine Sigillen und lud sie mit ein wenig Kraft auf. Es stellte eine angenehme Fingerübung dar, schnell kleine Zauberbilder zu zeichnen. So konnte ich etwas mehr Intuition in meine Magie bringen, die sonst aus strikt vorgegebenen Zauberzeichen bestand. Ich hatte Bücher von meinen Eltern gelesen, die von solchen Zeichen berichteten und die Grundkomponenten für die komplexen Zauber darstellten. Doch ich war darüber hinausgewachsen. Ich zeichnete meine Zaubersprüche intuitiv und ohne Vorlagen aus verstaubten Zauberbüchern. Es dauerte immer etwas, bis es mir gelang, neue Sigillen zu perfektionieren. Nur ein fehlerfreies Zusammenspiel der Kraftlinien konnte starke Magie hervorbringen. Und in diesem Unterricht arbeitete ich an den kleinen Elementarzaubern, die ich entwarf. So sah der Professor nur, wie ich langsam aber sicher mit meinen Zaubern besser wurde, und war zufrieden, auch wenn ich eine andere Technik dazu benutzte, als er es wünschte. Doch was er nicht wusste, würde ihn nicht stören. Auf das Resultat kam es an.

Ich widmete mich abermals etwas mehr dem Unterricht, denn allmählich wurden die Zaubersprüche komplexer und ich musste aufpassen, mich nicht erwischen zu lassen, wie ich zeichnete. Selbst Cloe und Richard durften nichts davon erfahren. Ich warf einen Blick durch die Klasse, um zu erkennen, wie weit die anderen waren. Ich wollte ja nicht auffallen und in der Menge bleiben. Da sah ich auch das Mädchen vom Vorabend. Seit dem Sportunterricht nahm ich sie kaum wahr. Sie saß still auf ihrem Platz und starrte zum Fenster hinaus. Sie schien entkräftet zu sein. Professor Blue sagte nichts dazu und ließ sie in Ruhe.

Der Unterricht war fast vorbei, da bemerkte ich, wie Unruhe in sie kam. Ich hatte das Mädchen beobachtet und mittlerweile wirkte sie sehr angespannt und stierte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster. Was mochte sie dort sehen?

Doch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, sah ich es selbst. Die Stadtwache lief im gegenüberliegenden Flügel durch den Kursraum und durchsuchte ihn. Ich wollte mir etwas einfallen lassen, um früher gehen zu können, da ging plötzlich die Tür zu unserer Klasse auf.

Entsetzt bemerkte ich, wie gleich eine Handvoll Wachen bewaffnet in den Kurs kam. Ich blickte zurück und sah, dass das Mädchen von dort verschwunden war. Das Fenster stand offen und ich ahnte, wo sie war. Sie flüchtete schon wieder vor den Stadtwachen, oder irrte ich mich etwa?

Es schrillten laute Pfiffe durch die Luft und die Wachmänner stürmten alle zum Fensterladen, um zu ihren Kameraden zu sehen. Niemand hatte mehr Augen für mich. War sie womöglich die gesuchte Mörderin? Jedenfalls hatte sie es den Wachen mit ihrer offensichtlichen Flucht leicht gemacht, sie hier zu entdecken. Die anderen Schüler wussten nicht genau, was grade eben passiert war und einige stürzten sich in Panik Richtung Ausgang, keiner schien bemerkt zu haben, dass sie auf das Dach geklettert war.

Die Stadtwachen am Fenster bekamen Anweisungen von ihren Kameraden und richteten ihre Aufmerksamkeit nach oben. Man hatte sie von unten gesehen! Ich räumte hastig meine Sigillen beisammen und stopfte sie in meine Jackentaschen. Anschließend stand auch ich auf und mischte mich in die panische Menge der Adepten. Cloe und Richard verschwanden in der Menschenmenge, ohne dass ich zu ihnen kommen konnte.

Ich ließ mich vom Strom aus dem Kurs tragen und sah auf dem Flur, dass zudem Schüler aus den anderen Kursen flüchteten. Und überall befanden sich Wachen, die versuchten, gegen den Menschenstrom zu stemmen und vorwärtszukommen.

Ich hatte in den letzten Jahren jeden Gang der Akademie erkundet und kannte mich innerhalb mindestens so gut aus wie im Bettlerviertel. Ich bewegte mich noch ein paar Meter mit den Massen und arbeitete mich daraufhin in einen leeren Seitengang vor. Von hier aus gab es für mich tausend Wege durch die Schule.

Nur ... was wollte ich? Ich konnte mit Leichtigkeit flüchten, doch wäre es nicht auffällig, wenn später, sobald sich alles beruhigt hatte, ein Schüler fehlte? Wohl kaum. Ich würde mich da sicher rausreden und erzählen können, ich wäre in der Panik einfach abgehauen, um den Rest des Tages den Unterricht zu schwänzen.

Aber etwas ließ mir keine Ruhe. Das Mädchen, das auf das Dach geflüchtet war … Wie war überhaupt ihr Name? Lymle? Ja, das musste sie sein. Was hatte sie zu verbergen, dass sie sich den Wachen so entzog? Sie sah nicht aus wie eine Mörderin. Sie war überaus sportlich, das hatte sie unter Beweis gestellt, doch einen Menschen zu ermorden, das traute ich ihr nicht zu. Sie wirkte irgendwie zu … zart … fast wie eine Blume, die man schützen wollte, damit ihrer Schönheit nichts geschah.

Was hatte ich da bitte für Gedanken? Für einen Moment hatte ich mich davon forttragen lassen und war tiefer in den Flügel gelaufen, ohne auf den Weg zu achten. Warum dominierte sie meine Gefühle so immens? Etwas an ihr war wahrlich besonders. Und so fasste ich einen Entschluss. Ich würde sie retten.

Sie befand sich auf dem Dach und mit ihr bestimmt auch einige Wachen. Mit denen käme ich schon klar. Sie durften uns nur nicht entdecken und ihnen nichts Schlimmes passieren, nicht so wie letzte Nacht. Das würde nur weitere Stadtwachen in die Akademie locken.

Ich schaute aus einem der Flurfenster, um mich zu orientieren. Dort vorne konnte ich die Fenster unserer Klasse sehen, von wo einige Wachen vergeblich versuchten, auf das Dach zu klettern. Anscheinend war es gar nicht so einfach, in einer Rüstung hochzuklettern. Ich grinste ungeniert vor mich hin und suchte einen Weg zu den Dachtüren.

Im Treppenhaus gab es eine kleinere Treppe, die zu den Dachkammern führte. Ich vergewisserte mich, dass mich niemand beobachtete. Die meisten Schüler waren eh aus diesem Teil des Gebäudes geflohen. Nur ein paar Stadtwachen patrouillierten noch über die Flure. Ich wartete einen Moment ab und schwang mich ungesehen die Stufen hinauf. Die Tür an ihrem Ende war verschlossen. Das Schloss war aber alt und die Tür schon morsch, sodass ein kräftiger Tritt dagegen die Tür aus den Angeln fliegen ließ. Ein großer, staubiger Raum empfing mich. Hier oben war alles mit gebrauchten Möbeln und alten Einrichtungen der Klassenräume vollgestopft. Ich hustete kurz den Staub aus meiner Lunge und rannte zwischen gestapelten Tischen und Stühlen hindurch. Ein paar kleine Fenster spendeten Licht. Am Ende des Dachstuhls kam ich zu der gesuchten Tür, die direkt aufs Dach führen sollte. Ich prüfte nicht mehr, ob sie verschlossen war, sondern gab auch ihr einen kräftigen Tritt und riss sie damit aus den Angeln. Ich eilte weiter hinauf, um nach Lymle zu suchen.

Unser Kurs lag genau auf der anderen Seite des Innenhofes, den ich zuerst auf dem Dach umrunden musste. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, wie ein paar Wachen es bereits geschafft hatten, hinaufzuklettern. Diese jedoch schienen ihre Rüstungen abgelegt zu haben, um das Mädchen verfolgen zu können. Jetzt konnten sie sich gegenseitig helfen. Ich musste mich beeilen!

Es dauerte endlose Sekunden, um die gegenüberliegende Seite zu erreichen. Der Sport hatte Kraft gekostet, aber die Muskeln waren noch locker. Bislang bemerkten mich die Stadtwachen nicht, doch nicht mehr lange und ich würde in ihren Sichtbereich geraten. Ich nahm meine Karten in die Hand und ließ meine Finger über ihren Rücken streichen. Ich durfte sie nicht zu auffällig benutzen. Einige Wachen schwärmten schon auf dem Dach aus. Da wusste ich, was ich tun konnte.

Ich zog ein paar Herbeirufungskarten heraus und lenkte meine Kraft direkt in meine Karten.

Nach und nach tauchten Katzen auf der Überdachung auf. Einzelne kamen hinter Türen hervor oder kletterten aus den Regenrinnen, andere krochen zwischen beschädigten Ziegeln aus dem Dachinnern. Ich nahm noch einen kleinen Beeinflussungszauber zur Hilfe und die Katzenmeute stürmte auf die Wachen los. Diese waren so verwundert, dass sie versuchten, zurück in den Kurs zu flüchten und vor den wütenden Krallen in Sicherheit brachten. Es würde sie nicht ewig aufhalten, aber hoffentlich lang genug.

Ich eilte über das Dach und suchte nach Lymle. Zusammengekauert neben einer Tür spürte ich sie schließlich auf. Sie hockte versteckt hinter einem großen Schornstein, der die Tür verbarg und ihr Deckung gab. Ich rannte auf sie zu und sah, wie sie mich nur überrascht ansah. Ich packte sie am Arm und zog sie auf die Beine, doch sie strauchelte so stark, dass ich sie stützen musste.

»Komm mit, ich bring dich hier weg – in Sicherheit«, war das Einzige, was ich zu ihr sagte. Ich nahm sie mit zu der Tür und trat sie ein. Jedoch gingen wir nicht in die Akademie hinein, sondern folgten einem kleinen Weg zum Kopfende des Flügels. Da keine Wache in der Nähe war, zog ich meine Zauberkarten hervor und wählte einen Luftzauber. Mit einem gekonnten Wurf schwebte die Karte zu der freien Wiese unter uns. Ich legte meinen Arm um Lymle und warf uns beide von der Kante in die Tiefe.

Der Zauber fing uns nur knapp einen Meter vor den Boden auf. Kein Schrei war über ihre Lippen gekommen. Seltsam, aber ich wollte mich nicht beklagen.

Der Garten der Akademie war menschenleer, weder Wachen noch Schüler hielten sich hier auf. Ohne lange zu warten, nahm ich sie am Arm und zog sie zu einem kleinen Seitentor, um das Gelände zu verlassen. Die Gassen verdunkelten sich und langsam brach die Nacht herein, während wir vorsichtig durch die Seitengassen von Maalan entschwanden.

Die verbotene Prophezeiung

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