Читать книгу Die verbotene Prophezeiung - Sarah Neumann - Страница 17

Kapitel 14 | Lymle | Die dunkle Nebelwolke

Оглавление

Ich registrierte bereits in der ersten Runde, dass Jonathan nicht so zauberte, wie es uns beigebracht worden war. Und er schien es absichtlich zu verbergen. Ich schaute zwischendurch immer mal durch die Reihen, ob es den anderen und vor allem den Professoren auffiel. Ich wusste nicht, ob er dafür eine Strafe bekommen konnte. Es musste schließlich einen wichtigen Grund geben, wieso er seine Fähigkeit so zu zaubern, versteckte.

Er malte Zeichen. In die Luft. In die Erde. Egal wohin. Er skizzierte. Und danach aktivierte er sie. Jonathan sprach die Worte und machte die Gesten, die sie uns in den Unterrichtsstunden beigebracht hatten. Und doch erkannte ich, dass er nur den Schein wahrte. War es so offensichtlich, dass ich es sah? Oder weil er mir offen davon erzählt hatte? Nicht viel, aber dennoch genug, dass ich es wahrnahm. Dass ich sah, dass er andersartig war. Genau wie ich.

In der zweiten Runde bemerkte ich, dass es langsam eng wurde. Er konnte nicht direkt zaubern wie Reno und das verlängerte seine Wirkungsdauer ungemein. Diese Doppelbelastung hielt er nicht mehr lange durch.

Als das Wassergefängnis ihn umzingelte und er noch knapp seinen Gegenzauber auf Reno schleuderte, wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich durchlief die Reihen, bis ich Professor Blue erreichte, und lenkte seine Aufmerksamkeit von den beiden ab auf mich: »Professor Blue. Ich möchte den nächsten Wettkampf übernehmen.«

»Tut mir leid. Das Los hat entschieden, Lymle«, sagte er und wollte sich wieder dem Kampf widmen. Ich ließ jedoch nicht locker – noch eine Runde bestand Jonathan unter diesen Bedingungen nicht.

»Reno hat aber unsere Zettel vertauscht. Als er sah, dass er eine Niete zog, nahm er einfach meinen – dabei wusste ich nicht einmal, dass ich das Pentagramm bekommen hatte. Das Los hat mich ausgesucht.«

Ich beharrte darauf und auch mein Blick war fordernd genug, dass er verstand, was ich wollte. Er blickte auf das Kampffeld. Es roch nach einer erneuten Pattsituation und beide Kontrahenten würden keiner nächsten Runde standhalten können.

»Also gut«, sagte er. »Du wirst den dritten Kampf bestreiten. Wir brauchen allerdings noch einen Freiwilligen, der gegen dich antritt.«

Ich nickte zufrieden und sah zurück zum Kampfgeschehen. Das Wassergefängnis brach in diesem Moment in sich zusammen, Jonathan fiel auf den Rasen und blieb regungslos liegen. Zeitgleich hörte man auf der anderen Seite einen lauten Knacks wie von einem Bruch. Der Efeu verlor an Stabilität und auch Reno sackte zu Boden.

Die Aufregung war groß, und ehe ich registrierte, dass es ein Patt war und der Trainingskampf somit beendet, schoss mir nur ein unwohles Gefühl durch meinen Körper: Ich musste kämpfen!

Mein Körper war wie ausgepustet. Ich beherrschte keinen einzigen Elementarzauber, der uns gelehrt worden war. Ich hatte geübt, tage- und nächtelang, und trotzdem konnte ich nicht einen Zauber vollbringen. Es schnürte mir die Brust zu und ich rang mit den Tränen, doch jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Ich würde mir schon was einfallen lassen, um mich nicht vor unseren Kursen lächerlich zu machen.

Ich lief zuerst zu Reno herüber, da Jonathan bereits von seinen Freunden umsorgt schien. Die Efeuranke hatte seinen Hals gewürgt und ich versuchte, sie mit bloßen Händen abzubekommen. Es klappte nicht. Sie würgte noch immer an ihm. Professor Blue schob mich zur Seite, um mit einem kleinen Messer die Ranken durchzutrennen. Nach Luft schnappend richtete sich Reno auf und packte mich grob an beiden Armen. Es wirkte beinahe so, als suche er Halt, um nicht in die Ohnmacht zurückzukehren, mit der er rang.

»Dieser …! Ich werde ihn …«, keuchte er wütend und schielte mit zornigem Blick zu Jonathan herüber.

»Du solltest dich ausruhen«, sagte ich ihm. »Den nächsten Wettkampf übernehme ich. Das Los hat sich doch eh für mich entschieden, weißt du noch?«

»Aber du … bist viel zu schwach … zum Kämpfen … deswegen wollte ich ja …«, keuchte er weiter und endete in einem gekrampften Hustenanfall.

»Mach dir keine Sorgen«, meinte ich leise. »Mir fällt sicher was ein.«

Daraufhin erhob ich mich und ging zu Jonathan herüber, der in dem Moment die Augen aufschlug, als ich ankam. Ich machte ein Victory-Zeichen, um ihn zu beruhigen und ihm klar zu machen, dass ich übernahm. Seine Freunde halfen ihm, das Kampffeld zu verlassen. Und als ich alleine dastand und wartete, wer mein Gegner sein würde, begannen meine Knie zu zittern. Wie sollte ich, ohne einen einzigen Elementarzauber beherrschen zu können, ein Magieduell für mich entscheiden?

Es hatte sich schnell ein Freiwilliger gefunden, der es mit einem Mädchen aufnehmen wollte. Es war ein Mitschüler des anderen Kurses, den ich nicht einmal vom Sehen her kannte, geschweige denn seinen Namen. Sein hellbraunes Haar fiel ihm wallend über die Schulter und eine kantige Brille saß auf seiner spitzen Nase. Er grinste mich überlegen an, als wüsste er bereits, dass ich keinerlei Zauber in petto hatte. Kurz darauf krempelte er demonstrativ seine Hemdärmel hoch.

»Schauen wir doch mal, wie Feuer gegen Luftzauber ankommt. Lymle, du übernimmt das Element Luft. Auf in den Kampf«, eröffnete Professor Blue die letzte Runde des Trainingskampfes.

Ich legte meinen Körper etwas zurück, auf einen Feuerangriff wartend. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was für Stärken hatte das Element Luft? Wie konnte ich es einsetzen? Oder vielmehr … wie konnte ich den anderen weismachen, dass ich es einsetzte, obwohl ich es nicht tat?

Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich genau das gegenteilige Problem von Jonathan hatte. Er versuchte, seine Zauberart zu verstecken und spielte eine übliche vor. Ich dagegen musste irgendwas vorspielen, damit sie nicht bemerkten, dass ich in Wirklichkeit keine Elementarzauberei durchführen konnte.

Professor Blue hatte im Unterricht doch eigentlich mitbekommen, dass ich nicht einen der gelehrten Zauber beherrschte. Und trotzdem hatte er mich in die letzte Runde geschickt, wenn auch auf meine Bitte hin – ohne jegliches Nachfragen. Warum?

»Du willst nicht angreifen?«, entgegnete er mit seinem dauerhaften Grinsen und streckte die Hand in meine Richtung aus. Ich ging von einem Feuerball oder Sonstigem aus, was er von seiner Position auf mich losfeuern würde. Doch auch einige Momente später regte sich nichts. Ich sah, wie er sich konzentrierte und ihm bereits vor Anstrengung Schweißperlen die Stirn herunterliefen. Vereinzelnde Haarsträhnen hingen ihm klamm im Gesicht. Was hatte er vor?

Erschrocken bemerkte ich, wie der Boden unter meinen Füßen leicht zu beben begann. Kam das Feuer etwa aus dem Erdreich!?

Im letzten Moment gelang es mir, der heißen Feuersäule auszuweichen. Doch ehe ich zur Ruhe kam und überlegen konnte, bohrte sich bereits die nächste Säule aus dem Untergrund. Ich sprang nach rechts, rollte mich ab und wich der dritten Lavasäule mit einem Hechtsprung nach links aus.

Als ich endlich Zeit fand, mich kurz umzusehen, war ich von acht Flammensäulen umgeben. Das Feuer sprudelte wie Lava empor und verging in der Luft über mir. Doch der Abstand war zu gering, als dass ich zwischen den Feuersäulen hindurch entkommen könnte. Würde er oben das Gitter schließen, hatte ich keine Chance mehr, zu fliehen.

Ich stemmte die Hände auf den Boden. Es musste aussehen wie ein Luftzauber, mit dem ich mich in die Höhe katapultierte. Im Sportunterricht hatte ich nicht gezeigt, wie hoch ich selbstständig ohne einen Zauber sprang – meinte ich mich zumindest zu erinnern. Ich war mir nicht sicher, aber eine andere Variante blieb mir nicht. Ich formte auf meinen Lippen einen Spruch, in der Hoffnung, dass es der Richtige sei, und drückte mich mit meinen Händen unerkennbar schnell in die Höhe. Ein unbekannter Auftrieb half mir hinauf.

Als ich mich knapp einen Meter über den Feuersäulen befand und diese das Gitter unter mir vollständig schlossen, wirbelte ich mit meinen Armen so heftig, dass mich der aufkommende Wind nach rechts schubste. Ich kam neben dem Flammengitter auf. Mich vom Boden erhebend sah ich meinen Gegner mit einem so ernsten Blick an, dass er einige Schritte zurückwich. Das Feuergitter brach in sich zusammen und mit einem Schritt auf ihn zu, wich er noch weiter zurück. Was war es, das ihn so in Angst versetzte – von einem Augenblick auf den anderen?

»Lymle!«, rief auf einmal Professor Blue und kam aufs Kampffeld gerannt. Ich wusste nicht, was geschah, wieso der Kampf unterbrochen wurde, wo ich mir doch gerade einfallen lassen wollte, wie ich ihn auch ohne das Einsetzen eines Elementes bezwingen konnte.

Er riss mich schützend hinter sich und erst jetzt erkannte ich die riesige, dunkle Nebelwolke, die neben mir aufgetaucht war. Sie barg eine Finsternis in sich, die ich schlichtweg spürte. Mein Körper fühlte sich mit einem Mal so leer an und meine Beine schlackerten.

Lym! Die Stimme fuhr mir in den Kopf und mein Blick wurde augenblicklich schwarz. Ich griff nach dem Mantel von Professor Blue, um mich zu halten, aber nicht einmal das schaffte ich. Lym! Ich warte auf dich. Hol mich hier raus!

Das Rauschen befiel meinen Geist und ich sah verschwommen, wie er nach meinem Handgelenk fasste, damit ich nicht fiel, doch ich schlug sie nur beiseite. Ich stand auf, sah durch die Runde, sah auf die Nebelwolke und näherte mich ihr. Sie war da – dort drin. Wenn ich der Wolke folgen könnte, würde ich sie finden, oder etwa nicht?

Eine Hand formte sich aus dem dunklen Nebel in meine Richtung und griff nach meinem Körper. Ich hörte die Schüler schreien und Professor Blue versuchte, einen Zauber zu wirken, den ich noch nicht kannte. Doch die einzige Stimme, die zu mir durchdrang, war seine: »Lymle! Pass auf!«

Schlagartig sah ich klar und wich im letzten Moment der gewaltigen Nebelhand aus. Mit einem Rückwärtssalto landete ich neben Professor Blue, nickte ihm einmal zu und wandte mich gemeinsam mit ihm und Jonathan, der plötzlich auf dem Kampffeld stand, der dunklen Wolke zu. Auch seine beiden Freunde waren mit ihm gekommen und alle wirkten Elementarzauber, die auf die Nebelwolke schmetterten.

Doch ich bemerkte recht schnell, dass sie die Zauber nur verschluckte. Sie zeigten keinerlei Wirkung, und als ich erneut dieses Rauschen in meinen Ohren hörte, verschwamm meine Sicht. Die Mädchenstimme drang noch nicht gänzlich zu mir vor und trotzdem spürte ich, dass sie nach mir verlangte.

Mein Körper wollte wie von selbst die Nebelwolke ansteuern, als er mich am Arm packte und festhielt. Es war wie eine Barrikade. Kaum berührte er mich, war mein Kopf sofort klar. Die Stimme forderte nicht länger; das Gefühl, dass mich jemand rief, stoppte nicht.

»I-Ich werde gerufen«, sagte ich so leise, dass nur Jonathan es hören konnte. Er sah mich an und verstand nicht. Und doch war er es, der mich zurückhielt, der spürte, dass ich hier bleiben und nicht gehen durfte. Wieso er?

Mit einem Mal löste sich die Wolke im Nichts auf. Niemand wusste, woher sie gekommen oder gegangen war und warum. Es war ein Schrecken für die Adepten, ebenso für die Professoren. Sie hatten scheinbar mächtige Zauber angewandt, bemerkten aber selbst, dass sie nicht für das Vertreiben der Nebelwolke verantwortlich waren. Etwas Bedrohliches lag in der Luft. Sie knisterte.

»Danke«, flüsterte ich ihm zu und sah auf meine Armreifen, die ein sehr starkes Licht ausstrahlten. Ich legte meine Hand darüber, damit niemand es sah. Jonathan durfte es sehen. Miss Scarlett hatte nichts dagegen.

Das gespeicherte Sonnenlicht durchströmte meinen Körper und füllte meine Kraftreserven auf. Es fühlte sich fast so an, als zehrte er nach all dem Licht aus den Armreifen. Wieso hatte ich so viel Kraft verbraucht? Hatte es etwas mit dem Auftauchen dieser dunklen Nebelwolke zu tun?

Die verbotene Prophezeiung

Подняться наверх