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Kapitel 15 | Jonathan | Die Wartezeit

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Der Nebel war genau hinter Lymle aufgetaucht. Erst bemerkte ihn niemand, doch schnell kreischten vereinzelte Mädchen. Die Nebelwolke wurde dunkler und nahm an Volumen zu, während die Adepten zurückwichen. Einer stürzte, weitere stolperten und aus dem Kreischen wurden Schreie. Es brach eine Panik unter den Adepten aus, sie rannten wild durcheinander, einige flohen. Lymle wurde von Professor Blue beschützt. Der Nebel war auf geradem Wege in ihre Richtung. Die ersten Professoren warfen ihre Zauber gegen die Nebelwolke, doch sie verschwanden in den schwarzen Schwaden, ohne dass man einen Effekt sehen konnte.

Ich rannte an Lymles Seite und hielt sie fest, als sie drohte, hineinzulaufen. Ihre Augen wirkten sonderbar abwesend, als wäre sie nicht sie selbst.

Die Nebelschwade bildete eine wabernde Hand und schien in ihre Richtung zu greifen. Was war hier nur los? Was war dieser Nebel?

»I-Ich werde gerufen«, sagte sie leise. Ich nahm ihre Worte kaum wahr, es war mehr eine Ahnung, dass sie etwas gesagt haben könnte. Und plötzlich war der Spuk mit einem Mal vorbei. Die Nebelwolke zog sich in sich selbst zusammen und verschwand immer weiter. Erst jetzt sah man, wie viel Platz der Nebel eingenommen hatte. Ein Großteil des Akademieparks schien von ihm freigeräumt worden zu sein.

Es wirkte, als wüssten nicht einmal die Professoren, was hier geschehen war. Aus allen Ecken wurden Stimmen laut. Es gab keine panischen Schreie mehr, aber noch immer lag etwas in der Luft, das Angst verbreitete.

Die Professoren brachten sämtliche Adepten in die Unterrichtsräume zurück. Lymle flüsterte mir ein Danke zu; diesmal hörte ich es deutlich. Ich sagte nichts darauf, sondern behielt sie nur am Arm bei mir und schleuste sie durch die Adepten von den Professoren weg.

Was hatte das alles zu bedeuten? Ich erkannte an Lymles fragendem Blick, dass sie mir auch nicht helfen konnte und genauso ahnungslos war. Oder wussten die Professoren über den Nebel Bescheid? Sie hatten sofort mit Angriffszaubern darauf eingeschlagen. War das ein Hinweis, dass der Nebel offensichtlich Gefahr bedeutete? Oder war es eine normale Abwehrreaktion gegen etwas scheinbar Böses, etwas Unbekanntes? Ich verstand es nicht, aber ich würde es noch herausfinden.

Ich hatte gesehen, wie die Nebelhand gezielt in Lymles Richtung gegriffen hatte. War das auch den anderen aufgefallen? Ich hoffte, dass sie es in ihrer Panik und dem konzentrierten Zaubern nicht bemerkt hatten. Eine Auffälligkeit führte unweigerlich zur nächsten und eventuell könnten die Professoren bemerken, wie ich zauberte.

Es war mehr als nur eine Ahnung. Ich war vollkommen sicher: Der Nebel war wegen ihr hier gewesen. Und bestimmt war er es auch nicht das letzte Mal, schließlich hatte er sie nicht erreicht. Ich durfte sie nicht alleine lassen, denn der Schwarznebel bedeutete gewiss nichts Gutes für sie.

Wir wurden in unsere eigentlichen Klassen aufgeteilt, nicht in Unterrichtskurse. So war es kein Problem, Lymle an meiner Seite zu halten. Auch Professor Blue hatte zu uns gefunden und dirigierte uns auf unsere Sitzplätze. Es dauerte noch eine Weile, bis er die lautstark redenden Adepten unter Kontrolle brachte.

»Bitte beruhigt euch! Wir wollen doch eine Panik vermeiden. Bleibt erst einmal still auf euren Plätzen sitzen«, sprach er laut.

Eine Adeptin unterbrach ihn ungefragt: »Was war das, Professor? Etwa schwarze Magie?«

Erneut brachen sie in lärmendes Gerede aus und Professor Blue hatte Mühe, wieder Ruhe rein zu bekommen.

»Wir wissen es nicht. Aber ich weiß, dass niemand verletzt wurde. Sicher war es nur ein böser Streich, den uns jemand gespielt hat. Wir finden noch heraus, wer dafür verantwortlich ist«, sagte er, doch seine Stimme verriet, dass er selbst nicht daran glaubte. »Wir veranlassen, dass ihr von euren Eltern hier an der Akademie abgeholt werdet. Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Damit beenden wir den Unterricht für heute. Ich hoffe, ihr konntet trotzdem eine Menge lernen. Morgen werde ich euch nämlich in einer schriftlichen Aufgabe abfragen, was ihr zu den Elementen beobachtet habt.«

Mit einem Mal breitete sich eine lustlose Stimmung in dem Kurs aus. Ein Test? Das war doch nur ein Vorwand, um uns von dem Nebel abzulenken. Aber es wirkte. Stöhnen wurde laut und Hefte aufgeschlagen, um sich schnell noch ein paar Notizen zu machen. Ich hörte Fragen über die angewandten Zauber. Einige wussten nicht, was genau sie eigentlich gesehen hatten; zumal den dritten Kampf kaum einer richtig beobachten konnte. Rückfragen wurden durch den Kursraum gegeben und jeder wollte von jedem wissen, was alles erklärt wurde. Professor Blue nahm es gelassen hin. Er setzte sich auf das Pult und beobachtete den Kurs eine Weile.

Schließlich erhob er sich.

»Ich werde euch für ein paar Minuten alleine lassen müssen, um eure Eltern zu benachrichtigen. Bitte stellt hier nichts auf den Kopf. Lernt lieber für morgen.« Mit diesen Worten verließ er das Klassenzimmer.

»Mann Jonathan! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll … War das ein Tag! Weißt du, was das für ein Nebel war?« Richards Stimme wurde leiser und bekam einen verschwörerischen Unterton: »Eine Idee, wer sie heraufbeschworen haben könnte?«

»Du hast sie doch nicht mehr alle … Woher sollte ich denn bitte wissen, wer so eine unheimliche Nebelwolke beschwören kann?«

»Tut mir leid, ich bin nur so aufgeregt«, unterbrach er mich.

»Ich habe nichts damit zu tun. Ich denke aber nicht, dass es ein Streich von einem Adepten war. Der Nebel hatte etwas … in sich … er war nicht nur Nebel … das konnte ich deutlich spüren. Und ich glaube außerdem zu wissen, warum er hier war, beziehungsweise wegen wem. Das kann ich euch allerdings noch nicht erzählen«, erklärte ich.

»Mal was anderes: Habt ihr schon von dem Gerede gehört? Alle sprechen von einer Prophezeiung. Auch ein seltsamer Nebel soll darin erwähnt worden sein. Niemand weiß, wie genau die Worte lauten, aber sie fürchten, dass es diese Nebelwolke gewesen ist. Unheimlich, nicht wahr?«, warf Cloe interessiert ein.

»Ich habe ein-, zweimal in der Stadt etwas über diese Weissagung gehört, doch ich dachte, das sei nur Geschwätz, um sich wichtig zu machen. Glaubt ihr echt, dass da was dran ist?«, fragte ich nach.

Richard sah ebenfalls erwartungsvoll zu Cloe. Sie antwortete: »Ich denke ja. Es gab schon viele Prophezeiungen im Laufe der Geschichte. Diese ist anscheinend die für unsere Zeit.«

Sie wollte grad weiter ausholen, da kam Professor Blue zurück.

»So. Eure Eltern sind benachrichtigt. Ich werde euch nach und nach aus dem Kurs herausrufen, wenn sie da sind. Bitte habt so lange noch Geduld.« Daraufhin setzte er sich mit einem Stuhl an die offene Tür und starrte auf den Gang.

Nach und nach kamen immer mehr Elternteile ihre Kinder abholen, doch Miss Scarlett ließ auf sich warten. Wurde sie überhaupt informiert? Immerhin schien sie nicht Lymles leibliche Mutter zu sein … Und wer kam für mich? Meine Eltern waren tot. Ich hatte damals angegeben, bei meinen Großeltern zu leben, aber die starben vorletztes Jahr unerwartet. Das durfte die Schule nicht erfahren. Was würden sie machen, wenn für mich niemand kam?

Jetzt schienen Richard und Cloe an der Reihe. Ihre Väter kamen fast gleichzeitig, was an der direkten Nachbarschaft lag. Sie begrüßten sich und schauten synchron zu ihren Kindern herüber, was so viel bedeutete, dass sie schnellstmöglich nach Hause gehen wollten.

»Pass auf dich auf, Jonathan. Und wirf ein Auge auf Lymle. Irgendwas ist mit ihr … Ich kann nicht sagen was, aber ich spüre es«, warnte Cloe mich zum Abschied.

Bis auf drei andere Adepten waren Lymle und ich mit die Letzten, die noch warteten. Was mochte Miss Scarlett aufhalten? Ich musste mir was einfallen lassen, um ohne Eltern nach Hause zu kommen. Konnte ich einfach auf die Toilette gehen und abhauen? Das fiel mit Sicherheit auf.

Weitere Elternpaare kamen die Tür herein und wir waren mit einem Schlag allein. Professor Blue warf Lymle und mir nur einen kurzen Blick zu und verschwand auf dem Flur. Ich sah zu ihr herüber. Sie schien in Gedanken versunken zu sein. Leise stand ich von meinem Platz auf und lief zu ihr. Sie blickte verträumt an die Tafel und bemerkte nicht, wie ich mich neben sie setzte.

»Wo bleibt denn Miss Scarlett? Braucht sie immer solange?«, fragte ich sie.

Lymle schaute mich langsam an. Ihr Blick ging an mir vorbei, fast so, als wäre sie woanders. »Miss Scarlett?« Mehr sagte sie nicht, sondern erhob sich und schlich ans Fenster. Sie blickte hinab, eine ganze Weile, dann öffnete sie es.

»Lymle? Geht es dir gut? Hey, was hast du vor?« Ich stellte mich vor sie an den Fensterrahmen, sodass sie nicht springen konnte. Anschließend nahm ich ihre Hände und hielt sie fest. »Lymle? Ich denke, wir sollten auf unseren Plätzen auf Miss Scarlett warten. Bitte setz dich.«

»Nein«, sagte sie mit leiser Stimme und wich einen Schritt beiseite. »Miss Scarlett wird nicht kommen. Ich kann nicht wieder zu ihr zurück.«

Ihre Armreifen begannen zu leuchten. In einem warnenden Rhythmus blinkten sie an ihrem Handgelenk auf.

»Lymle!« Ich hielt ihre Hände fester, dass sie mir nicht entwischen konnten. »Was ist los mit dir?«

Ich fing an, sie vom Fenster wegzuschieben; es war eine unheimliche Situation. Ich wollte einfach kein Risiko mit ihr eingehen.

»Sprich mit mir. Was meinst du damit, dass du nicht zurück kannst?«, fragte ich beinahe verzweifelt.

»Ich muss ... sie finden«, murmelte sie fast unverständlich und ihre Augen fingen leicht an, rot zu flackern. »Miss Scarlett wünscht nicht, dass ich nach ihr suche. Sie will mich aufhalten.«

Das Blinken der Armreifen wurde energischer.

»Schau mich an, Lymle! Mach keinen Unsinn! Es ist nicht sicher für dich da draußen. Der Nebel wollte zu dir! Er wollte dich! Das darf ich nicht zulassen!« Ich zog sie dichter an mich heran, versuchte ihren Blick einzufangen. »Bitte bleib bei mir. Ich möchte nicht, dass dir was passiert … Ich kenn dich zwar erst seit ein paar Tagen, aber du bist mir wichtig, irgendetwas an dir … ich kann es nicht beschreiben. Bleib hier … bei mir.«

Mit den letzten Worten umarmte ich Lymle. Ich wollte nicht, dass ihr etwas zustieß. Ich spürte unsere Verbundenheit. Etwas, das mir zeigte, dass ich nicht länger alleine war.

»Du willst mich ... auch aufhalten«, hörte ich sie zornig werden. Sie stieß sich aus meinen Armen und wies mit dem ausgestreckten Arm auf mich: »Komm mir nicht in die Quere!«

Plötzlich rannte sie beinahe Professor Blue über den Haufen, der zeitgleich den Kursraum betrat, um nach der Unruhe zu schauen, und weg war sie.

Die verbotene Prophezeiung

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