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Kapitel 8 | Lymle | Magier und Technomanten

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Ich sank erschöpft an einer Häuserwand zu Boden, als der Junge endlich anhielt und meinen Arm losließ. Wir waren unheimlich weit von der Akademie entfernt. Ich glaubte sogar, dass wir nicht in Richtung Magierviertel, sondern zum Tempelviertel geflohen waren. Der absolut falsche Weg – er hatte mich weiter von Zuhause weggeführt und der Gedanke daran schien mir noch mehr Kraft zu rauben.

Es war bereits dunkel geworden und ich spürte, wie die Angst vor der Finsternis in mir überhand gewann und meine Beine zu zittern begannen. Er beugte sich zu mir hinab und fragte mich etwas. Doch das Rauschen in meinen Ohren verhinderte, dass ich ihn richtig verstand. Schließlich übermannte ein Schmerz meinen Körper, der direkt von meinem Herzen ausging, und ich sank noch mehr in mich zusammen.

Verschwommen sah ich, wie er sich über mich beugte. Einen Moment später machte er wem Platz und lange Haare fielen in mein Gesicht. Eine Frau neigte sich zu mir herunter. Als ich ihre Hände spürte und die warme Kraft, die durch sie in meinen Körper zurückfloss, wusste ich, dass Miss Scarlett gekommen war, um mich abzuholen.

Jetzt vernahm ich auch das blecherne Geräusch der Spinnenmarionetten. Drei Stück hatten sie begleitet und liefen mit ihren vielen Beinchen quer über meinen Bauch, um ebenfalls einen Blick auf mich zu werfen. Ihre Puppengesichter sahen jedoch immer gleich aus.

»Trag sie bitte für mich, Jonathan«, hörte ich Miss Scarlett an den Jungen gewandt sagen. Er nickte nur und hob mich auf seine Arme. Ich wollte ihr widersprechen, doch ihre Augen hielten mich davon ab.

Zuhause angekommen empfingen uns die restlichen Spinnenmarionetten, die aufgeregt von rechts nach links liefen, als wir den Flur in Miss Scarletts Lieblingszimmer wählten. Jonathan – jetzt kannte ich auch endlich seinen Namen – setzte mich auf Miss Scarletts Bitte auf dem Flügelhocker ab. Alice nahm ich mir auf den Schoß. Ich wusste nicht genau, wieso, aber ich fühlte mich mit ihr sicherer.

Ich spürte die Wärme der angezündeten Lampen und mein Gemütszustand besserte sich zusehends. Ich bemerkte ein ungewöhnliches Leuchten, das von der Pflanze hinter dem kaputten Plattenspieler ausging. Als ich jedoch ansetzte, sie darauf anzusprechen, versagte meine Stimme und wenige Sekunden später wusste ich nicht einmal mehr, was ich genau fragen wollte.

Ich hörte, wie Miss Scarlett Jonathan ein Gästezimmer im Erdgeschoss anbot. Ich hatte mich von etwas ablenken lassen, dass ich nicht mitbekam, wieso er hier übernachten sollte. Miss Scarlett mochte an sich keine Gäste in ihrem Haus. Mich hatte sie jedoch aufgenommen. War er der Nächste?

Miss Scarlett kam ohne ihn zurück. Jonathan schien in seinem Zimmer zu sein, ich hörte ein Türschließen. Danach war es still.

Ich sah Miss Scarlett aufmerksam an. Würde sie erneut mit mir schimpfen?

Sie legte ihre Hände auf mein Gesicht und ich schloss langsam meine Augen. Ich wusste, sie würde mir niemals wehtun. Ich vertraute ihr, mehr als einem anderen Menschen auf dieser Welt.

Sie sagte etwas zu mir. Ich verstand es nicht hundertprozentig, doch mein Körper bewegte sich von ganz allein. Ich lief die Treppen hinauf in mein Zimmer. Als ich die Türe öffnete, leuchteten bereits alle Öllampen. Es war warm und angenehm. Ich ging direkt zu meinem Bett und legte mich nieder.

Am nächsten Morgen hörte ich die Haustüre zuschlagen. Miss Scarlett verließ das Haus erst zur Mittagszeit. Ich schaute neugierig aus meinem Fenster und sah Jonathan um die Ecke unseres Ladens in Richtung Akademie biegen. Wieso stand er dermaßen früh auf?

»Lym.« Miss Scarlett befand sich plötzlich in der Tür und ich wandte mich vom Fensterladen ab. »Du bleibst heute Zuhause. Jonathan wird dich entschuldigen.«

»Aber …«

»Du wirst dich ausruhen und deine Kräfte sammeln. So etwas wie gestern darf nicht erneut passieren!«

»Aber …«

»Lym!«, ermahnte sie mich ein letztes Mal, und als ich direkt in ihre grünen Augen sah, die merkwürdig zu funkeln begannen, fühlte ich ein taubes Gefühl in meinem Kopf. Ich nickte und legte mich aufs Bett. Miss Scarlett schloss die Tür hinter sich und ich war wieder allein.

Wieso schirmte sie mich ab? Ich wusste selbst, dass mein Körper im Moment nicht besonders belastbar war. Diese Krankheit war einfach zu lästig. Aber ich wollte mich nicht davon abhalten lassen, weiter meinem Training nachzugehen. Es war wie ein Ruf. Ich musste ihm folgen. Tanzen, mich drehen und wenden. Rennen, dem Wind entfliehen, schneller sein als er, als jeder andere, selbst als ein Junge. Ich wünschte, ich könnte fliegen, weit hinauf in den Himmel. Starke Flügel trügen sicher einen schwachen Körper in das Himmelszelt, nicht wahr?

Plötzlich vernahm ich ein rumpelndes Geräusch unterhalb meiner Fensterbank. Wenige Augenblicke später erschien ein Blondschopf an meinem Fenster und grinste mich an: »Hi Lymle! Magst du nicht viel lieber mit in meine Werkstatt kommen und mir unter die Arme greifen, als dem Hausarrest nachzugehen?«

Ich wollte nicken, brachte aber nur ein Kopfschütteln hervor. Was sollte das?

»Ah! Ich weiß schon!«, lachte der junge Mann und schnappte die Fensterläden zu beiden Seiten auf. Er griff nach meiner Hand und zog mich auf eine Leiter, die aus einem viereckigen, mit Rädern besetzten Etwas kam. Er kurbelte an einem Rad und die Sprossenstiege zog sich nach unten zusammen. Danach wies er mir einen Platz zu und schob sein Höllengefährt einen Moment lang an, bis ein Gefälle in der Straße kam, und sprang auf. Mit einem weiteren Rad schien er die Richtung seiner verbesserten Erfindung zu steuern.

»Du musst zugeben, dass Elizabeth II. immer besser wird«, sagte er stolz. So nannte er diese Höllenmaschine. Jedes Mal, wenn er mich abholte und ich einen Tag bei ihm in der Werkstatt verbrachte, die für mich eher nach einem alten Schuppen aussah, hatte sie sich um einiges verändert. Dieses Mal hatte er mir aus einem klassischen Ledersattel einen Sessel gebaut, auf den ich mich setzen konnte. Das letzte Mal war es ein Hocker gewesen, doch ohne Lehne verlor man bei einer gewissen Geschwindigkeit oder raschen Lenkung schnell das Gleichgewicht.

Seine Werkstatt befand sich in der Nähe der Gildenhalle der Technomanten im Handwerkerviertel. Er war angehender Lehrling in dieser Gilde und erzählte immer interessante Geschichten, was für Höllenmaschinen andere bereits erfunden hätten und dass er sie alle übertreffen wolle. Ich hörte ihm gerne zu. Es war eine gewisse Abwechslung, nicht nur Dinge über die Magie zu erfahren, sondern auch Geschehnisse der Technomanten.

»Da wären wir!«, sagte er und half mir von der Elizabeth II. Er öffnete das Tor nach oben und schob sie hinein. Ich folgte ihm leise. Andere Technomanten befürworteten den Kontakt zwischen Magiern und Technomanten nicht. Solche gab es gleichermaßen unter den Magiern.

»Setz dich mal dahin!«, rief er aus einer Ecke der Werkstatt. »Ich muss dir was zeigen!«

Er holte extrem große Papierrollen zum Vorschein und breitete sie vor mir auf dem Boden aus. Ich konnte in dünnen Linien gezeichnet eine Maschine erkennen, die aussah wie ein Mensch. Sie hatte Hände und Füße, einen Kopf und schien darüber hinaus Gelenke zum Drehen der mechanischen Körperteile zu besitzen.

»Das wird Gilbert I.«, sagte er inspiriert und wies auf ein paar besondere Merkmale. Er hatte offenbar eine Möglichkeit gefunden, dass seine Maschine Magie einsetzen konnte. Er wollte eine Art Blitzgeneratormaschine bauen, so verstand ich seine seltsam technisch ausgedrückte Erklärung zumindest.

Danach fing er wuselig an, in der Gegend herumzurennen und ich ließ mich einfach auf einen Sack Sägespäne nieder, um ihm dabei zuzusehen. Wenig später wurde ich sehr, sehr müde.

Lym! Ich schreckte hoch und sah Chris vor mir. Er grinste mich an und schob die Öllampe noch etwas näher an mich heran. Ihr Schein spiegelte mich in seinen grünen Augen wider.

»Ich habe versucht, dich zu wecken. Du hast wirklich einen tiefen Schlaf«, sagte er. Ich sah nur die Lampe an. Wieso stand sie neben mir? Hatte er sie dort hingestellt? Als er meinen Blick bemerkte, lächelte er sanft: »Na ja, ich musste öfter feststellen, dass du in meiner Werkstatt frierst. Deswegen die Öllampe. Ich weiß, sie wärmt nicht viel, aber trotzdem hörst du meist auf, zu zittern.« Ich sah ihn erschrocken an. Ahnte er etwa von meiner Krankheit? »Na ja«, ergänzte er. »Vielleicht liegt es auch an der Dunkelheit hier.« Mir blieb der Atem stocken. Er … wusste es. Miss Scarlett würde mit mir schimpfen, wenn sie davon erfuhr. »Ich habe ja schon von Menschen gehört, die Licht nicht vertragen. Obwohl du eher jemand zu sein scheinst, der die Finsternis nicht ertragen kann, was? Stehen deshalb so viele Öllampen in deinem Zimmer? Sie brennen selbst bei Tag. Das hat mich immer gewundert.«

Ich fuhr sofort hoch. Er wirkte äußerst verwundert, aber ich musste hier raus. Er durfte nicht noch mehr erfahren, sonst würde er nur in Schwierigkeiten geraten.

Lym! Die Stimme rauschte in meinen Gedanken und umfing mich. Hilf mir, Lym!

Augenblicklich stürmte ich aus der Werkstatt. Mein Körper reagierte wie von selbst. Er rannte dem Ruf entgegen, ohne dass ich genau wusste, wohin er mich führte. Weit kam ich allerdings nicht. Ich stieß mit gesenktem Blick gegen etwas und fiel rücklings auf das Pflaster. Das Rauschen in meinem Kopf hatte abrupt aufgehört. Als ich aufsah, Chris rausgerannt kam und jemanden anraunte, erkannte ich Jonathan. Er stand in seinen braunfarbenen Hosen da und blickte mich an.

»Waah! Tschuldigung … Was? Ach, du bist es. Tut mir leid, Lymle«, sagte er nur.

Chris stand die Wut noch ins Gesicht geschrieben. »Du …«, knurrte er. Ich erhob mich sofort und legte ihm beruhigend die Handfläche an die Brust.

»Lass nur«, meinte ich und wandte mich danach an Jonathan: »Miss Scarlett will, dass ich heimkomme, nicht wahr?«

»Ja. Ich soll dich abholen«, sagte er mir und streckte Chris mit einem »Hi, ich bin Jonathan« seine Hand entgegen. Chris musterte ihn. Er schien ihm nicht zu gefallen. Angewidert blickte er auf Jonathans nackten Oberkörper, der nur teils von einer fransigen Weste bedeckt wurde. Ein wildes Tattoo zierte eine Bauchseite.

»Schon in Ordnung. Er wohnt jetzt auch bei Miss Scarlett«, erklärte ich. Chris wich alle Farbe aus dem Gesicht. »Ich erkläre es dir das nächste Mal, okay?« Daraufhin wandte ich mich im Flüsterton an Jonathan: »Lass uns schnell gehen, ja?«

»Ist gut«, grinste er schelmisch zu Chris herüber und nahm mich bei der Hand. »Ich kenne eine Abkürzung. Folge mir.«

Die verbotene Prophezeiung

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