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Kapitel 16 | Lymle | Das Laboratorium

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Es war alles so verschwommen in meinem Kopf. Ich verstand nicht, was geschah. Ich wusste nur, dass ich rannte. War ich auf der Flucht oder auf der Suche? Es fühlte sich nach beidem an und ich fragte mich, woran das lag.

Ich hörte Schritte, die mich in den Fluren verfolgten. Meine Beine beschleunigten und sie entfernten sich. Mein Blick war wie verwischt, ich konnte keine klaren Konturen erkennen und trotzdem glaubte ich, gerade die Akademie durch das große Tor verlassen zu haben. Nebel umfing mich, aber ich lief einfach weiter. Ich bekam noch ein schwaches Rufen meines Namens mit, ehe mich die Nebelwolke ganz verschluckte.

Ich rannte und rannte und wusste nicht wohin. Es war dunkel. Ich konnte nichts klar erkennen und doch sprintete ich vorwärts. Ich musste sie finden. Das war der einzige Gedanke, der existierte. Ich kannte keine Angst, wenn sie rief.

Plötzlich war der Nebel verschwunden und ich stoppte. Mein Kopf schien kristallklar, die Stimme und das Rauschen waren weg und ich befand mich in einem dunklen Gang. Weder vor noch zurück sah man ein Licht. Ich wusste nicht, woher ich gekommen war und wohin ich gehen wollte. Wie lange war ich gerannt? War es Tag oder bereits Nacht? Ich konnte mich nicht erinnern. Wo war ich hier und wieso war ich auf einmal allein?

Oberhalb nahm ich eine tiefe Zimmerdecke wahr, fühlte beide Wände direkt neben mir. Der Durchgang war ziemlich eng und erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf allen Vieren lief. Ich berührte die Decke über mir. Sie war sehr kalt, genauso wie die Mauer und der Boden. Ich war in einem Schacht!?

Ein Heulen kam plötzlich auf und ich spürte den Sog vom Wind, der durch den Hohlraum gedrückt wurde. Ich stemmte mich dem entgegen, um nicht mitgerissen zu werden und versuchte, mich in der Dunkelheit zu orientieren. Doch viel mehr Hinweise, wo ich war, gab es hier nicht. Ich musste weiter, um es herauszufinden.

Ich krabbelte leise den Schacht entlang, geradewegs dem Wind folgend. Vielleicht lag in dieser Richtung ja der Ausgang und ich konnte zurück zu Miss Scarlett.

Das Rauschen in meinem Kopf benebelte den Gedanken und ließ mich vergessen. Die Stimme setzte ein und mein Körper bewegte sich wie von selbst. Wo wollte er hin?

Ich bemerkte ein Gitter unter mir, als ich den Schacht weiter durchforschte, und schaute interessiert hinunter. Es war nur ein Lichtschein, der den Raum unterhalb erhellte. Ich erkannte reinweiße Arbeitsflächen, die mit vielen Gefäßen mit dunkelfarbigen Flüssigkeiten gefüllt zugestellt waren. Ein paar Papiere mit Aufzeichnungen lagen herum. Von hier oben konnte ich allerdings nicht erkennen, um was für welche es sich handelte.

Für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, hinunterzusteigen und mir diese Ausarbeitungen anzusehen. Daraufhin stieg mir ein Geruch in die Nase. Ich sah nach links, ins tiefe Dunkel, dahin, wo der Schacht weiterführte. Etwas war dort, was in mir ein Gefühl von Erinnerung wachrief. Wie von selbst bewegte ich mich in diese Richtung. Ich spürte zwar den Ruf, doch diese Empfindung übermannte mich mehr.

Als ich schließlich an eine T-Kreuzung kam und rechts der Schacht ausschließlich aus Gittern am Boden bestand, wandte ich mich dem Geruch folgend dorthin. Ich konnte durch die Gitterstäbe in einigen Metern Tiefe ein riesiges Laboratorium sehen. Wuchtige Gefäße mit klarer Flüssigkeit gefüllt standen dort und Tafeln mit seltsamen Symbolen und anderen Zeichnungen waren neben ihnen platziert.

Die Neugier brachte mich dazu, einen weiteren Schritt auf das Gitter zu tun, doch das war wohl einer zu viel. Es gab lautstark nach und ich fiel in die Tiefe.

Ich rollte mich ab, um die Verletzungen zu minimieren und versteckte mich schleunigst hinter einem der Wassergefäße, die um einiges größer waren als ich selbst. Ich lugte durch das Laboratorium, ob jemand hier war und mich gesehen haben könnte. Aber es schien vollkommen leer. Niemand war außer mir anwesend.

Erleichtert kam ich aus meiner Deckung hervor und sah mich um. Alle fünf Meter schoss eine dieser Wassersäulen aus dem Boden. Ein Gefäß, mit Wasseransammlungen gefüllt. Manchmal war es farbig, ein anderes Mal einfach nur Wasser. Ich fragte mich, was hier gemacht wurde.

Erneut stieg mir der Geruch in die Nase und ich folgte ihm zu einem Behältnis mit dunkelroter, dicklicher Flüssigkeit. Es war nicht durchsichtig, eher spiegelte es mich selbst. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, dass es das Glas war, das mein Erscheinungsbild wiedergab, und nicht das Rotwasser. Ich wandte mich von dem Gefäß ab und einer Tafel zu. Sie bildete ein Männchen zwischen mir unbekannten Symbolen ab, daneben magische Elemente wie Feuer und Wind, darunter eine seltsame Schrift, die mir ebenfalls nicht bekannt war.

Ich sah mich nochmal um. Viele der Behältnisse waren vollkommen leer, andere mit Flüssigkeit gefüllt. Doch da gab es noch weitere. Ich drehte mich erstaunt zu einem Gefäß mit hellgrünem Fluid um, in dem etwas zu schwimmen schien. Als ich es genauer betrachtete, nahm ich ein Wesen aus Fleisch wahr. Ich kannte seine Form nicht, es sah auch nicht aus wie ein Mensch oder Kind oder ein Tier, das mir bekannt war. Aber ich registrierte schnell, dass es leben musste. Ich konnte sehen, wie etwas in dem kleinen Kerlchen pochte. Etwas, das durch die fleischliche Haut leuchtete, wenn es schlug. War es ein Herz?

Hilf mir. Eine Stimme drang an mein Ohr. Ich drehte mich erschrocken um, denn ich dachte zuerst, es wäre jemand gekommen und ich entdeckt worden. Doch so war es nicht. Es war eine Stimme, die sich in meinen Kopf setzte. Aber es war nicht die, die ich bereits kannte.

»Wo bist du?«, fragte ich mehr an mich selbst gerichtet und sah mich um. Zwischen den Gefäßen schaute ich umher und erkannte erschrocken einen Jungen. Ich rannte auf das Behältnis zu, in dem er sich befand. Seine Arme und Beine waren voneinander gestreckt an den Gefäßenden befestigt. Er hing dort wie eine hilflose Marionette. Das Wasser färbte sich langsam von Durchsichtigweiß in Rot, und als ich in sein lebloses Gesicht blickte, riss er auf einmal die Augen weit auf. Ich wich schockiert zurück, von der goldenen Augenfarbe verängstigt, von dem willenlosen, leeren Blick irritiert.

Hilf mir. Die Stimme wirkte schwächer als zuvor, aber ich war mir sicher, dass sie von ihm kam. Hektisch schaute ich mich um, doch ich fand keine Vorrichtung, die ein Technomant gebaut haben könnte, um dieses Gefäß zu öffnen. Seine Augen schienen mein Tun leidend zu beobachten. Ich ertrug diesen Anblick nicht länger. Gedankenlos schnappte ich mir eins der Werkzeuge, die auf den Arbeitsflächen lagen, und schlug auf das Glas ein.

Ein lautes Klirren mischte sich unter das Geräusch von fließendem Wasser, als es endlich zerbrach. Ich trat einzelne Kanten des Glasgefäßes weg, ehe ich hineinstieg und ihn losband. Er fiel wie eine Puppe auf den Gefäßboden. Hatte er denn keine Kraft in seinem Körper?

Ich versuchte verzweifelt, ihn hochzuhieven, ihn über die Glaskante zu heben und aus dem Behältnis ins Freie zu bringen. Ich stolperte dabei unbeholfen, er stürzte aus dem Gefäß auf den Boden und blieb reglos liegen. Nur seine Augen schienen mich zu verfolgen, zu reagieren und wahrzunehmen, dass ich ihm helfen wollte.

Ich biss die Zähne zusammen, als ich einen der Glassplitter aus meinem Arm zog, der sich hineingebohrt hatte, als ich gestolpert war. Anschließend sprang ich hinaus und half ihm auf.

»Ich werde dich hier rausbringen«, sagte ich unter Anstrengung, denn er war ziemlich schwer und unhandlich, wo er doch keinerlei Körperspannung aufbaute. Ich sah mich hektisch um. Mein Eindringen und das Zerstören des Gefäßes würden in einem Gebäude der Regierung nicht lange unbemerkt bleiben. Ich war mir jetzt sicher, dass ich mich im Regierungsviertel befand. Nirgends sonst gab es Laboratorien wie dieses, nicht Mal bei den Technomanten, das wusste ich durch meine nächtlichen Erkundungen. Doch hier war ich noch nie zuvor gewesen.

Lym! Ihre Stimme bohrte sich unbeschreiblich schmerzhaft in meinen Schädel, als ich fast die Tür hinaus aus diesem Laboratorium erreicht hatte. Ich stürzte mit ihm zwischen zwei Gefäßen zu Boden. Die Hände an den Kopf gelegt schrie ich meine Schmerzen heraus, doch es half nichts. Du sollst mich retten! Nicht ihn! Komm mich holen, Lym!

Das Rauschen setzte bereits ein, als dieses von einem urplötzlichen Alarm durchbrochen wurde. Aus den Wänden fuhren rot blinkende Lichter, ein Sicherheitsalarm heulte unaufhaltsam, dass wir unbefugtes Gelände betreten hätten und ich spürte schon die Vibration auf dem Boden. Ein Wächter der Regierung war auf dem Weg hierher.

Schnell griff ich den Jungen am Arm und wollte ihn mit mir reißen – vergessend, dass er nicht lief. Ich stolperte erneut und schlug mit dem rechten Fuß um. Die Schmerzen unterdrückend biss ich mir auf die Lippen und sah mich hektisch um. Wie sollten wir hier rauskommen? Ich konnte ihn nicht mitnehmen, nicht so, wie er war, nicht ohne entdeckt und gefasst zu werden.

Doch die Tür öffnete sich bereits und ein riesiger Wächter erschien. Aus seinen Schultern stieg Dampf auf, wie aus einem Teekessel, während er sich mit einem mächtig blechernen Geräusch näherte und eine metallene Hand ausfuhr, die auf uns wies: »Eindringlinge! Stellt euch!«

Ich sah verzweifelt zu dem Jungen herüber, der immer noch regungslos auf dem Rücken lag und nur versuchte, mit seinen Augen einen Blick auf den Wächter zu werfen. Ich konnte nicht uns beide retten. Aber ihn deswegen im Stich lassen?

Ich stand auf, den Kopf gesenkt, die Schmerzen runterschluckend und platzierte mich schützend zwischen dem Goliath und dem Jungen.

»Eindringlinge! Stellt euch!«, wiederholte er blechern. Ich sah ihn nun unverwandt an, musterte die Gelenke des Wächters. Ich musste mein Wissen abrufen, das Chris mir über die Technik beigebracht hatte, doch ich wusste zu wenig, um eine Erfindung zu besiegen, die dreimal größer war als ich selbst. Ich erinnerte mich daran, dass Chris immer einen gewissen Abstand zwischen seinen Kreationen und Wasser gehalten hatte. Vielleicht war das Element ja die Schwäche dieser Technikriesen. Zu blöd, dass ich nicht einen einzigen Wasserzauber durchführen konnte. Doch als ich mich umsah, grinste ich nur. Wozu beschwören, wenn es bereits da war? Ich musste ihn nur in die Nähe der Gefäße locken und ihn anschließend zu Fall bringen. Sein Gewicht und die Erschütterung beim Aufprall sollte unzählige Behältnisse sprengen und deren Wasser den Wächter treffen. Jetzt brauchte ich nur noch den Lockvogel zu spielen.

Leichter gesagt, als getan. Als ich ihn heranlocken wollte, wandte er sich dem Jungen zu und streckte seine riesige Stahlhand nach ihm aus. Ich machte sofort kehrt. Dem Jungen durfte nichts passieren!

Ich rammte die metallene Hand mit meinem Körper. Wahrscheinlich hatte ich mir selbst mehr Schmerzen damit zugefügt, als ihm. Dennoch hatten die Finger ihn verfehlt und er fasste ins Leere.

Ich rollte mich ab und stand augenblicklich wieder. Meine Schulter schmerzte ungemein und leicht benebelte es meinen Kopf; ich musste unbedingt wach bleiben. Der Junge konnte sich schließlich schlecht allein verteidigen.

Erneut griff der Wächter nach ihm. Er nahm keine Notiz von mir, wo ich direkt danebenstand. Ich rammte seine Stahlhand, doch diesmal schien er vorbereitet, als hätte er es kommen sehen. Seine zweite Hand schnellte in meine Richtung und schlug mich beiseite. Der Schlag war so heftig, dass ich fast an die Wand des Laboratoriums geschleudert wurde.

Ächzend richtete ich mich auf und sah zu dem Goliath. Erschrocken bemerkte ich, dass eine weiße Kugel neben dem Jungen lag. Ich fasste mir sofort an meinen Hinterkopf. Eine meiner Früchte war abgerissen worden. Für die anderen Menschen mochten sie aussehen wie Haarschmuck. Es war ein Geheimnis zwischen mir und Miss Scarlett, dass es kein Schmuck, sondern ein Teil von mir war, der lebte.

Ich spürte, wie mir Blut aus der Stelle am Kopf lief und meine Kraft sich verringerte. Die Armreifen blinkten auf, aber auch ihre Energie schien verbraucht. Ich fühlte, wie das Atmen schwerer wurde und meine Brust sich zusammenzog. Mein Blick verwischte leicht. Ich erkannte noch, dass der Junge die weiße Frucht zu seinem Mund führte. Er konnte sich also doch bewegen!?

»Nein ... Iss sie nicht«, murmelte ich, bevor mir schwarz vor Augen wurde. Ich hörte entfernt das Geräusch von zerbarsten Metall und spürte den Wind, der mich umfing, als mich jemand auf seine Arme hob.

Ein sanfter Geruch und das wohlige Gefühl von warmem Licht empfingen mich, als ich meine Augen öffnete. Ich fühlte mich noch immer etwas schwach, sodass ich absolut bewegungsunfähig war; aber ich konnte sehen.

An einer Laterne, die längst nicht mehr brannte, sah ich das Siegel der Regierung. Ich musste mich im Regierungsviertel befinden. Dann bemerkte ich, dass die Straßenlaterne angeleuchtet wurde. Doch wovon, wenn sie trotz Dunkelheit erloschen waren?

Ich sah mich um, ohne meinen Kopf zu bewegen. Ich nahm ein leichtes Leuchten der Straße wahr, auf der ich lag und trotzdem war es nicht die Straße, die leuchtete. Es waren Blumen. Ein kleines Blumenfleckchen mitten auf der Kreuzung im Regierungsviertel und es funkelte.

Es kam mir vor wie ein Traum. Ich richtete mich etwas auf und spürte eine helfende Hand an meinem Rücken. Ich sah den Jungen aus dem Laboratorium. Ich hatte auf seinem Schoß geruht. Er saß mit mir auf dem leuchtenden Blumenfleck und ihm schien es so weit gut zu gehen.

Doch ehe ich ein Wort an ihn richten und meine Fragen stellen konnte, fühlte ich ihre Anwesenheit. Ich wandte mich zu einer Häuserwand um, vor der nun Miss Scarlett stand. Jonathan war mit ihr hergekommen, aber das war unwichtig für mich.

Ihr Blick zeigte blankes Entsetzen. Ich wusste nicht, was ich getan hatte und stellte mich bereits auf eine heftige Predigt ein, als sie auf mich zu rannte. Doch es kam anders. Sie zog mich in ihre Arme und fing an, bitterlich zu weinen. Ich verstand es nicht.

Ein Fleck leuchtender Blumen. Ein völlig unscheinbarer Junge. Eine weinende Miss Scarlett.

Ich begriff es nicht. Was war hier los? Was war geschehen? Und wieso … musste ich mit ihr weinen?

Die verbotene Prophezeiung

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