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Kapitel 4 | Lymle | Zauberei mal anders

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Das Auftauchen der Stadtwachen während meines Tanzes war ganz und gar ungewöhnlich. Sie konnten mich einfach nicht gefunden haben. Wie denn auch? Ich hatte keine Beweise hinterlassen, die auf meine Person wiesen. Da war ich mir absolut sicher.

Oberhalb der Häuserdächer sah ich auf den Platz hinab, immer noch darauf bedacht, von unten nicht gesehen zu werden. Sie durchkämmten die Menschenmenge und schienen ernsthaft nach jemandem zu suchen.

Nervosität breitete sich aus. Wenn sie nach mir fragten, konnte ich nicht mehr hierher kommen, um zu trainieren und Geld zu verdienen. Sobald sie hier etwas von mir erfuhren, fänden sie mich auch in der Akademie. So müsste ich meine magische Ausbildung an den Nagel hängen. Mir würde nichts bleiben!

Ich schluckte und versuchte, mich zu beruhigen, als mein Blick auf diesen Jungen fiel. Ich wusste nicht einmal, wie er hieß. Im Unterricht war sein Name nicht ein Mal gefallen, dabei schien er kein stiller Typ zu sein. Ich erkannte ihn aus der Menschenmenge von hier oben genau, niemand hatte solch leuchtende Haare. Sie leuchteten nicht direkt, nicht wie Licht und trotzdem war die Farbe so kräftig, dass man ihn nicht übersehen konnte – genauso wie meine. Würde ich nicht so auffallen, gäbe es keinen Grund, vor ihnen zu fliehen. Aber so?

Ich bemerkte, dass auch er sich der Menge anschloss und den Platz verließ. Doch schien er es, um einiges eiliger zu haben, als diejenigen, die aus Furcht vor den Wachen flohen. Waren sie etwa hinter ihm her?

Ich erhob mich aus meiner Hocke und lief die Dächer entlang, ihm folgend und mein Blick trotzdem behutsam den Stadtwachen zugewandt, die ihn scheinbar entdeckten. War es womöglich nur eine Verwechslung wegen der Haare? Oder waren sie wirklich ihm auf der Spur? Hatte er denn etwas getan?

Ich nahm Anlauf und sprang über die Hausdächer, ebenfalls die Verfolgung aufnehmend. Ich musste wissen, was da los war. Was, wenn er unschuldig war und sie ihm etwas anhängen wollten? Es wäre nicht das erste Mal. Die Regierung besaß viele schmutzige Geheimnisse.

Es war für mich ein Leichtes, ihnen auf den Fersen zu bleiben, war ich doch eine blitzschnelle Läuferin und in jeder Hinsicht trainiert darauf, Hindernisse zu bezwingen und waren diese noch so groß und verschachtelt. Irgendeinen Weg hinein, hinaus oder drüber weg gab es immer. Man musste ihn nur aufspüren.

Ich hüpfte in kraftvollen Sprüngen über die Hausdächer, den Blick stets nach unten steuernd, um ihn zu finden. Je nach Geschwindigkeit, die ich aufnahm, um einen Spalt zwischen den Häusern zu überwinden, war ich gezwungen, mich auf der anderen Seite abzurollen oder zu springen und hing anschließend an der Hauswand. Es war notwendig, den Aufprall mit meinen Beinen zu dämpfen, ehe ich mich mit beiden Armen hochzog. Auf einmal stoppte ich erschrocken. Er war in eine Sackgasse gelaufen.

Soeben wollte ich ihm etwas herunterrufen, als die Stadtwachen bereits um die Ecke bogen. Irgendetwas erschien mir seltsam. Sie hatten ihn zu leicht aufspüren können. Sie wussten, wo er war, selbst wenn sie ihn nicht sehen konnten. Nicht ein Mal falsch abgebogen. Da war doch was faul.

Ich hockte mich nieder, um keinen Schatten zu werfen und nicht aufzufallen. Ich musste erst einmal wissen, was los war. Womöglich handelte es sich ja einfach nur um ein Missverständnis und sie zogen ohne Weiteres ab?

»Halt! Stehen bleiben!«, schrie eine von ihnen durch die Gasse. Die anderen Stadtwachen erhoben ihre Waffen gegen ihn. Sollte das etwa bedrohlich wirken? Ich konnte mir ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. »Endlich haben wir dich, du verdammter Dieb! Jetzt kannst du uns nicht mehr entkommen!«

Ich musste mich bemühen, nicht laut loszulachen. Glaubten sie ernsthaft, nur weil er eine Mauer in seinem Rücken hatte und sie mit ihren kleinen Waffen dort standen, könnte er ihnen nicht entwischen?

Moment. Er war bei Weitem nicht so flink wie ich. Er war vermutlich gar nicht in der Lage, die Wände hoch zu sprinten, ehe eine Kugel ihn überhaupt streifte. Ich musste überlegen. Jetzt schien die Situation doch gravierender, als ich sie im ersten Augenblick eingeschätzt hatte.

Ich starrte weiter hinab. Was unternahm er? Schließlich konnte er nicht wissen, dass ich hier oben zusah und ihm notfalls helfen würde. Ich wollte natürlich erst einmal sehen, was er auf sich gestellt gegen sie ausrichtete.

Er mimte den Unschuldigen und ich grinste nur, weil ich sicher genau dieselbe Taktik gewählt hätte. Er probierte also, Zeit herauszuschlagen. Ich bemerkte, dass er sie in ein Gespräch über Zauberpulver verwickelte. Sie waren leicht manipulierbar und plauderten wie die Marktfrauen.

Plötzlich entdeckte ich, dass er die Hände seltsam versteckt hielt und etwas durchblätterte. Ich versuchte, mich weniger auf ihre Worte zu konzentrieren, sondern zu erkennen, was er da genau tat. Ich beugte mich über die Dachkante. Ein ungeübter Akrobat wäre in dieser Haltung sicher bereits abgestürzt. Ich hockte beinahe waagerecht über die Gasse gebeugt auf der Kante des Daches. Nur meine nackten Füße hielten mich – ich tanzte immer barfuß, so spürte ich den Boden unter mir intensiver – meine Zehen umklammerten den Rand im wahrsten Sinne des Wortes. Es war Training, sonst nichts.

Doch leider war alle Anstrengung vergebens. Die Schatten in der Seitengasse fielen so ungünstig, dass ich nicht mehr erkennen konnte als vorher. Wie sah er, was er da brauchte?

»Und jetzt wirst du dich uns ergeben«, sagte die Stadtwache spürbar verärgert und sie rückten auf ihn zu. Schnell, wollte ich schreien. Da geschah, was ich nicht verstand.

Der Junge riss etwas, das nur halb so groß wie seine eigene Hand war, in die Höhe und ein ungewöhnlich helles Licht ging davon aus. Die Gasse und die Straßen in der unmittelbaren Umgebung wurden überflutet von dem magischen Feuer. Rote Lichtblitze quollen hervor und schienen aus dem Gegenstand selbst zu kommen. Flammen rannen durch die Seitengasse und formten einen gewaltigen Feuerball, der die Stadtwachen überrannte.

Ich war geblendet von der Schönheit dieses Zaubers und gleichzeitig erschrocken von seiner Stärke. Dieser Feuerzauber war viel zu mächtig, als dass ihn ein Adept unseres Ranges ausführen können sollte. Ich wusste nicht einmal, ob Miss Scarlett dazu imstande war. Wie hatte er das gemacht? War es möglicherweise nur eine Illusion gewesen?

Die Flammen verschwanden und die Wachen lagen am Boden. Ich bemerkte schwere Verletzungen an ihren Körpern und mir wurde leicht übel, denn der Geruch von verbranntem Fleisch zog selbst hier oben durch die Luft. Jetzt war ich mir absolut sicher: Es war keine Sinnestäuschung, sondern ein echter Kampfzauber gewesen!

Der Junge heilte sie mit einem Zauber, doch ein paar Narben würden definitiv zurückbleiben. So einen starken Heilzauber konnte er einfach nicht sprechen können.

Als er sich umschaute, duckte ich mich erschrocken, weil ich total vergessen hatte, meinen Schatten zu verbergen. Als ich seine Schritte vernahm, sah ich auf und er war verschwunden. Aber nicht mit mir! Ich sprang auf und hechtete ihm über die Dächer hinterher. Für mich war es ein Leichtes, ihn einzuholen, musste er doch aufmerksam beobachten, stoppen, schleichen und warten, wenn eine Reihe Soldaten durch die Straßen zog.

Mir war bekannt, wieso sich so viele Wachen hier aufhielten und mir tat es schon ein wenig leid, dass er es dadurch so schwer hatte. Aber ich musste weitergehen.

Er kam schließlich an einem Tor an. Scheinbar wohnte er auf der anderen Seite des Flusses. Eine imposante Maschine, gebaut von den Technomanten, erwartete ihn. Er musste einen alternativen Weg nehmen, wenn er dort herüber wollte.

Ich sah zu, wie er erneut einen flachen Gegenstand in die Luft riss. Augenblicke später erhob er sich in die Lüfte. Hier war sie vorbei – meine Verfolgungsjagd. Fliegen konnte ich nicht.

Was für ein seltsamer Junge, dachte ich. Und was für eine paradoxe Art, zu zaubern. Wie macht er das nur? Und wieso kann er all diese mächtigen Zauber bereits so fehlerfrei ausführen?

Ich hatte den gesamten Heimweg zurück ins Magierviertel darüber nachgedacht, war aber zu keiner Lösung gekommen. Ich beschloss, später weiter nachzudenken und öffnete langsam die Tür zu Miss Scarletts Laden.

Ein Duft von Zimt lag in der Luft, Weihrauch und das Rauschen vom Meer. Ich schloss leise die Tür und lief über den aus Mandala bestehenden Mosaikboden in ihr Lieblingszimmer. Sie saß in ihrem Sessel und bestickte ein langes Stück Stoff mit Zaubergarn und Spinnenfäden. Ihre kleinen Helferlein wickelten für sie etwas Garn ab, machten sich jedoch immer wieder einen Spaß daraus, ihre Beine damit einzuwickeln.

»Ich bin zuhause«, sagte ich leise. Die Öllampe stand wie jeden Tag brennend auf dem Tischchen, das wir als Aquarium benutzten. Die Federn zum Schreiben vereinzelter Aufträge oder seltener Briefe befanden sich daneben und auch ein Aschenbecher. Sie konnte ihre Gewohnheit einfach nicht ablegen, eine Rohnelke am Tag zu rauchen. Ich mochte ihren Geruch sehr, aber den Qualm ertrug ich nur schwer.

»Setz dich zu mir«, sagte sie herb. »Ich habe mit dir zu reden.«

Ich wusste, dass ihr etwas missfiel. Ihre Stimme klang in diesen Momenten einfach anders. Ich stieg über die im Zimmer verteilten bunten Garnrollen, wich den kleinen Spinnenmarionetten aus, die mich mit ihren bemalten Puppengesichtern nur ansahen und ratternd weiterarbeiteten. Die Porzellanpuppe Alice nahm ich von dem Flügelhocker hoch und setzte mich vor den Flügel, der neben ihr stand, aber nie gespielt werden durfte. Die Puppe tat ich behutsam auf meinen Schoß und sah Miss Scarlett erwartungsvoll an.

»Hast du mir etwas zu sagen?«, forderte sie mich auf. Doch ich wusste nicht, was sie genau meinte.

Sie legte das Stück Stoff beiseite und holte eine seltene Pflanze hinter ihrem Plattenspieler hervor, den sie von einem alten Technomanten erstanden hatte. Er spielte jedoch keine Platten mehr ab, schon seit Jahren.

»Was habe ich dir gesagt, sollst du nicht tun?«, stellte sie mir wieder eine Frage. Ich überlegte. Sie sagte mir viel, was ich nicht tun durfte. Wie sollte ich da wissen, was genau sie meinte?

Ich zuckte nur mit den Schultern, doch das schien sie nur noch wütender zu machen. Ihr nach hinten gebundenes, schwarzes Haar kräuselte sich leicht. Sie hatte das Gesicht einer hübschen Puppe und auch ihre Figur war makellos, was ihre betonten, unifarbenen Kleider sehr gut zur Geltung brachten. Ich verstand nicht, wieso sie sich keinen Mann nahm und eine Familie gründete. Aber darüber durfte ich jetzt ebenfalls nicht nachdenken. Was sollte ich denn angestellt haben?

Sie seufzte und griff nach meiner Hand. Ich spürte, wie sie mir etwas von ihrer Energie übertrug und sofort wurde mir wärmer als vorher.

»Bleib in der Sonne, meide die Schatten und vor allem, setz nicht so viel Magie ein, Lym«, sagte sie deutlich und dabei bekräftigte sie es durch einen festen Händedruck.

»Ich weiß doch. Ich war heute auch in der Sonne. Und ich habe nur beim Unterricht gelernt, viel mehr habe ich nicht gezaubert. Ehrlich«, versuchte ich, mich zu rechtfertigen.

»Lym«, ermahnte sie, ohne Weiteres zu sagen. Ich wusste, was sie meinte. Nichtsdestotrotz konnte ich es mir einfach nicht eingestehen. Ich wollte keine Rücksicht auf meinen Körper nehmen. Ich wünschte mir, frei zu sein, so wie die anderen.

»Wenn du geschwächt bist«, flüsterte sie beunruhigt, »werden sie dich finden. Ich möchte dich nicht an sie verlieren.«

»Was meinst du damit, Miss Scarlett? Du sagst das immer wieder, aber ich verstehe das nicht.«

»Halt dich einfach von der Regierung fern, Lym. Sie bringt dir nur Ärger.«

»Das kann ich nicht! Ich werde gerufen, das weißt du! Ich muss diese Stimme finden!«

Sie drückte meine Hand fester zusammen. »Du wirst diese Nacht nicht auf einen deiner Streifzüge gehen, hast du mich verstanden!?«

»A-Aber …«

»Du wirst jetzt auf dein Zimmer gehen und schlafen. Du wirst nicht in das Regierungsviertel schleichen. Halte dich von ihnen fern.« Ihre Worte brannten sich in meinen Schädel. Ich wollte dagegen angehen, widersprechen, doch es klappte nicht. Etwas blockierte mich, meine Gedanken, meine Stimme. Ihre Stimme brannte, mein Kopf glühte und mir wurde alles egal.

Langsam erhob ich mich von dem Hocker, setzte Alice zurück auf ihren Platz und verließ das Lieblingszimmer. Ich stieg die Wendeltreppe hinauf und öffnete meine Zimmertür. Mit dem Öffnen meiner Tür gingen sämtliche Öllampen in meinem Zimmer an. Auf dem Boden, an der Decke, auf den Schränken und Tischen – überall Lampen und sie brannten restlos. Ein seichtes und wohlig warmes Gefühl breitete sich in mir aus und ich legte mich gelassen und an nichts denkend auf mein Bett und schlief ein.

Die verbotene Prophezeiung

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