Читать книгу Die verbotene Prophezeiung - Sarah Neumann - Страница 8

Kapitel 5 | Jonathan | Zugangssperre

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Ich erwachte von dem immer größer werdenden Lärm auf der Straße. Vor meinen Augen drehte sich alles, als ich sie öffnete und mich das grelle Licht eines Frühlingstages blendete. Es brauchte einige Minuten, bis ich mich an meine Umgebung gewöhnte. Was war gestern Nacht passiert? Die Wachen! Es fiel mir schleichend wieder ein. Ich war erst früh nach Hause gekommen und hatte nicht mehr als drei oder vier Stunden geschlafen.

Schwerfällig stand ich auf und suchte meine Sachen zusammen, die verstreut im Zimmer herumlagen. Ich nahm einen Wassereimer zur Hand, um mich zu waschen, und zog mich danach an. Langsam kamen meine Gedanken in Fahrt. Die Stadtwachen hatten mich mit Zauberpulver markiert. Ich sah es nicht, wusste aber, dass es da war. Weswegen gaben sie sich so viel Mühe für einen kleinen Dieb? Das Pulver musste ich mir mühsam von der Kleidung und vom Körper schrubben. Ich konnte nur hoffen, alles entfernt zu haben. Anschließend nahm ich ein paar alte Scheiben Brot und kaute lustlos auf ihnen herum.

Ich war dabei, mich ins Bett zu legen, da fiel mir schlagartig ein, warum ich das Gefühl nicht los wurde, etwas vergessen zu haben: die Akademie!

Verdammt! Ich war ein absoluter Frühaufsteher, aber nach einer solchen Nacht fiel es selbst mir schwer, noch vernünftig in den Tag zu starten.

Mir blieb keine Sekunde mehr! Grade, als ich mich erinnerte, hörte ich in der Ferne den Glockenschlag. Mist, Mist, Mist! Ich kam zu spät!

Eilig schlang ich das trockene Brot herunter und würgte es fast wieder hoch. Ich brauchte unbedingt einen frischen Brotlaib. Ich schnappte mir meine Tasche mit den Schulunterlagen und rannte los.

Der Weg zur Schule war allerdings nicht so einfach wie erhofft. Vor dem Tor bildete sich wie jeden Morgen eine Menschenmenge, die darauf wartete, in die Stadt eingelassen zu werden. Eigentlich hätten die Tore längst geöffnet sein müssen. Ich spürte unverhofft das Gefühl der vergangenen Nacht, dass etwas im Gange war. Aber damit konnte ich mich jetzt nicht beschäftigen, ich musste zur Akademie.

Auf dem Torhaus erschien eine Person, gekleidet wie ein Herold der Regierung. Die Leute bemerkten ihn nach und nach und Stille kehrte ein, während sich alle Blicke auf ihn richteten. Doch der Mann schien davon nicht im Geringsten beeindruckt und entrollte langsam eine Pergamentrolle. Mit kräftiger Stimme fing er an zu sprechen: »Bürger und Bürgerinnen von Maalan, höret den Willen des Stadtrates und des Patriziers: Mit diesen Worten sei verkündet, dass ab dem heutigen Tage bis auf Weiteres, eine allgemeine Ein- und Ausgangssperre über die inneren Teile der Stadt verhängt wird. Die Versorgung der Innenstadt wird über den Inneren Hafen geregelt und jeder Versuch, auf jedwedem Wege ohne schriftliche Erlaubnis in die Stadt zu gelangen, wird strengstens bestraft.«

Der Herold rollte sein Pergament langsam zusammen, die Rufe der Bürger nicht beachtend. Es formierten sich Sprechchöre und einige der vorderen Zivilisten versuchten, durch Hämmern an dem Tor ihrem Unmut Luft zu machen.

Zwischenzeitlich waren die Glocken der Akademie verstummt und der Unterricht hatte gewiss begonnen. Fast alle Magier Maalans und solche, die es werden wollten, wohnten in den inneren Teilen. Und wer außerhalb lebte, war meist so reich, dass es für ihn kein Problem darstellte, in die Stadt zu kommen.

Doch wie sollte ich in die Innenstadt vordringen? Zaubern war zu auffällig und mir als Adept in der Öffentlichkeit verboten. Davon abgesehen wäre es auch so unübersehbar, falls ich zeigen würde, was ich wirklich konnte.

Ich schaute rechts und links an der Mauer entlang und überlegte eine Weile. Was wäre der beste Weg, die Stadt ungesehen zu betreten? Wenn ich erst einmal im Innern war, müsste ich mir eine neue Bleibe suchen, an meiner Hütte hielten mich eh kaum Erinnerungen. Da fiel es mir wieder ein: der alte Stadthafen!

Ich rannte zurück in das Bettlerviertel und bahnte mir einen Weg zum Nordost-Ende der kleinen Insel. Hier war nicht so viel los wie im belebteren Teil um unseren Markt herum. Die Arbeiter beschäftigten sich mit ihrem Tagewerk und die Frauen blieben im Haus. Ich hatte wenig Zeit, mir den Plan bis in alle Einzelheiten auszudenken und so stand ich ein paar Minuten später am steinigen Strand der Insel. Ich schaute zur Stadt herüber und wanderte mit meinen Blicken die Mauer entlang.

Da waren sie! Die beiden großen Wachtürme des Hafens. Hier gab es keine Grenzbefestigung, lediglich Wasser. Ich zog meine Kleidung aus und stopfte alles in die Umhängetasche. Daraufhin überlegte ich kurz und zog auch meine Karten vom Gürtel ab, um das Paket anschließend sorgfältig zu verschnüren. Ich hoffte inständig, dass die Nähte im Leder stark genug waren und keinerlei Flüssigkeit an meine Bücher lassen würden. Danach schwamm ich los.

Das Wasser war trotz des klaren Wetters noch eiskalt; die Sonne vermochte den Strom aus den Bergen kaum zu erwärmen. Ich ruderte direkt bis zum nächsten Mauerstück und blieb im flachen Gewässer, meine Tasche über dem Kopf erhoben. Ich war bestimmt eine viertel Stunde im Wasser, ehe ich beim ersten Turm angekommen war. Ab hier wurde es nicht leichter. Sie waren selbst in Friedenszeiten bewacht und hielten ein Auge auf die Hafeneinfahrt. Ich holte tief Luft und pumpte meine Lungen voll. Anschließend tauchte ich unter die Oberfläche.

Ich tauchte knapp unterhalb der Wasseroberfläche am Fuße des Wachturms in den Hafen. Mir ging wegen der Anstrengung recht schnell die Luft aus und ich beeilte mich, doch auch das forderte nur mehr Sauerstoff ein. Ich zog und zog noch kräftiger, bis meine Lungen brannten; bis ich nicht mehr konnte und auftauchte.

Ich schnappte gierig nach Luft und meine Augen gewannen langsam ein klares Bild von meiner Umgebung. Mir setzte das Herz für einen Moment aus: Ich war mitten im Hafenbecken gelandet!

Schnell holte ich noch einmal Luft und tauchte ab. Mit kräftigen Stößen schwamm ich auf den Kai zu. Ich musste zweimal an die Wasseroberfläche, ehe ich unter einem Steg endgültig auftauchen konnte. Das Wasser roch leicht faulig und ich beeilte mich, am Kai entlang bis zum Rand des Hafens zu kommen. Die einfachen Schiffe boten mir Deckung vor den zufälligen Blicken der Hafenarbeiter. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich das nördliche Ende des Hafenbeckens erreichte.

Ich spähte langsam aus dem Wasser heraus und nutzte einen kurzen Moment, um mich herauszuziehen. Noch ehe man mich bemerken konnte, war ich in einem Kontor verschwunden. In einer dunklen Ecke ließ ich mich nieder und packte eilig meine Tasche und die Kleider mit den eingeschlagenen Büchern aus. Die Kleidung war nass geworden, doch war das Wasser nicht bis zu den Schulbüchern und Karten vorgedrungen.

Noch einmal Glück gehabt, schoss es mir durch den Kopf. Aber die Kluft war nicht mehr zu gebrauchen, jedenfalls nicht, wenn ich unauffällig zur Akademie wollte. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Was würde man sonst von mir denken? Außerdem hatte ich vor, einen guten Eindruck bei dem neuen Professor zu machen. Das war die Idee!

Ich konzentrierte mich, wie ich es gestern im Unterricht getan hatte, auf das Element Wasser und versuchte, es unter meine Kontrolle zu bringen. Ich zog an meiner inneren Kraft und verlieh dem Zauber Stärke. Doch es wollte nicht reichen. Ich brauchte mehr Energie, um die Flüssigkeit aus der Kleidung zu holen. Ich nahm eine meiner Karten und entzog einem der unwichtigeren Sprüche meiner Sammlung die Zauberkraft, die ich noch benötigte. Mit diesem zusätzlichen Kräfteschub gelang es mir schließlich, alles Wasser aus meinen Kleidern zu ziehen und bildete einen Tropfen, der langsam zu Boden glitt. Eine interessante Methode, die ich mir unbedingt merken musste.

Ich schlüpfte in meine Sachen und machte mich vorsichtig auf den Weg. Ich kam mitten im Magierviertel aus. Es war zwar nicht der ideale Weg bis hierher, aber dafür war ich fast am Ziel.

In der Entfernung konnte ich die Türme der Akademie erkennen und beschleunigte meine Schritte. Etwa einhundert Meter weit kam ich, ehe ich erschöpft über meine Füße stürzte. Ich musste nach Luft ringen und drehte mich völlig kraftlos auf den Rücken. Es war doch anstrengender als gedacht. Jetzt spürte ich, wie mir jede Kraft zu fehlen schien. Und das so nah vor meinem Ziel.

Es dauerte ein paar Minuten, in denen ich immer wieder kurz in einen leichten Schlaf glitt, bis sich etwas änderte. Geräusche ... Ein knatterndes, lautes Dröhnen drang an mein Ohr und ich wusste nicht, was das sein mochte. Aber es kam in meine Richtung.

Schnell. Vielleicht ein Goliath? Allerdings waren die im Magierviertel nicht geduldet. Doch nach dem, was ich bis jetzt erlebt hatte, würde es mich kaum verwundern. Das Knattern kam immer näher und war noch eine Häuserecke entfernt. Zu stürmisch für einen Goliath, schoss es mir durch den Kopf.

Schließlich sah ich es. Wie ein Hase brauste ein glühendes und rauchspukendes Geschoss um die Ecke und hielt genau auf mich zu. Erst im letzten Moment schien es mich zu bemerken und wich mir so knapp aus, dass ich das Glühen des Kessels noch auf meiner Haut spürte. Mit einem lauten Quietschen kam das Gefährt zum Stillstand, allerdings außerhalb meines Blickfeldes. Schritte näherten sich mir und ich konnte eine Frauenstimme wettern hören: »Was soll denn das? Bist du lebensmüde? Alles Verrückte hier, typisch Magier! Nenene, das kann doch nicht sein. Da fährt man gemütlich ein paar Runden und dann liegt so ein Kerl auf der Straße rum.«

Die Stimme kam näher heran und ich sah in das hübsche Gesicht einer jungen Frau.

»Brauchst du Hilfe?«, fragte sie mit einem Mal etwas verlegen. Ich guckte ihr tief in ihre dunklen Augen und hatte das Gefühl, mich zu verlieren. Kurz darauf bemerkten wir beide, wie wir uns anstarrten und sie drehte ihren Kopf weg. Trotzdem konnte ich noch eine leichte Röte auf ihren Wangen erkennen. Ich sah bestimmt nicht besser aus.

Ich bemühte mich zu sprechen: »Müde … keine … Kraft mehr ...« Weiteres brachte ich nicht zustande.

Die Frau wandte sich zögerlich zu mir um. Diesmal vorsichtig und sie näherte sich mir nur langsam. Sie legte mir eine Hand auf die Stirn und ich spürte, wie mich mit einem Mal Energie durchströmte.

»Du solltest dich nicht so verausgaben«, sagte sie leise. »Pass bitte in Zukunft besser auf dich auf, ich kann nicht jedem helfen, der auf der Straße liegt. Auch wenn er so gut aussieht, wie …« Mit einem Mal brach sie ab und errötete. Sie hatte scheinbar nicht alle Sinne beisammen. »Das muss genügen«, endete sie nur knapp, sprang auf und lief zu ihrem Höllengerät zurück. Langsam erhob ich mich und konnte am schwarzen Rauch noch sehen, dass sie dröhnend um die nächste Ecke verschwand. Sehr seltsam …

Ich kam ohne weitere Zwischenfälle in der Akademie an. Pünktlich zur ersten Pause. Ich hatte einiges verpasst und nun würde der Unterricht bei einem anderen Professor fortgesetzt werden. Wie sollte ich das nur erklären? Die Akademieleitung musste ja nicht unbedingt wissen, dass ich nicht im Magierviertel wohnte.

»Hey Jonathan!«, rief eine bekannte Stimme nach mir. »Wo warst du denn die ersten Stunden?« Es waren Cloe und Richard, wie immer unzertrennlich beisammen. Nur ich hatte noch gefehlt.

»Meine Güte! Was hast du den ganzen Morgen getan? Wir haben uns Sorgen gemacht, dass du eines der Opfer bist«, gab er zu.

»Was denn für Opfer?«, wollte ich wissen. »Was habe ich verpasst?«

»Nur so ungefähr die spektakulärste Mordserie der Stadt, die es je gab«, prahlte Richard erfreut. Ich musste ihn etwas krumm anschauen, bevor ihm auffiel, was er gesagt hatte. »Oh! Also, ich meine, es ist ja schrecklich, aber trotzdem. Es gab gestern drei Tote unter den Stadtratsmitgliedern. Das ist ja so spannend. Der Mörder wurde noch bis zum Handwerkerviertel verfolgt und hat da Wachleute verwundet. Dann konnte er entkommen. Seitdem sind überall die Tore verschlossen und die Stadtwachen suchen fieberhaft nach Zeugen und Hinweisen.«

Mir wurde mit einem Mal warm und kalt zugleich. Mörder? Verletzte Wachen? Tote Stadtratsmitglieder? Das durfte jawohl nicht wahr sein! Das erklärte so einiges.

Ich gab mich angemessen überrascht und schockiert, Letzteres viel mir nicht einmal schwer: »Oh Mann, haben sie den Täter denn gesehen? Das ist ja schrecklich!«

Doch Cloe wiegelte sofort ab: »Sie haben ihn nicht gesehen. Und mach du nicht so einen auf betroffen! Wir wissen, dass du den Stadtrat nicht magst, niemand mag diese aufgeblasenen Kerle.«

»Tut mir leid, aber ich erzähle euch nachher mehr, wenn der Unterricht beendet ist.« Die Pause war um und ich musste zu meiner ersten Stunde.

Die verbotene Prophezeiung

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