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Kapitel 3 | Jonathan | Flucht

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Mist! Die Stadtwachen kamen genau zum falschen Zeitpunkt. Ich war eben erst auf dem Platz angekommen, da holten sie mich schon ein. Es waren mindestens fünf, also war Verstärkung eingetroffen.

Ich hätte auf meinem kleinen Streifzug besser aufpassen müssen. Ich war wie fast jeden Abend durch die dunklen Gassen geschlichen und hatte nach offenen Fenstern gesucht, um die Taschen der Reichen zu leeren. Ich konnte es nicht ertragen, wie sich die Menschen in dieser Stadt in zwei Gruppen teilten: die finanzstarke Oberschicht, meist Magier, Technomanten und Händler, und die ärmliche Unterschicht, die kaum mehr besaß, als ein Dach über dem Kopf. Aber selbst das gehörte in der Regel einem Reichen, der zahlreiche Häuser kaufte und sie zu Wucherpreisen vermietete.

Schon früh erzogen mich meine Eltern dazu, mich nicht unterdrücken zu lassen. Einst waren sie Magier gewesen, die den Armen halfen, sie in der Not heilten und mit Geld unterstützten. Doch damit hatten sie sich zu viele mächtige Feinde gemacht. Eines Tages kehrten sie vom jährlichen Mondfest nicht zurück.

Sie waren ermordet worden, so hatte man mir erzählt. Ich besaß wenige Erinnerungen an meine Kindheit, und die paar, die ich behalten hatte, entsprachen mehr dem Gefühl, dass sie anständige Menschen gewesen sein mussten. Ich besaß keine Bilder von ihnen.

Ihre Mörder waren nie gefasst worden. Nach meiner Ausbildung würde ich sie suchen und zur Rechenschaft ziehen!

Seit diesem Tag nahm ich es in meine Hand, die Wehrlosen zu unterstützen. Ich ging auf Streifzüge durch die Villen der Reichen und suchte nach Gegenständen, die sie nicht sofort vermissten, wie kleinere Geldbeträge und Wertgegenstände, oft auch einfach nur Nahrung.

Es konnte ja nicht jedes Mal gut gehen! Heute Abend war ich von einer Wache entdeckt worden, als ich unachtsam aus einer Villa kletterte. Auf meiner Flucht bis hier her waren immer mehr hinzugestoßen und ab und zu schrillten Pfiffe, um nach weiterer Verstärkung zu rufen.

Die Stadtwachen schienen in den letzten Nächten aufmerksamer. Etwas ging vor sich, wovon der normale Bürger noch nichts wusste.

Ich drängte mich durch die Menschenmenge und die Wachmänner schwärmten aus, um mich auf dem Platz einzukreisen. Die Menge wurde unruhig, als sie die bewaffneten Wachleute bemerkte. Ich war mir sicher, für einen Moment meine Ruhe zu haben, und nutzte die Gelegenheit, um mich zu erholen. Sie würden noch ein paar Minuten brauchen, um mich zu entdecken, aber ich brauchte dringend eine Pause.

Ich blickte mich auf dem Platz um und erkannte erst jetzt, wo ich gelandet war: auf dem Übungsplatz der Künstler. Hier trainierten alle Akrobaten, Tänzer und manchmal sogar Zauberer ihre Stücke, bevor sie diese in Wettbewerben zeigten. Die Stimmung des Publikums stellte einen sehr guten Indikator für die Qualität des Werkes dar. Ich sah einen berauschenden Tanz und in den wehenden Lichtern meinte ich, ein bekanntes Gesicht zu erkennen. War das etwa Lymle?

Ich stockte kurz und wie durch einen Zauber trafen sich unsere Blicke. Verführerisch ... Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Auch Lymle schien abgelenkt zu sein und starrte mich etwas länger an. Plötzlich beendete sie ihren Tanz in einem Funkenregen. Sie hatte offensichtlich die Stadtwachen bemerkt und wurde unruhig. Sie warf noch eine Kusshand in das Publikum, doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie diese recht zielsicher in meine Richtung geworfen hatte. Mit schnellem Schritt wand sie sich um und sprang in zwei Sätzen über ein paar Kisten auf ein Hausdach im Hintergrund und verschwand in der Nacht.

Ich hatte jetzt keine Zeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum sie vor den Stadtwachen floh, und folgte der Masse. Die Menschen verließen beinahe hektisch den Platz. Ich wählte den sichersten Weg innerhalb der Menge und gelangte so in eine Gasse, die ich bisher nicht kannte. Ohne zurückzuschauen, rannte ich durch die Dunkelheit.

Die Wachen waren mit Sicherheit nach wie vor auf meiner Spur. Meine Beine trugen mich weiter in die dunkle Stadt hinein. Nur hier und da sah ich magische Lichter, die die Straßen beleuchteten. Die Nacht war noch warm von dem sonnigen Tag und keine Wolken verdeckten die Sterne. Es war wie eine große Blumenwiese bei Dunkelheit, auf der vereinzelt Glühwürmchen leuchteten. Auch heute strahlten sie so hell, dass man einen Schatten warf. Jedes Jahr um das Lichterfest herum bekamen sie eine ganz besondere Leuchtkraft. Doch leider war nicht die Zeit, diesen Anblick zu genießen.

Hinter mir erklangen erneut die wilden Rufe der Wachen, die nun erschreckend nahe wirkten. Ich bog um eine weitere Häuserecke und brachte mich so aus ihrem direkten Sichtfeld. Natürlich hatten sie mich gesehen, denn kurz darauf kamen auch sie um die Ecke gebogen und damit langsam aber sicher näher.

Ich kam nun ins Handwerkerviertel und die Gebäude glichen mehr und mehr großen Werkstätten, in denen Dampf betriebene Ungeheuer und wundersame Maschinen gebaut wurden.

Ich konnte mich bis heute nicht so recht mit den rätselhaften Gebilden und Erfindungen der Technomanten anfreunden; zu fremdartig und neu. Doch ich wusste auch ihren Nutzen zu würdigen. Es gab Geräte, die einen ohne Zauber fliegen ließen, oder welche, die einen vor den Zauberangriffen in einem Kampf schützten.

Die Stadtwache war zum Teil mit Waffen der Technomanten ausgerüstet und damit um einiges besorgniserregender geworden. Seit ihrer Einführung wurden angeblich nur noch halb so viele Verbrechen verübt. Doch waren da zudem Geschichten, die von der wahren Gefährlichkeit berichteten: von schrecklichen Wunden, die ihre Waffen rissen, die normale Zauber nicht zu heilen vermochten, weil sie bis tief in den Körper reichten und das Blut vergifteten.

Trotzdem gab es nicht nur erschreckende Erfindungen, sondern auch nützliche Gegenstände. Es gab für fast jeden Zauberspruch ein Objekt, das einem Nichtzauberer dieselben Fähigkeiten verleihen konnte.

Plötzlich tauchten erneut die Wachen hinter mir auf und rissen mich aus meinen Gedanken, die mich unglücklicherweise oft unnötig Zeit kosteten. Wie schafften sie es nur, so hartnäckig meiner Spur zu folgen? Ich war langsam außer Atem und würde nicht weit kommen, ohne eine Pause einzulegen. Ein Kampf schien unausweichlich, früher oder später. Besser ich wählte Ort und Zeitpunkt, ehe ich keine Wahl mehr hatte. Doch hier in dieser Gegend kannte ich mich nicht so gut aus. Wie sollte ich so eine passende Stelle finden?

Die ersten Schüsse fielen und die Geschosse aus den Waffen der Wachen flogen sirrend an mir vorbei. Ich schnellte in die nächste Gasse, um so aus der Schussbahn zu gelangen. Mehrere Projektile schlugen direkt hinter mir in der Wand ein und große Steinsplitter brachen heraus.

Der Weg erwies sich als Sackgasse. Zwischen zwei Lagerhallen der Handwerker endete er an einer Mauer. Die Wachleute erschienen, ehe ich aus der Falle fliehen konnte.

»Halt! Stehen bleiben!«, schrie eine von ihnen. Um ihre Aussage zu bekräftigen, hoben alle Fünf ihre Waffen gegen mich. »Endlich haben wir dich, du verdammter Dieb! Jetzt kannst du uns nicht mehr entkommen!«

Wie oft hatte ich diesen Spruch schon gehört? Die Gasse war dunkel, das Licht von den weit entfernten Laternen ließ mich nur ihre Umrisse erahnen. Vorsichtig und ohne hastige Bewegungen zu machen griff ich hinter meinen Rücken an den Gürtel. Da waren sie! Das Letzte, was mich noch retten konnte: meine Karten. Ich umschloss sie kraftvoll und merkte sofort ein leichtes Vibrieren – sie wollten eingesetzt werden.

Ich blätterte mit einem Finger langsam durch die Karten und suchte etwas, das mir helfen würde. Ich konnte sie zwar nicht sehen, aber ich spürte ihren Zauber, auch ohne dass ich sie gesondert markieren musste.

»Ihr habt den Falschen«, rief ich ihnen entgegen, um mir Zeit zu verschaffen.

»Ach, red keinen Unsinn! Wir haben dich doch den ganzen Weg über verfolgt«, ging eine der Wachen auf mich ein. »Außerdem können wir das Zauberpulver an dir sehen, seit du in die Falle getappt bist.«

»Zauberpulver?«, frage ich, weiter den Unwissenden mimend. »Was soll das denn sein?«

»Ha! Eine Erfindung der Technomanten! Damit und mit diesen Brillen hier können wir euch Gesindel im Dunkeln jagen, weil ihr von Kopf bis Fuß leuchtet. Und du bist in eine der Fallen getappt«, erklärte eine der anderen Wachen.

Die Klügsten waren sie ja nie gewesen, aber mir so einfach zu verraten, warum sie mich verfolgen konnten, grenzte an Dummheit. Natürlich kannte ich das Zauberpulver, von dem sie sprachen, doch ich hätte solch eine magische Falle nicht erwartet. Beim nächsten Mal würde ich vorsichtiger sein.

»Und jetzt wirst du dich ergeben«, endete der Wachmann.

Sie rückten langsam auf mich zu. Und noch immer fand ich keine Karte, die mir weiterhalf.

»Ok, ok! Ich gebe auf und komm mit euch«, beruhigte ich die Wachen. Erleichtert senkten sie die Waffen ein kleines Stück. Als sie kaum zwei Meter vor mir standen, hatte ich endlich die entsprechende Karte gefunden.

So schnell ich konnte zog ich sie hervor und fing die anderen, die dabei rausflogen, mit der linken Hand auf. Ein kurzer Griff und der Zauber brach sich seinen Weg in die Welt.

Durch die Gasse schoss ein roter Lichtblitz und Flammenzungen leckten bis auf die Straße, als er bei den Wachleuten explodierte. Ein Flammenball – einer meiner letzten Offensivzauber, die ich gegen Menschen einsetzte – war meine Rettung.

Die Stadtwachen lagen schwer verletzt in der Seitenstraße verteilt, kleine Flammen hingen noch an ihren Kleidern. Ich hatte nicht viel Zeit bis stärkere Wachen anrücken würden. So ein Zauber blieb nicht lange unbemerkt.

Ich kniete mich neben sie und suchte eilig ein paar leichte Heilzauber heraus, damit sie nicht starben, bis sie jemand fand.

Einige Minuten später verließ ich die Gasse. Ich schaute mich flüchtig um und wählte einen Weg zum Gildentor, um von dort aus zum Hafen und zu meiner Wohnung zu kommen. Ich brauchte etwa eine halbe Stunde für diesen kurzen Weg; die Straßen waren voller Wachen.

Das war nicht normal. Selbst für das Verletzen der Wachmänner in der Seitengasse würde man nicht so viele Männer nach mir ausschicken … Etwas war anders …

Am Tor sah ich einen Goliath, der das Tor bewachte. Es war eine gut drei Meter hohe Metallmaschine, die auf zwei kräftigen Beinen lief; von Kopf bis Fuß mit schrecklichen Waffen ausgerüstet.

Hier gab es vorerst kein Durchkommen, wenn man zu Fuß war. Also wählte ich einen Flugzauber und hob mich aus einer leeren Seitengasse in die Lüfte. Ich konnte nicht lange fliegen. Die Wachen sahen ja eventuell noch mein Zauberpulver, aber um kurz über die Mauer zu setzen, reichte es aus.

Der Rest des Weges war nicht einfacher, dafür auf mir bekannten Routen und so fand ich schließlich in den Morgenstunden zu meiner Wohnung zurück.

Die verbotene Prophezeiung

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