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Kapitel 1 | Jonathan | Maalan

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Fünf Jahre war es nun her. Wer hätte gedacht, dass sich alles doch noch zum Guten entwickeln würde? Fünf Jahre, in denen ich von einem kleinen Straßenjungen zum Magier geworden war. Fast jedenfalls. Denn ich befand mich nach wie vor in der Ausbildung.

Das letzte Schuljahr war angebrochen und nun durften wir uns Adepten nennen. Endlich gehörten wir nicht mehr zu der anonymen Masse der Schüler, die die Akademie Semester für Semester aufs Neue überschwemmte, in der Hoffnung, ein Magier oder eine Hexe zu werden. Doch von denen schaffte es mit Glück nur jeder Zehnte bis ins letzte Jahr. Die Kriterien waren streng, denn nun ging es erstmals raus aus den Klassenräumen in die freie Welt, um unser Können zu beweisen. Es war das Abschlussjahr, in dem uns die praktischen Prüfungen erwarteten.

So lief ich mit gemischten Gefühlen durch Maalan, auf dem Weg zum ersten Tag des letzten Jahres, das über meine Zukunft entscheiden sollte. Es war früh am Morgen und die Nebel lagen noch in den Straßen der erwachenden Stadt.

Ich suchte mir meinen Weg durch die vielen kleinen, verschlungenen Gassen des Bettlerviertels, in dem ich wohnte. Ich hatte nie Wert auf Reichtum oder Besitz gelegt. Ein sauberes Erscheinungsbild war mir wichtiger; denn lieber war ich arm aber glücklich, statt reich und arrogant. Die meisten Schüler konnten mit ihren latenten magischen Fähigkeiten eine Menge Geld machen und trugen ihre Nase entsprechend hoch. Sie schauten herab auf das normale Volk. Ich hasste sie.

Die Sonne stieg langsam über den Horizont und tauchte den Himmel in ein dunkles Rot. Ich sah auf dem kleinen Marktplatz, der zentral im Viertel lag, die ersten Händler ihre Waren anpreisen. Fisch, frisch am frühen Morgen gefangen, und Obst, welches bereits bessere Tage gesehen hatte. Ein paar boten Gegenstände des alltäglichen Lebens an: Geflochtene Körbe, Werkzeuge, sogar ein Schneider hatte eine Auslage vor seinem Laden aufgebaut.

Alles in allem war der Markt im Bettlerviertel für mich immer wieder schön anzuschauen. Er war nicht so überfüllt und jeder kannte jeden. Es war eine familiäre Atmosphäre. Ich hielt mich nicht lange auf und schlenderte weiter zur Brücke, die zum Festland führte. Mein Viertel war auf einer kleinen Insel in der Flussmündung des Vasyli gelegen und man musste über eine der Brückenanbindungen gehen, um in die anderen Bereiche von Maalan zu gelangen.

Vor den Stadttoren bildete sich eine ellenlange Schlange von Händlern und Leuten, die in die Stadt drängten. Die Tore waren noch nicht geöffnet.

Jede Nacht wurden zur Dämmerung die meisten Zugänge geschlossen, um zwielichtiges Gesindel davon abzuhalten, unerkannt in die wichtigen Teile Maalans zu kommen. Trotzdem war es nicht zu verhindern: Schloss man die Tore zum Bettler- und Fremdenviertel, blieben doch die zu den Vierteln mit besserem Ruf noch lange zugänglich. Es war eine der vielen Repressalien, die wir einfachen Bürger zu ertragen hatten.

Die Tore öffneten sich. Langsam setzten sich Winden in Gang und man konnte die Dampfmaschinen arbeiten hören. Eine kleine Rauchfahne stieg aus dem Schornstein des Torhauses. Kaum hatte sich das Tor weit genug geöffnet, strömten die Wachen hervor und drängten die Menschen zurück. In dicken Rüstungen und mit Feuerlanzen bewaffnet sicherten ein paar Soldaten das Geschehen.

Nach und nach wurde jeder, der in die Stadt wollte, durchsucht und nach seinem Grund befragt, ehe man sie betreten durfte. Es dauerte eine Weile, bis ich an der Reihe war.

»Hey du!«, rief mich eine der Wachen an. »Du bist dran. Träum nicht herum, sonst kannst du dich wieder hinten anstellen!«

Ich wandte mich ihr zu und zog einen alten, schon oft benutzten Passierschein aus meiner Tasche. Die Stadtwache warf nur flüchtig einen Blick darauf und ließ mich mit einer leichten Verbeugung passieren. Es war einer der Vorteile, an einer der Akademien zu studieren. Jeder Magier, jede Hexe und auch jeder der Technomanten hatte solch eine Genehmigung, die Stadt jederzeit zu betreten und zu verlassen. Die Regierung legte viel Wert auf ihr kostbares Gut.

Ich kam auf dem großen Marktplatz vor den Markthallen aus. Hier war einiges los. Die Marktkarren kamen aus allen Richtungen, um die besten Plätze zu ergattern. Geräumige Lastkarren transportierten Waren vom Hafen und den Kontoren, die sie anschließend an die Großhändler lieferten. Ein paar dampfbetriebene Kutschen bahnten sich hupend ihren Weg durch die fluchende Menschenmasse. Reiche Leute, die keine Rücksicht auf den kleinen Bürger nahmen.

Ich überquerte schnell den Platz und versuchte, mich nicht über den Haufen fahren zu lassen. Mein Weg führte mich die Gassen des Marktviertels entlang und immer wieder wich ich den Handelskarren aus. Markttage waren schrecklich hektisch und sorgten nur für eine Verstopfung der Straßen.

Es wurde langsam heller; erste Sonnenstrahlen fielen in die Gassen der Stadt und lösten den Nebel auf. Zu meiner Rechten befand sich nun der weitläufige Übungspark der Akademie. Hier sollten auch Teile unserer Prüfungen stattfinden. Die Mauern waren dick und hoch und mit Eisen ummantelt. In regelmäßigen Abständen gab es kleine Stahltüren, um eine Flucht oder Evakuierung vom Gelände zu ermöglichen. Zu oft gerieten manche Maschinen und Zauber außer Kontrolle und verletzten oder töteten Adepten. Zum Schutz der Stadt wurde das Mauerwerk fast jedes Jahr verstärkt, da die Kräfte, die hier freigesetzt wurden, ernsthaften Schaden anrichten konnten. Der sogenannte Übungspark war von vier mächtigen Wachtürmen umstellt, die schwer bewaffnet Sicherheit darstellen sollten. Doch für wen? Man hörte nie etwas von den Prüfungen, denn alles, was hinter diesen Mauern geschah, war streng geheim. Manchmal wurde beobachtet, wie die Geschütze der Türme während einer Prüfung in den Park feuerten und harte Geschosse und Zauber auslösten. Die Prüflinge bekam man danach nie mehr zu Gesicht. Es hieß immer, ihre eigenen Zaubersprüche und Maschinen hätten sie getötet und mussten von den Türmen gestoppt werden, um die Bevölkerung nicht zu gefährden. War das denn die Wahrheit? Es gab zahlreiche Gerüchte, aber ich wollte nicht viel darauf geben, bald würde ich es eh erfahren, wenn ich dort zu meiner Prüfung im Übungspark stand. Unter den wachsamen Augen der Turmbesatzungen.

Ich kam langsam zum Mittelpunkt der Stadt. Die Straßen waren hier gepflastert und ich konnte mehr Wachen entdecken als zuvor. Ich befand mich im Regierungsviertel. Mein Ziel war nicht weit entfernt.

Der große Platz lag jetzt vor mir. Das Herzstück Maalans. Direkt an der Magierakademie gelegen bildete der gut dreihundert Schritt durchmessende Platz mit seinen Mustern und mittigen Säulen ein eindrucksvolles Bild, welches nur von den imposanten Türmen der Akademie übertrumpft werden konnte. In seinem Zentrum beschäftigten sich noch einige Magier und Hexen mit dem Abbau von Bühnen. In der letzten Nacht hatte hier unser jährliches Fest zum Vollmond stattgefunden. Es erzeugte einen gewissen Rausch, dem man sich nicht entziehen konnte, und auch ich hatte mir den einen oder anderen Tanz mit einer hübschen Hexe genehmigt. Einmal im Jahr waren wir alle eine große Familie. Nun wurde es ernst; ab heute entschied sich, ob ich in dieser Sippe bleiben durfte oder nicht.

Grad in dem Moment, in dem ich fast in düstere Gedanken abdriftete, hörte ich jemanden meinen Namen rufen.

»Hey! Jonathan!« Es war die Stimme von Richard. Ich drehte mich zu ihm um und erblickte auch Cloe an seiner Seite. Sie waren zwei meiner besten Freunde.

»Was macht ihr denn schon so früh hier?«, rief ich und ging ihnen entgegen.

»Nicht nur du willst heute wieder zur Akademie, du Halunke«, entgegnete er mir.

»Wir haben uns heute extra früh auf den Weg gemacht, weil wir dich abfangen wollten. Wie kann man nur so ein Frühaufsteher sein?«, erklärte Cloe. »Komm doch mit uns mit. Wir haben ja noch ne Menge Zeit, bis wir uns in der Akademie melden müssen.«

Eigentlich mochte ich es, als Erster an der Akademie zu sein, aber für meine Freunde hatte ich immer Zeit. »Na gut. Was habt ihr denn vor?«, fragte ich zurück.

»Wir wollten noch etwas über die Märkte schlendern und gucken, ob wir nicht das ein oder andere Brauchbare finden können. Na komm!« Cloe hakte sich mit diesen Worten bei mir und Richard ein und führte uns hinein in den Trubel der Stadt.

Wir verließen den Platz in östliche Richtung und tauchten ein in die schmalen Gassen des Magierviertels. Kaum war man zwischen die alten, zum Teil schiefen Häuser getreten, kam es einem so vor, als hätte man eine andere Welt betreten.

Der Lärm der Stadt war nur noch leise zu erahnen. Mit jedem weiteren Schritt in das älteste Viertel Maalans verließ man die Normalität. Ein feiner Geruch von Zimt stieg mir in die Nase – eines der Zeichen, dass hier Magie am Werk war.

Die Dächer der Häuser schoben sich in der Höhe immer dichter zusammen und ließen die Wege schummerig und düster erscheinen. Kaum hatte man das Gefühl, komplett von den Gassen verschlungen zu werden, da gaben sie uns frei und wir betraten einen kleinen Platz. Rechts und links am Rand gab es eine Reihe von magischen Geschäften, jedes für eine andere Spezialität berühmt.

Auch hier war der Trubel der erwachenden Stadt angekommen und fleißig bauten einige Händler ihre Stände auf, in der Hoffnung, ihre Zaubereien und Zaubertrankzutaten an den Magier oder die Hexe bringen zu können.

Wir gingen über den Platz und beobachteten ein paar von ihnen beim Aufbau. Mit einem Mal wurde mir ganz warm und ich nahm die Gespräche um mich herum nicht mehr richtig wahr. Eine himmlische Melodie war an meine Ohren gedrungen und umfing mich sanft. Ich reckte mich in die Höhe und sah mich um. Cloe und Richard guckten mich nur verständnislos an.

»Was ist denn los? Suchst du jemanden?« Sie war immer sehr aufmerksam und bekam viel mit.

»Kommt mit«, erwiderte ich nur knapp und stürzte über den Platz in eine der Gassen. Die Musik wurde lauter und nun schien es so, als bemerkten Cloe und Richard auch etwas. Ich stoppte abrupt vor einem Fenster. Hier lag die Quelle der Melodie. Ich starrte ungeniert in das Haus und sah zuerst nur verschwommene Bewegungen. Schließlich löste sich langsam eine Silhouette aus schnellen Bewegungen heraus und passte sich der ruhiger werdenden Musik an. Ein Mädchen mit honigfarbenem Haar tanzte und warf sich erneut in Posen und Figuren, die ich nie zuvor gesehen hatte.

»Das ist doch Lymle«, flüsterte Richard.

»Wer ist das?«, fragte ich nach.

»Sie ist neu hergezogen und wohnt hier im Magierviertel. Wenn du dich nicht immer so herumtreiben würdest, wüsstest du auch mehr über unser Viertel Bescheid«, ermahnte sie mich mit ihrem berühmten Zeigefinger.

»Sie tanzt so wunderbar … fast wie ein Engel«, seufzte Richard. Cloe gab ihm einen Klaps auf den Kopf.

»Red nicht dauernd so einen Blödsinn. Woher willst du wissen, wie Engel tanzen?«, fragte sie gespielt erbost. »Du weißt doch genau … Mist! Hört ihr das? Die Glocken der Akademie! Wir kommen noch zu spät.« Mit diesen Worten riss Cloe uns beide mit sich.

Erst jetzt bemerkte auch ich die Glockenschläge. Wie lange hatten wir bei ihr am Fenster gestanden?

Mit Mühe schafften wir es noch pünktlich zum Unterricht. Cloe hatte einen anderen Stundenplan als Richard und ich, deswegen sahen wir sie erst in der Pause wieder.

»Und wie verliefen eure ersten Stunden?«, wollte sie wissen, während wir uns auf den Weg zum gemeinsamen Kurs machten.

»Fast wie jedes Mal am Anfang eines neuen Schuljahres. Die Lehrer halten noch immer Vorträge, wie wichtig doch unsere Ausbildung sei und dass wir grade jetzt alles geben müssten. Laaaangweilig.« Richard gähnte übertrieben dazu und wir lachten.

Im Klassenzimmer nahmen wir nebeneinander Platz und warteten auf den Kursleiter. Mit etwas Verspätung kam schließlich Professor Blue. Er trug moderne Hemden in knalligen Farben zu blauen Jeans, war Mitte dreißig und Lehrer für Zauberpraxis. Das Fach war für uns neu, weil es nur im Abschlussjahr gelehrt wurde. Er übernahm auch die Leitung unserer Klasse.

Professor Blue stellte sich vor das Pult und blickte uns nacheinander an.

»Willkommen in eurem letzten Schuljahr. Ich denke, die anderen Lehrer werden euch zu Genüge mit ihren Vorträgen genervt haben, deswegen lasse ich es gleich sein.« In der Klasse gab es eine kurze Welle der gemurmelten Zustimmung und viele Gesichter erhellten sich freudig. Professor Blue fuhr fort: »Als euer Kurs- und Klassenleiter ist es heute aber meine Aufgabe, euch eine neue Schülerin vorzustellen. Komm doch bitte herein, Lymle.«

Die Tür zum Klassenraum öffnete sich einen Spalt. Schnell huschte ein Mädchen zum Professor und stellte sich leicht hinter ihn.

»Na, nicht so schüchtern. Sag ein paar Worte zur Klasse.« Der Professor schob sie sanft vor sich und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Mit einem Mal wirkte sie viel selbstbewusster und nun erkannte ich sie auch: Es war das honigblonde Mädchen vom Morgen!

»Hallo! Ich heiße Lymle Lumina und bin erst vor kurzem hierher gezogen. Ich wohne bei Miss Scarlett im Magierviertel. Kommt mich doch mal dort besuchen und wenn ihr schon mal da seid, lasst euch gleich von Miss Scarlett eure Zukunft vorhersagen. Mmh … was jetzt? Ich bin noch nicht so bewandert in der Zauberei wie ihr, aber ich hoffe, dass ich ganz viel von euch lernen kann, und freue mich auf die kommenden Unterrichtsstunden.«

Als sie fertig war, trafen sich kurz unsere Blicke und ich war mir sicher, dass sie einen Moment in ihrer Bewegung stockte, während sie zu ihrem neuen Platz geschickt wurde.

Die verbotene Prophezeiung

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