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Kapitel 11 | Jonathan | Heilende Magie

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Die Nacht war viel zu kurz. Ich hatte nur wenige Stunden Schlaf bekommen, den Rest hatte ich wach gelegen und gegrübelt. Falls ich derjenige von uns beiden war, der im Duell seine Magie beweisen sollte, wie konnte ich in einem direkten Zweikampf meine Zauber benutzen?

Würde man mich nicht sofort entdecken, sobald ich die Karten benutzte? Das Geheimnis musste gewahrt bleiben. Darüber hatte ich mir die ganze Zeit Gedanken gemacht. Aber bisher war ich zu keiner Lösung gekommen. Ich hatte zwar Unmengen an kleinen Zauberkarten vorbereitet, doch wie sollte ich alle täuschen, wenn es in einem Zweikampf dazu kam, dass mich der gesamte Kurs beobachtete? Es war viel zu riskant. Eine andere Möglichkeit musste her.

Das Frühstück stand von den Spinnenmarionetten fertig serviert auf dem Tisch, als ich die Küche betrat. Außer mir war noch niemand hier, aber ich hörte bereits leise Schritte in der Etage über mir. Wahrscheinlich kamen Lymle und Miss Scarlett auch bald runter. Ich setzte mich und begann zu essen.

Die Schritte wurden langsam lauter und die erste würde jeden Moment die Treppe herunter kommen. Ich sah, wie die Spinnenmarionetten sich vom Küchentisch zurückzogen, allerdings hatten sie nur zwei Sitzplätze eingedeckt. Mit Sicherheit deckten sie später noch einmal für Miss Scarlett. Lymle betrat die Küche, fertig angezogen und mit der Schultasche in der Hand.

»Morgen«, sagte sie mit einer sehr leisen Stimme und setzte sich auf einen Platz, der nicht gedeckt war. »Gut, dass du nicht mit dem Frühstück gewartet hast. Miss Scarlett braucht morgens immer etwas länger.« Daraufhin lächelte sie friedlich einer der Spinnenmarionetten zu, als die beim Aufräumen des sauberen Geschirrs gegen eine andere taumelte und fast eine Tasse zerbrach.

»Wie lange hast du gestern noch gelernt? Ich habe mich die halbe Nacht vorbereitet«, sagte ich mit müdem Blick.

»Gelernt? Du meinst, weil Miss Scarlett von einem Testduell gesprochen hat?« Sie seufzte kurz und schaute in Gedanken vertieft auf die Milch, die auf dem Tisch stand. »Ich kann lernen, soviel ich will, und beherrsche die Zaubersprüche ja doch nicht. Wenn ich heute dieses Duell bestehen muss, werde ich wohl verlieren.«

»Ach, ich denke, du bist eine klasse Hexe, bei dem, was ich bisher gesehen habe. Ich dagegen habe so meine Probleme mit den Zaubern; das hast du ja sicher gemerkt. Ich weiß einfach nicht, wie ich vernünftig kämpfen soll …« Ich stand vom Tisch auf und nahm meine Schultasche, die ich neben meinem Stuhl platziert hatte. »Wollen wir das auf dem Weg besprechen? Du solltest dir was zu essen einpacken, sonst bekommst du noch Hunger, weil du nichts gegessen hast.«

»Danke. Aber ich nehme mir nie etwas mit«, antwortete sie und schob den Hocker an. »Und es ist eine nette Abwechslung, morgens nicht alleine am Tisch zu sitzen und zur Akademie zu laufen«, lächelte sie, winkte einmal kurz den Spinnenmarionetten zu und lief voraus.

Ich folgte Lymle hinaus auf die Straße. Noch war wenig los, ein paar Leute waren grade erst aus dem Haus gekommen. Wir gingen einige Meter durch die Gassen des Magierviertels. Abermals nahm ich diesen besonderen Geruch von Zimt wahr … Ich war in letzter Zeit so oft hier gewesen, doch heute war die Luft frisch und die Magie lag spürbar darin. An diesem Ort fühlte ich mich sonderbar geborgen. Ich seufzte leicht. Es war schön.

»Was ist los? Geht es dir nicht gut?«

»Ich fühle mich irgendwie total gut ... trotz der hektischen Tage und dem heutigen Duell in der Schule. Es ist, als würde mich etwas in meinem Innersten beruhigen. Riechst du das nicht? Spürst du nicht die Magie in der Luft? Es ist, als hätte ich nach langer Zeit nach Hause gefunden. Und deine Anwesenheit ist auch sehr angenehm. Ich glaube, ich mag dich.« Ich lächelte Lymle sanft an, zwinkerte kurz darauf und wurde einen Schritt schneller. »Na komm schon, wir haben noch was zu erledigen.«

»H-Hey warte! Nicht so schnell!«

Lymle konnte nicht mithalten. Sie war wohl zu müde, sodass ich einfach ihre Hand in meine nahm und sie leicht hinter mir herzog. Mit der anderen ergriff ich ihre Tasche und trug sie.

»So, nur nicht schlappmachen. Ich dachte, du wärst so sportlich.« Ich grinste sie frech an.

»Fordere mich nicht heraus«, erwiderte sie mit einem Lachen und zog gleich.

Wir liefen Hand in Hand fast auf einer Höhe bis zur Akademie und kamen an ein paar staunenden Schülern vorbei. Mit etwa einer Armlänge Vorsprung gewann sie unseren kleinen Wettkampf. Ich hockte mich an einen Brunnen und warf mir etwas Wasser ins Gesicht.

»Wo hast du heute zuerst Unterricht? Ich muss jetzt schon zu Prof Mikail. Er hält eine Vorlesung über die Anwendung von Heilzaubern. Das will ich nicht verpassen. Und wer weiß, eventuell kann das ja beim Duell hilfreich sein.«

»Heilung, mmh? Das könnte wirklich sehr nützlich sein«, sagte sie in einem merkwürdig nachdenklichen Ton. Sie schien dabei, an etwas Bestimmtes zu denken. »Meinst du, wenn man in dieser Zauberart herausragend ist, wäre man in der Lage, auch neue Heilzauber zu entwickeln?«

Als sie diese Frage ausgesprochen hatte, sah sie mich an und schien erst da verstanden zu haben, was sie gefragt hatte. Sie fuchtelte wild mit den Armen in der Gegend herum und meinte: »Ich muss zu Verstärkungslehre bei Professor Biegle. Bis später, okay?«

Daraufhin rannte sie davon.

Professor Mikail war ein Mittfünfziger mit schon lange ergrautem Haar. Er trug es zu einem Zopf nach hinten gebunden. So störten sie ihn nicht, wenn er sich über seine Patienten beugte. Heute kam ein Freiwilliger, der von uns Adepten kostenlos behandelt wurde, dafür, dass er sich uns zum Üben zur Verfügung stellte.

»Wie wir hier sehen können, hat sich der Patient, Mr. Lendree, den Oberschenkelknochen des linken Beines gebrochen. Die Haut ist unverletzt, aber die Knochenenden haben sich verschoben.« Professor Mikail blickte in die Runde aus gut einem Dutzend Adepten. »Was ist der erste Behandlungsschritt? Mr. Broom?«

Er schaute mit erwartungsvollen Augen zu Richard herüber. Dieser war jedoch grade in ein leises Gespräch mit Cloe verwickelt und bekam nichts von der Frage mit.

»Mr. Broom. Wenn Sie so freundlich wären, Ihre Aufmerksamkeit auf diesen sich vor Schmerzen krümmenden Patienten zu richten.« Die letzten Worte schrie er durch den Saal. Alle Adepten zuckten zusammen und auch Richard hörte jetzt zu.

»Jaaa … öhh … Ich würde …« Er stockte. »Wie war die Frage, Professor?«

»Ihr Patient, Mr. Broom, leidet starke Schmerzen. Was gilt es zuerst zu tun?«, wiederholte sich Professor Mikail.

»Den Schmerz stillen?«, fragte Richard mehr, als dass er sich sicher war.

»Aha … Dann erklären Sie mir bitte, wie er Ihnen danach noch detailliert schildern soll, wo genau er verletzt ist, wenn er keinen Schmerz verspürt«, forderte er eine Antwort.

Richard überlegte zu lange, sodass der Professor erneut das Wort ergriff: »Eine unserer Grundregeln beim Vorgang der Heilung: Immer zuerst eine Diagnose erstellen. Egal, ob ein leicht erkennbarer Bruch, Bauchschmerzen oder Husten. Wenn der Patient Ihnen nicht mehr mitteilen kann, wo der Schuh drückt, wie wollen sie erkennen, was genau sein Problem ist?« Er richtete sich an alle und sein belehrender Ton schwächte etwas ab, wurde fast väterlich. Dabei schob er seine Drahtbrille konzentriert zurecht. »Wir müssen ihm die Schmerzen nehmen, ja. Aber zuerst gilt es zu ermitteln, was er hat und wo. Danach werden die Leiden genommen.«

Mit einem Handzeichen machte er deutlich, dass wir einen Kreis um Mr. Lendree bilden sollten. Ich stellte mich direkt zu seinen Füßen hin. Der Professor selbst stand fast neben mir und legte das gebrochene Bein frei.

»In diesem Fall ist eine Schmerzlinderung bereits vorgenommen worden. Wir können Mr. Lendree ja nicht so lange warten lassen, bis ihr ihm helfen könnt. Die Diagnose ist, wie vorhin angesprochen, ein Beinbruch.« Er richtete sich an einen Adepten aus der Runde, den ich noch nicht kannte. »Welchen Zauberspruch nehmen wir zum Schmerzen stillen? Sie hier vorne, bitte.«

Souverän gab er seine Antwort: »Schmerzensbann, Zauber des Attributs Heilung, Komplexität: Stufe 1.«

»Sehr richtig. Wer von Ihnen kann diesen Spruch bereits anwenden? Ich bitte um Handzeichen.«

Außer der Hand des Befragten hob sich keine.

»Aha … Da weiß ich doch schon unser Thema für die nächste Vorlesung. Aber jetzt wollen wir uns nach erfolgreicher Diagnose dem Patienten zuwenden, um ihm zu helfen.« Mit einer Schere entfernte er die letzten Reste der Hose. »Ich gehe davon aus, dass Sie alle bereits mit der Anatomie des Menschen vertraut sind?«

Einstimmiges Nicken folgte. Auch der Professor schien zufrieden zu nicken.

»Ich werde jetzt an Mr. Lendree vorführen, wie wir einen Knochen richten. Es geht dabei weniger um die Zauberei, als darum, ohne Zauber viel zu bewirken. Ich bitte um Aufmerksamkeit.«

Professor Mikail gab jeweils zwei Adepten kurze Anweisungen. Diese nahmen danach den unverletzten Fuß und die Arme des Patienten in ihre Hände.

»Ich werde jetzt mit Hilfe meiner Assistenten das Bein des Mannes etwas strecken, um den Knochen zu richten. Damit sollte gewährleistet sein, dass er nicht krumm zusammenheilt.«

Noch einmal gab er stumme Signale und die Gehilfen zogen langsam aber stetig an den beiden Enden des Körpers. Mr. Lendree guckte ungerührt weiter an die Decke. Zumindest hatte er keine Schmerzen, ansonsten würde er jetzt sicher das Bewusstsein verlieren. Doch stattdessen beugten wir uns alle neugierig über sein gebrochenes Bein. Der Professor zog ohne große Anstrengungen die letzten paar Zentimeter des Bruches von Hand auseinander. Mit einem Abtasten machte er deutlich, wie wir vorzugehen hatten. Nachdem das Bein gestreckt war, richtete der Professor unsere Aufmerksamkeit auf das Einfügen des Knochens.

»Wir ertasten durch die Haut die Stellung der Knochen und versuchen, diese mit Drücken und Ziehen ineinander gleiten zu lassen. Dabei ist darauf zu achten, dass man besonders vorsichtig vorgeht. An dieser Stelle können Sie eine Menge gesundes Gewebe verletzten.« Mit diesen Worten führte der Professor die Knochenteile zusammen. »Wir erkennen jetzt, dass dieser Bruch sehr gut zusammenpasst. Was ist der letzte Schritt? Frage an alle! Ja, Sie dahinten.«

Wieder ein neuer Adept. »Wir benötigen den Knochenleim-Zauber!«, stieß dieser aufgeregt hervor.

»Ja, richtig. Doch für diesen schweren Zauberspruch brauchen Sie Übung, die ich Ihnen heute vermitteln will. Dazu holen Sie bitte Ihre Schreibblöcke heraus. Wir gehen die ersten Schritte gemeinsam durch.«

Der Unterricht zog sich noch den Rest des Vormittags und außer sich auf Knochenbrüche festzulegen, lernten wir etwas über grundlegende Schmerzensbannzauber.

Ich war zwar nicht in der Lage, den neuen Zauberspruch so wie die anderen zu erlernen, hatte aber ein paar Ideen, wie ich den Knochenleim-Zauber in meinen Zauberzeichen darstellen konnte. Doch daraufhin zu testen, ob er wirkte, würde sich als ziemlich schwierig erweisen. Denn ohne gebrochene Knochen konnte ich den Zauber nicht vervollständigen. Da lag noch einiges an Arbeit vor mir.

Die Pause nach dem Unterricht war nur kurz und der Kurs ging geschlossen zum Lehrsaal von Professor Blue. Viele der Adepten redeten über den Knochenbruch des Patienten und wie Professor Mikail ihn gerichtet hatte. Es war etwas Neues für uns, zu sehen, wie wir Menschen mit unseren Zauberkräften direkt helfen konnten.

Im Saal wartete Professor Blue bereits auf uns. Heute trug er ein auffälliges rotes Hemd und eine schwarze Krawatte dazu. Neben ihm auf dem Tisch stand eine Urne. Lässig lehnte er an ihm und sah uns zu, wie wir uns auf unseren Plätzen niederließen.

»Schön, dass ihr alle da seid«, eröffnete er den Unterricht. »Wie angekündigt, werden wir heute eine kleine Kampfübung machen.«

Ein Raunen ging durch die Reihen. Viele der Adepten freuten sich bereits auf einen ersten Trainingskampf, ein paar wenige waren allerdings nicht begeistert.

»Der Kampf wird in mehreren Runden ausgetragen«, erklärte er. »Es treten zwei Kontrahenten gegeneinander an. Dabei wird ausgelost, wer von euch uns vertreten wird und gegen einen Mitschüler aus einem anderen Kurs antritt. Ich gebe jedem ein Element vor, mit dem gekämpft wird. Es werden nur leistungsschwache Zauber verwendet. Ihr sollt schließlich niemanden ernsthaft verletzen, verstanden?«

Sie nickten fast einstimmig und Professor Blue ging zur Urne, um die ersten Auslosungen vorzunehmen.

Die verbotene Prophezeiung

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