Читать книгу Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper - Страница 16

Rodric
7

Оглавление

Es war eine seltsame Sache mit dem Töten, stellte Rodric fest, als er, die Beine lässig ausgestreckt, auf den Stufen zum Thron saß, einen fast geleerten Weinpokal in seiner Hand.

Der erste Mann, der je den Tod durch Rodrics Hand gefunden hatte, war einer von Lord Vaharéls Schergen gewesen; ein unbedeutender Alb, der die anderen Handlanger an Grausamkeit weder übertroffen noch unterboten hatte. Es war ein halbes Versehen gewesen, eine Situation, die Rodric selbst vielleicht als Fehler bezeichnet hätte, wenn er damals irgendeinen Funken von Reue in sich gespürt hätte. Doch dieser Mann, an dessen Namen er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, hatte ihm nichts bedeutet. Er sah sein Gesicht nicht, wenn er nachts die Augen schloss, und ihn plagten keine Schuldgefühle.

An die erste Frau, die er getötet hatte, erinnerte er sich besser. Rodric wusste nicht, ob es daran lag, dass sie weiblich – oder dass sie eine Königin gewesen war. Es war schwer gewesen, im ersten Moment, aber dann doch so erschreckend einfach. Rodric konnte nicht mehr sagen, was ihn so schrecklich wütend gemacht hatte – war es die Art gewesen, mit der sie ihn ansah? War es die Selbstverständlichkeit gewesen, mit der sie seine Hand ergriff, inmitten der Gäste von Königin Lamia, um sie zu ihrem eigenen Gesicht zu führen? Er wusste es nicht. Dafür wusste er noch genau, dass die schwarze Mahr ungehindert über seine Fingerspitzen geflossen war. Sie ließ nicht viel übrig von der Wange, an die sie seine Hand gelegt hatte.

Man hatte ihn danach natürlich in Gewahrsam genommen.

Einen Königinnenmörder erwartete nur ein Schicksal – nur der Tod, ein langsamer, konnte eine angemessene Strafe für das Widernatürlichste aller Verbrechen unter Alben sein. Aber so war es nicht gekommen. Stattdessen hatte Königin Lamia ihn auspeitschen lassen, nicht schlimmer als sonst auch, und ihn wenige Tage später zu sich in den Thronsaal gerufen.

Bei allen verschwimmenden und vagen Erinnerungen war diese gestochen scharf und klar, wenn er sich darauf besann: Eine ihrer Rivalinnen, gefesselt, geknebelt, und der Dolch, den Lamia ihm reichte.

Seitdem hatte der Thronsaal im Kristallpalast viele Hinrichtungen gesehen.

Rodric war an den wenigsten selbst beteiligt gewesen – der Jäger übernahm diese Aufgabe meistens hingebungsvoll.

Aber während Rodric im Dunkel der angebrochenen Nacht beobachtete, wie die Sklaven Holz stapelten, gab es nichts, was er sich hätte sagen können, um seine Beteiligung an dieser Exekution herunterzuspielen.

Bis auf die arbeitenden Diener lag der Kristallpalast noch in einer trügerischen Stille – jedenfalls in diesem Teil des Palastes. In den Gesellschaftsräumen hatte sich der gesamte Adel, der am wichtigsten Hof Shaylas residierte, vor Stunden eingefunden, um zusammen zu speisen und den Vergnügungen zu frönen. Heute Nacht würde Königin Lamia einen neuen Gespielen in ihr Schlafzimmer einladen, einen blonden Lichtalbenjüngling von den Frühlingsinseln, der ihr begeistert wie ein Welpe gefolgt war. Rodric erinnerte sich nicht an seinen Namen, obwohl er sich ihm mit der Arroganz eines jungen Lords vorgestellt hatte.

Rodric warf einen Blick auf den beinahe vollständig errichteten Scheiterhaufen, auf den durch das geöffnete Kristalldach der Halle die Himmelslichter schon die Vorahnung von Flammen zeichneten. In wenigen Stunden würden von der Begeisterung und der Arroganz des Lichtalben nicht mehr viel geblieben sein. Es war sein Vorteil, dass er der zweite oder dritte oder sechste Sohn irgendeiner mittelmäßig bedeutsamen Familie war und Königin Lamia sich deswegen ihm gegenüber mehr zurückhalten würde als gegenüber den bemitleidenswerten Burschen, die nicht von einem Namen oder einem Titel geschützt wurden.

Rodric griff nach dem Kelch, blickte kurz auf seinen Grund und leerte ihn dann mit einem Zug. Er erhob sich und reichte ihn an einen der Sklaven weiter, die begonnen hatten, eilig mehr Kerzen anzuzünden.

Bedächtig trat Rodric zum Scheiterhaufen, die Hand auf eins der obersten Holzscheite legend.

Die ersten Höflinge strömten in kleinen tuschelnden Trauben herein, suchten sich ihre Plätze, während Rodric sich an eine der Säulen lehnte, die Arme verschränkt, ein Bein vor das andere gestellt. Er spürte, dass sie ihm Platz ließen, heute sogar mehr als sonst. Unter der Neugierde und dem Übelkeit erregenden Geruch von Lust an dem, was hier zu sehen sein würde, witterten seine Raubtiersinne Angst. Rodric atmete tief ein.

Vielleicht war das der einzige Trost, den er bekommen würde: Dass er auch ihnen Angst machte, ihnen: der verdorbenen Oberschicht von Shayla. Der stets lächelnde Lord Cranner war in ein offensichtlich angeregtes Gespräch mit dem Lichtalben Lord Mershalan vertieft. Es konnte nie etwas Gutes bedeuten, wenn Königin Lamias Truchsess – ein Emporkömmling mit zweifelhafter Vergangenheit – die Unterhaltung mit dem Besitzer von Shaylas erfolgreichsten Bordellen suchte.

Der Jäger betrat den Saal. Seine Augen schienen jeden Winkel des Raumes abzutasten, bevor Königin Lamia von ihrem neuen zukünftigen Liebhaber hineingeführt wurde. Rodric spürte, wie die Ahnung eines spöttischen Lächelns auf seine Lippen wanderte. Da stolzierte der Narr mit geschwellter Brust, als hätte Lamia ihm die unbesetzte Position des Gefährten angeboten. Der adlige Jüngling bedachte ihn mit einem herablassenden Blick, den Rodric nur mit einem Heben der Augenbrauen quittierte.

Dummer, dummer Junge.

Die Königin glitt an ihm vorbei, ohne bei ihm innezuhalten, und ließ sich die Stufen ihres Throns hinaufgeleiten. Als sie vor dem außergewöhnlichen Stuhl stand und der junge Lichtalb sich zu seinen Freunden, die ihn alle unglaublich beneiden mussten, gesellte, senkte sich Stille über den Saal und über Rodrics Geist.

Ihr Druide, Lord Penrose, übernahm wie üblich die Aufgabe, die Anklageschrift zu verlesen. Rodric hörte nicht zu. Er wusste, wie sie lauten würde.

Verrat.

Alles war Verrat, konnte nur Verrat sein. Ein anmaßender Blick, ein unbedachtes Wort. Die Verwandtschaft zu einem Verräter. Und hier ging es um die angebliche Tochter einer der letzten wehrhaften Königinnen in Shayla.

Andere hatten es versucht. Viele. Und doch hatte Königin Lamia sie alle bezwungen, auf die eine oder andere Art. Wenn eine freundliche Bestechung nichts half und eine weniger freundliche Drohung auch nicht, dann zögerte sie selten lange, bevor sie ihn schickte, den Blutritter, zusammen mit genügend Kriegern, die die Höfe auseinandernahmen. Sie hatte das nicht nur bei den größten der elf Höfe gemacht, sondern auch bei den kleineren, in Dörfern, Bezirken, winzigen Provinzen. Sie ließ ihn von der Kette wie einen tollwütigen Hund, und er mordete sich durch ganze Dynastien.

Nicht alle hatte er getötet. Manche brauchte sie lebend, aber unfähig, jemals wieder die Hand gegen sie zu erheben. Und er hatte getan, was er am besten konnte.

Natürlich hatte er sich nicht einfach so ihrem Befehl gebeugt – niemals, niemals einfach so. Er hatte die dreihundert ersten Jahre seines Lebens damit verbracht, ihr bei jeder Gelegenheit Widerstand zu leisten. Und einmal – einmal war er tatsächlich entkommen, für mehr als ein oder zwei Tage.

Das, was ihn dazu bewegte, aufzugeben, wog in seiner Hand fast nichts und in seinem Herzen fast alles.

Eine dunkelgraue Feder.

Es ist gut, dass du nicht hier bist, Bruder, dachte Rodric, als er den Blick der Königin auf sich spürte. Mit einer Handbewegung signalisierte sie, dass sie beginnen sollten. Der Jäger suchte als Einziger Rodrics Nähe.

Ein weiteres, ein letztes Mal öffneten sich die Türen.

Rodric zwang sich, hinzusehen. Nicht hinzusehen konnte Konsequenzen haben, die er nicht tragen wollte. Zwei Krieger führten das kleine Mädchen herein, das er aus den Armen seiner Mutter gerissen hatte.

Sie blickte auf ihre Füße, während sie ging. Er wusste nicht, wer sie umgezogen hatte, aber das Kleid aus Leinen, das sie trug, war zu lang, sodass sie bei jedem Schritt Gefahr lief, zu stolpern.

Die Krieger brachten sie nach vorn, in die Mitte des Saals. Rodric glaubte, selbst in ihren Bewegungen ein Zögern zu fühlen, das sie sonst selten zeigten.

Eine dunkelgraue Feder, erinnerte er sich. Der einzige Freund, den er je gehabt hatte. Er musste daran denken. Daran und an die Strafe, die ihn trotz seiner Kapitulation damals ereilt hatte.

Königin Lamia ließ sich ihren Kelch reichen und leerte ihn mit tiefen Zügen. Sogleich wurde ihr noch einmal nachgeschenkt.

»Für mich sieht das Kind sehr müde aus. Es sollte sich … hinlegen.«

Heiterkeit in ihrer Stimme.

Ein Lächeln auf den blaubeerroten Lippen.

Die Krieger hoben das Kind auf den Scheiterhaufen, mithilfe der Mahr zogen sie Seile um ihren Körper. Es gab keine erkennbare Gegenwehr des kleinen Mädchens.

Rodric warf einen kurzen Blick zur Königin. Eine kleine, steile Falte bildete sich zwischen ihren makellosen Augenbrauen. Die Krieger traten zurück und machten ihm Platz.

Rodric fühlte seine Rún kribbeln, als er die Mahr anzapfte, und in seiner linken Handfläche die Zungen von albischem Feuer auftauchten. Zielstrebig trat er auf den Scheiterhaufen zu, die Hand ausstreckend, um die Flammen überspringen zu lassen. Das Kind sah aus, als würde es schlafen.

»Halt!«

Rodric zog seine Hand zurück, so schnell er konnte, und ließ die Flamme versiegen. Für einen Moment gab er sich dem Befehl ganz hin, bereute es selbst, dass er sich sofort zur Königin umdrehte, auf ein Knie herabsinkend. Immer noch, dachte er. Immer noch gab es diese Hoffnung, dass sie ein einziges Mal Gnade zeigen würde.

Die Königin legte den Kopf schräg.

»Du wirst es falsch machen«, sagte sie dann, ohne aufzuhören zu lächeln. »Ich kenne dich, Rodric. Ich kenne die Kraft deiner Flammen. Wenn ich es dich machen lasse, ist es vorbei, bevor es richtig angefangen hat.«

Rodric hörte das Blut wild in seinen Ohren rauschen.

»Vetis wird es machen«, entschied sie und hieß ihn, aufzustehen. Rodric tat, wie ihm befohlen worden war.

»Komm zu mir, Rodric. Sehen wir es gemeinsam an«, sagte Lamia triumphierend, ihn mit zwei Fingern zu sich winkend. Der Jäger präsentierte aufwändig eine Fackel, die er an seiner Mahr entzündete, und trat damit zu dem Scheiterhaufen. Königin Lamia streckte ihre Hand nach Rodric aus. Er ergriff sie.

Der Jäger steckte den Holzhaufen mit der Fackel in Brand, als Rodric seine Lippen auf den Handrücken der Königin legte.

Die Berührung hatte sich noch nicht gelöst, als ein lauter Knall dafür sorgte, dass ein verstörtes Raunen durch die Anwesenden ging. Rodric zuckte nicht zusammen, als der Scheiterhaufen in seinem Rücken auf einen einzigen, wilden, mächtigen Schlag in Flammen aufging. Er richtete sich auf, betrachtete die Feuersäule, die sich mehrere Meter hoch in die Luft bohrte, und die in Sekundenbruchteilen das gesamte Schafott verbrannt hatte.

Eine Sekunde später erlosch das Feuer, als wäre es nie da gewesen, und hinterließ nichts außer rieselnder Asche, die den kalten Glanz des Thronsaals bedeckte.

Lamia entriss ihm ihre Hand und schloss sie fest um die Armlehne ihres Throns. Rodric wischte sich ein paar Ascheflocken von seinem schwarzen Hemd.

Lamia schien sprachlos zu sein, genau wie die übrigen Anwesenden. Es war der Jäger, der sich näher zu dem Aschehaufen wagte. Er zog sein Schwert und stocherte damit in den winzigen Trümmern.

»Ein Zauber, Herrin«, sagte er. »Das Holz muss manipuliert worden sein.«

Lamia erhob sich.

»Du!«, flüsterte sie. »Du bist das gewesen.«

Rodric lächelte sanft. »Natürlich bin ich es gewesen, Liebes.«

Er kam kaum dazu, seine Worte zu vervollständigen, da war der Jäger bereits bei ihm. Er holte aus und schlug mit dem Knauf des Schwertes zu. Rodric spürte etwas in seinem Kiefer splittern und seine Lippe platzen.

Dennoch lachte er heiser, als er mit seinem Daumen eine Spur des Blutes von seiner Lippe wischte.

»Sei nicht zornig, Liebes«, sagte er spöttisch, während die Wachen ihn packten und ihm die Füße unter den Beinen wegtraten.

Lamia näherte sich ihm, bis sie ihm so nahe war, dass er sich in ihren hellen Augen spiegeln konnte. »Ich bin nicht zornig, Rodric«, sagte sie, als ihre Hand sich tief in sein nachtschwarzes Haar grub. »Ich bin dir dankbar, dass du mich daran erinnert hast, dass du dich von Zeit zu Zeit nach Schmerzen sehnst.« Ihre Hand wanderte zu ihrem Hals, und ihre Finger fanden die lange Kette mit feinen Silbergliedern, die sie unter ihrem Kleid trug.

Rodric atmete ein, versuchte, sich auf das gefasst zu machen, was sie tun würde, doch nichts konnte ihn auf den Schmerz vorbereiten, der beinahe sein Trommelfell zum Platzen brachte, als Königin Lamia die Scherbe benutzte.

Das Letzte, was er im Spiegel ihrer kalten Augen bewusst sah, war er selbst, wie er schrie, wie er sich gegen die Wachen auflehnte.

Das Zeichen der Erzkönigin

Подняться наверх