Читать книгу Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper - Страница 23

Tyran
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Gerade als Tyran dachte, das Wetter könnte nicht schlechter werden, verwandelte sich der Niederschlag, der sie die letzten Tage heimgesucht hatte, in Schneeregen. Tyran war nicht kälteempfindlich, was er seiner Volkszugehörigkeit zu verdanken hatte. Leicht zu frieren würde den Gebrauch von Flügeln nahezu unmöglich machen. Und dennoch: Nachdem es zwei Tage nicht aufhörte, in dicken, nassen Flocken zu schneien, begann auch Tyran, das Wetter als unangenehm zu empfinden. Dabei war es nicht sonderlich hilfreich, dass die Baracke sich als undicht herausgestellt hatte und die Feuchtigkeit trotz der Großzügigkeit einiger Wärter, ab und zu einen Wärme- und Trockenheitszauber zu weben, mit großer Geschwindigkeit eindrang.

Mit dem Fuß schob Tyran ein Holzscheit nach vorn, um dem Feuer mehr Nahrung zu geben. Obwohl er nicht allein dort saß, konnte er nicht umhin, zu bemerken, mit welcher Vorsicht die anderen Sklaven ihn behandelten. Selbst Männer mit Rúnir, die nicht zu den schwächsten Farben zählten, waren wortkarg, wenn auch nicht unhöflich.

Die meisten von ihnen trugen keine Ketten – manche hatten einzelne Reifen aus Mahrillium an ihren Fußgelenken, um den Ausbruch von Magie zu mindern. Aber seit dem Zwischenfall in Königin Elnestas Schlafgemach hatte Waylan darauf bestanden, ihm das verdammt noch mal am lautesten rasselnde Paar Fußketten zu verpassen, das er je getragen hatte. Ihr Gewicht störte ihn kaum – das Geräusch hingegen widersprach jeglichem Instinkt für einen Krieger, sich möglichst lautlos fortzubewegen.

Verdammter Dreckskerl.

Tyran legte seine Flügel dicht an seinen Körper an, um die Restwärme, die er in sich hatte, gut zu bewahren, und suchte auf dem liegenden Baumstamm eine bequemere Position.

Er widerstand dem Drang, sich aufzurichten, als er Asbjorn und Ragnal sich nähern sah. Beide trugen neues Holz auf den Armen, doch ein kurzer Blick verriet Tyran, dass es völlig durchnässt war und das Feuer Schwierigkeiten haben würde, es zu entzünden. Auch seine Cousins hatten ihn die vergangenen Tage gemieden. Ihre einzige Kommunikation hatte aus einem kurzen Blickwechsel bestanden, als man ihn zurück in seine Baracke geschleift hatte.

Asbjorn setzte seinen Fuß auf den Baumstamm und stützte sich auf das angewinkelte Knie, während Ragnal sich verstohlen umsah.

Es war klug gewesen, ihn zu meiden. Tyran war sich ziemlich sicher, dass niemand ihre Verbindung verstanden hatte.

»Deine Wunden heilen gut«, sagte Asbjorn. »Sie hat dich ganz schön übel zugerichtet.«

»Anscheinend beherrschst du es nicht nur, Herolde zur Weißglut zu treiben«, bemerkte Ragnal grinsend. Tyran ließ sich von dem Lächeln anstecken. Es brauchte doch meist nur einen Funken, um eine Flamme zu entzünden – und das Lächeln war genau solch ein Funke.

»Es war mehr, als ich von dem Flittchen erwartet habe«, gab er zu. »Aber es war weniger schlimm als das, was sie im Kristallpalast mit einem machen.«

Seine beiden Cousins kamen ein wenig näher und sie rückten beim Feuer enger zusammen.

Ragnal zog aus einer Falte seiner Tunika einen Trinkbeutel hervor und hielt ihn Tyran wortlos hin. Er zog den Stöpsel heraus und roch an der Flüssigkeit. Bier. Einen Moment lang zögerte er, aber es gab in seiner Erinnerung einen anderen Geschmack, den er nicht loswurde, ganz gleich, wie oft er sich mit Wasser den Mund ausgewaschen hatte. Schließlich nahm er einen Schluck, ließ das bittere Bier eine Weile in seinem Mund hin- und hergehen, bevor er schluckte.

»Also«, sagte er schließlich. »Redet. Wie seid ihr hier hergekommen? Was genau ist passiert?«

Sie sollten nicht hier sein. Sie sollten im letzten freien Teil des Sturmalbenheims sein, in Sicherheit. Sie sollten verheiratet sein und einen Stall voller geflügelter kleiner Kinder haben, die ihnen auf die Nerven gingen.

»Kommt es nur mir so vor, oder ist unser Tyranar ein wenig vorwurfsvoll, Rag?«, fragte Asbjorn.

»Nein, ich empfinde es auch so«, stichelte sein Zwillingsbruder, was Tyran dazu brachte, die Augen zu verdrehen.

»Ist euch zwei Idioten vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass der Gedanke, dass es meiner Familie gut geht, das Einzige ist, was mich die letzten siebenhundert beschissenen Jahre aufrecht gehalten hat?«, fuhr er sie mit zusammengepressten Zähnen an. Sie konnten noch nicht lange in Gefangenschaft sein. Es fehlte ihnen … Tyran wusste eigentlich gar nicht, was es war. Ein merkwürdiger Ausdruck in den Augen, den nur hatte, wer in den Abgrund Shaylas geblickt hatte.

Asbjorn kratzte sich die rasierte Schläfe und schob sein Haupthaar auf die andere Seite des Scheitels.

»Wir können uns vorstellen, dass die vergangenen Jahrhunderte für dich ein …«

»Einen Scheißdreck könnt ihr euch vorstellen«, knurrte Tyran, stopfte den Verschluss wieder in den Trinkbeutel und warf ihn zurück zu seinem Cousin. Er wollte nicht ungerecht sein, wirklich nicht. Aber zu wissen, dass wenigstens ein paar Mitglieder seiner Familie ein normales Leben führen konnten … sich vorzustellen, ihnen eines Tages nach dem Ende dieses Alptraums wieder zu begegnen … etwas Besseres gab es nicht.

»Hör uns erst mal zu, Tyr«, unterbrach ihn Ragnal und pflückte eine lose hellgraue Feder aus seinem rechten Flügel. Er drehte sie spielerisch zwischen den Fingern. »Wir sind nicht gefangen genommen worden.«

»Na ja«, ging Asbjorn dazwischen, »eigentlich schon.«

»Ja, also, dieser shaylische pockennarbige Drecksack hat uns inhaftiert, als eins unserer Verstecke aufgeflogen ist. Aber – und das ist der Punkt – genau so war es von uns geplant.«

Tyran wischte die Spur des Regenwassers von seinem Gesicht und stützte anschließend das Kinn in seine Hände, die Ellenbogen auf den Knien aufsetzend.

»Ihr habt euch freiwillig ergreifen lassen?«, wiederholte er.

Asbjorn nickte.

»Keine Ahnung, wie viel du in der Hauptstadt mitbekommen hast. Aber es gibt in dem von Wind’s Peak aus kontrollierten Teil von Askyan noch immer einen starken Widerstand.« Asbjorns Augen begannen mit einer derartigen Selbstverständlichkeit zu leuchten, dass Tyran für einen Moment das Regenwetter vergaß.

Widerstand.

Man hörte immer wieder von Marionetten, die nicht ganz nach den Wünschen von Königin Lamia tanzten, oder von einzelnen Rebellengruppen, die in ganz Norfaega für kleinere Scharmützel sorgten. Diese Unruhen wurden normalerweise von Lamias Herolden schnell genug niedergeschlagen – er selbst war im Kampf gegen aufständische Askyaner schon eingesetzt worden, und Rodric hatte seinerseits erzwungenermaßen nicht wenige Anführer solcher Gruppen mit dem Jäger zur Strecke gebracht, in den Kristallpalast überführt und öffentlichkeitswirksam exekutiert.

Aber bis auf die Probleme mit einem der elf Höfe kürzlich … mit Amber Hall im Südwesten Shaylas … hatte es seit einer Weile keine Berichte von größeren Konflikten gegeben. Zumindest war Tyran nichts bekannt gewesen. Und selbst die Königin von Amber Hall hatte ihre Banner nicht in offener Rebellion gehisst, sondern lediglich versucht, den Einfluss von Lamia zu beschränken.

Der Preis war der Gleiche geblieben.

»Sprachlos, hm?«, spöttelte Ragnal grinsend. »Wir sind deutlich mehr, als Königin Lamia vermutet. Noch sind wir nicht genug, um sie offen herauszufordern. Aber unser Vater rekrutiert und versucht, die Organisation des Widerstands zu verbessern.« Die Begeisterung in seiner gedämpften Stimme war nicht zu überhören. Ragnal beugte sich verschwörerisch nach vorn. »Wir haben uns von diesem Scheißkerl in Gewahrsam nehmen lassen, um einen gefangenen Kameraden zu befreien – und um die Herrin von Oakwrath zu beseitigen.«

Tyran schwieg, um nachzudenken. Der Plan klang wahnwitzig und riskant – wussten sie denn nicht, dass kaum jemand entkam, der einmal versklavt worden war? Aber andererseits fühlten sich Elnesta und ihre Herolde ausgesprochen sicher, das war völlig offensichtlich. Sie unterschätzten die Tatsache, dass sie nicht ein paar Jünglinge aus einem askyanischen Dorf gefangen hielten, sondern zwei kobaltblautragende Sturmalbenkrieger.

Und ihn.

»Und wie wollt ihr das anstellen?«

Die Zwillinge tauschten Blicke aus. Asbjorn schnappte sich einen dünnen Zweig und begann, Linien in dem schlammigen Boden zu hinterlassen. Er war derjenige, der weitersprach:

»In wenigen Tagen wird hier ein fahrender Händler ankommen, der Sklaven mit sich führt. Wir haben in Erfahrung gebracht, dass Elnesta häufig Arbeiter, die sie verschlissen hat, an solche Händler verkauft. Sie werden für Spottpreise abgegeben, da sie für die Arngarthminen bestimmt sind.«

»Sie hat die Minen erwähnt«, erinnerte Tyran sich. »Wann wurden die Schächte dort wieder in Betrieb genommen? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es so war, als wir Kinder waren.«

»Es ist auch noch nicht sehr lange her. Ein paar Jahrhunderte. Es war eine der ersten Veränderungen, die Königin Reginleif eingeführt hat, nachdem sie Stormhaven erobert hatte«, antwortete Ragnal.

Tyran selbst war nie dort gewesen – nicht in den Minen. Er wusste, dass es ein Gewirr von unterirdischen Schächten und Tunneln gab, die, anders als Elnesta angedeutet hatte, nicht alle eng und niedrig waren. Tatsächlich lagen tief im Herzen des Gebirges uralte Hallen und Höhlen, in denen früher die Drachen gehaust hatten. Stormhaven selbst lag so am Rand eines Berges, dass der hintere Teil der Festung mit uralten Katakomben verbunden war, in denen er und seine Cousins früher gespielt hatten. Diese Gänge waren jedoch nicht mit dem Gewirr der Gänge zu vergleichen, die in den berüchtigten Minen zu finden waren.

»Was bringt uns dieser Händler also?«, griff Tyran den Gesprächsfaden wieder auf.

Seine Vettern grinsten beide ihr strahlendes Lächeln.

»Er bringt uns den Vorteil, der nur in Zahlen zu finden ist – er gehört natürlich zu uns. Genauso wie die Sklaven, die er in die Festung hereinkarren wird. Und sobald sie hier drinnen sind …« Asbjorn zerbrach den Ast, den er noch in den Händen gehalten hatte und warf beide Stücke in die Flammen. Der Zweig war verschwunden, bevor Tyrans Augen ihm hätten folgen können.

Es war ein simpler Plan. Nicht elaboriert wie manche Verschwörung in Shayla. Die Stärke in Nummern war tatsächlich das, was manche Sklavenaufstände in der Vergangenheit hatte erfolgreich werden lassen. Aber andererseits waren die Königinnen auch schlauer geworden. Nicht wenige von ihnen nutzten das Gefühl, das sie für die Männer hatten, dafür, herauszuspüren, wann genügend Rebellionswillen zusammengekommen war.

Tyran rieb sich über das linke Augenlid.

Die Scherbe tat sicher ihr Übriges. Er war nie so ganz sicher, wie viel die Person, die die Kontrollstücke in der Hand hielt, von den Trägern der Scherbe spürte. Die Wärter versuchten daher oft, Verbindungen zwischen den Gefangenen zu erkennen und so Zusammenschlüsse im Keim zu ersticken. Dass es sich bei den Kobaltblautragenden und ihm um dynamische und nicht zu unterschätzende Krieger handelte, würden Waylan und seine Kumpanen sicher begriffen haben.

Andererseits ließen sie sich möglicherweise von seinem Temperament auch ablenken, sodass sie andere Bewegungen übersehen würden, da sie von ihm sowieso keine andere Haltung erwarteten.

Mit einem Ruck straffte Tyran seine Flügel und Wassertropfen stoben aus dem dichten Gefieder. Scheiße, es ist so verdammt lang her. So verdammt lang, dass er sie ausgebreitet und benutzt hatte.

»Was sagst du, Tyr?«, fragte Ragnal.

Wenn sie wirklich Unterstützung von außen bekamen, dann konnte er diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Sollte die Freiheit tatsächlich in greifbare Nähe kommen … und zwar in Gestalt seiner Familie … Sobald er frei war, würde es auch nichts mehr geben, das Rodric hielt. Er hatte ihn schon öfter gegen die Scherbe ankämpfen sehen und der schwarze Krieger war dabei widerstandsfähiger als jeder andere gewesen. Ohne atmendes Druckmittel würde er den Kristallpalast erzittern lassen – und dann würden sie vielleicht beide frei sein.

Tyran spürte die Blicke der Zwillinge auf sich lasten.

Er nahm Ragnal den Trinkbeutel aus der Hand.

»Ich sage: Lasst uns Oakwrath niederbrennen.«

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