Читать книгу Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper - Страница 21

Tyran
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Sklavenbaracken sahen überall gleich aus.

Diese Tatsache stand für Tyran nicht in Zweifel. Viel schlimmer jedoch: Sie rochen auch immer gleich; nach Schweiß und getrocknetem Blut und der sich ausbreitenden Resignation. Er hatte im Laufe seines Lebens so viele bewohnt, dass die Erinnerungen an die einzelnen Höfe manchmal zu verschwimmen drohten. Zugegebenermaßen war in einigen Anwesen die Unterbringung akzeptabler als anderswo gewesen, aber hier, in Oakwrath, befanden sich die Sklavenunterkünfte in holzverkleideten, doch gemauerten Häusern am rechten Rand der Festung. Zwischen den einzelnen Hütten gab es eine weitere Wasserpumpe und eine Kochstelle, die von den Sklaven eigenständig benutzt werden konnte. Für Tyran hatte es bisher noch nichts gegeben – er hatte, wie man ihm eindringlich erklärt hatte, für seinen Anteil des Essens noch nicht gearbeitet.

Das würde er vermutlich noch früh genug.

Tyran ignorierte seinen knurrenden Magen, während er nach einem passenden Versteck für den wenigen persönlichen Besitz suchte, den er mit sich führte. Es war üblich, dass man Sklaven vieles abnahm, aber einige kleine Gegenstände schaffte er fast immer zu verbergen. Im Kristallpalast, wo der Jäger die Oberaufsicht über die Sklaven hatte, ließ man ihm zudem auch ein wenig privaten Besitz, weil der Jäger schon seit der ersten Generation an jungen Kriegern, die er ausbildete, festgestellt hatte, wie weit manche von ihnen bereit waren zu gehen, um etwas zu behalten, was für sie einen ideellen Wert besaß.

Fast jeder von ihnen hatte so etwas, worauf er besonders achtete. Bei manchen war es ein Kleidungsstück oder ein Brief, eine Waffe, die sie von jemandem geerbt hatten. Tyran selbst waren nicht viele Erinnerungsstücke aus seiner Kindheit geblieben und danach hatte er kaum neue erworben.

Trotzdem machte er sich daran, eine der schmalen Pritschen beiseitezurücken. Feuchtigkeit war durch das Mauerwerk und die Holzverkleidung gedrungen, sodass eines der Bretter sich lösen ließ. Die Stelle war nicht gerade unauffällig – vermutlich war sie schon früher von jemandem benutzt worden. Tyran griff nach dem eng geschnürten Bündel, in dem sich unter anderem der Faustkeil befand, den Rodric ihm mitgegeben hatte. Vielleicht wäre dieser im Kristallpalast besser aufgehoben gewesen. Rodric hatte dort zumindest sein eigenes Zimmer. Hier, da brauchte Tyran sich keine Illusionen machen, würden sie die Gegenstände finden, wenn sie sich die Mühe machten, danach zu suchen. Sorgfältig verschloss Tyran das Loch und schob mit dem Schienbein die Pritsche wieder zurück an ihre vorherige Stelle.

Darauf lag seine Tunika. Einer der Sklaven, die für grobe Arbeiten in der Burg wie das Ausbessern des bröckelnden Mauerwerkes und für die Verarbeitungen des Eichenholzes ganz in der Nähe zuständig waren, hatte ihm eine Bürste gegeben, mit der er die Tunika von dem Schlamm der Straße hatte befreien können. Tyran verzog das Gesicht, als er sie hochhob. Sie hatte wirklich schon bessere Tage gesehen. Aber da Elnesta diese bekannte Vorliebe für Askyaner hatte, würde sie ihn wohl auch in seiner traditionellen Kleidung sehen wollen.

»Du weißt noch immer, wie man sich Feinde macht, Tyr.«

Einen Moment lang glaubte Tyran, es wäre Rodric, der ihn so spöttisch ansprach – doch noch im selben Moment verwarf er diese instinktive Vermutung. Es war eine andere Stimme, ein anderer Dialekt, der etwas gutturale askyanische Akzent, ganz anders als die Hochsprache Shaylas in der rauchigen Stimmlange seines besten Freundes.

Und dennoch löste der Satz die merkwürdige Empfindung einer halben Erinnerung aus, so, als hörte man die letzten Töne eines bekannten Liedes.

Tyran drehte sich um, noch während er hinter dem Rücken die Jagdtunika schloss.

Im Türrahmen der Baracke, die er sich mit einigen anderen Sklaven teilen würde, lehnte ein Sturmalb mit einem Bart, der genauso blond wie seine Mähne war.

Tyran blieb stumm. Das Gesicht … er kannte das Gesicht, doch …

Der Askyaner schien zu begreifen, dass die Wiedersehenserkenntnis ausblieb. Er lächelte nachsichtig – und mit eindeutigem Schalk in den Augen, die beinahe so blau waren wie Tyrans eigene.

»Tja, Ragnal«, neben ihm tauchte ein weiterer Sturmalb auf, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah – nur hatte dieser sich die hellen Haare an den Schläfen ausrasiert. »Du bist wohl ein bisschen hässlicher geworden, sodass dich Tyr nicht mehr erkennt.« Für diese Bemerkung erntete er einen Schlag in die Magengrube, den er tapfer hinnahm, und in diesem Moment begriff Tyran, um wen es sich handelte.

Die beiden Männer waren keine anderen als seine Cousins aus Stormwood.

»Asbjorn«, nannte Tyran den fehlenden Namen, der ihm endlich wieder in den Sinn kam, Asbjorn und Ragnal Stormblood. Die Söhne seines Onkels. Es war Jahrhunderte her; fast sein ganzes Leben. Einst hatten sie in der Festung Stormhaven gemeinsam gelebt; sie waren ein wenig älter als er, und damals hatte es zu seinem Tagesinhalt gehört, seinen Vettern und ihren Freunden hinterherzulaufen und zu versuchen, sie bei jedem Unsinn zu übertreffen.

Das war gewesen, bevor Königin Lamia die Hälfte von Askyan erobert und Stormwood besetzt hatte. Es erschien ihm beinahe unwirklich.

Im nächsten Augenblick wich die Überraschung dem seltenen und deswegen umso köstlicheren Gefühl, die beiden tatsächlich wiedergefunden zu haben. Mit einem Lachen näherte er sich ihnen, sie teilten eine Umarmung, die damit endete, dass Asbjorn ihn auf Armeslänge von sich weghielt und ihn eingehend musterte.

»Ist es möglich? Ich glaube, Tyranar ist größer als wir beide. Und ich glaube, der Herold Waylan hat sich ein bisschen vor ihm in die Hosen gemacht.«

Genauso lange, wie es her war, dass er seine Cousins gesehen hatte, war es auch her, dass er jemand anderes als Tyran gewesen war. Kaum dass er in Shayla angekommen war, hatte der Jäger seinen Namen zu Tyran abgekürzt und dabei war es geblieben.

Tyran stieß einen Fluch aus, der seine Cousins nur zum Lächeln brachte. »Scheiße!« Er griff Asbjorn am Arm und zog ihn weiter in die Baracke hinein. »Scheiße, was tut ihr beide hier?«

Auch wenn es lange her war, wusste Tyran noch genau um das Schicksal der beiden, als das Gebiet Stormwood gefallen war. Ihre gemeinsame Großmutter Königin Aswang, die Wölfin, hatte letzten Endes kapitulieren müssen, als zu viele ihrer Herolde getötet worden waren. Es war schwer gewesen, Einigkeit unter den Sturmalbenclans zu stiften, die einander kaum über den Weg trauten. Die Rivalität zwischen den Stormbloods und dem Clan Ironskin war uralt und hatte selbst unter Aswang weitergeköchelt. All ihre Bemühungen, Frieden zu stiften – selbst ihre Entscheidung, Ira Ironskin zu ihrer Nachfolgerin zu ernennen – waren ergebnislos geblieben.

Schuld daran war natürlich niemand anderes als Lady Reginleif vom Coldriver-Clan gewesen, die einst über den Queen’s Pass in Askyan geherrscht hatte und schließlich auf Königin Lamias Seite übergelaufen war – und die jetzt in Stormhaven über beinahe zwei Drittel des ehemaligen Sturmalbenheims herrschte.

Als Bedingung des Waffenstillstandes hatte Königin Lamia damals adlige Mündel gefordert, was bei den Sturmalben, die keine Aristokratie wie die Alben in Shayla oder Glynvail, sondern ein Clansystem hatten, im Grunde die Familienmitglieder der alten Königin bedeutete. Lamias Wahl war damals auf ihn und seinen kleinen Bruder gefallen, der zu diesem Zeitpunkt kaum das Laufen gelernt hatte. Der kleine Artmar war in Tyrans Armen gestorben, noch bevor sie den Kristallpalast erreicht hatten.

Tyran ballte die Hände zu Fäusten.

»Ich bin damals in die Sklaverei gegangen, damit ihr es nicht musstet. Euer Vater hatte Zeit, euch fortzubringen und jetzt …« Er konnte sich gerade noch davon abhalten, Ragnal ins Gesicht zu schlagen, dessen selbstgefälliges Grinsen nicht einen Moment von seinem Gesicht wich. »… und jetzt seid ihr hier. Verdammt!«

Die Zwillinge tauschten Blicke aus, die Tyran nicht verstand. Narren, dumme, einfältige, askyanische Narren. War ihnen nicht bewusst, wo sie waren? Begriffen sie nicht, was das hieß? Was es für ihn hieß, noch mehr seiner Familienmitglieder in ständiger Gefahr zu wissen?

Sie hatten mit einem Teil der Grausamkeit Shaylas schon Bekanntschaft gemacht, erkannte Tyran jetzt. Ihre hellgrauen Flügelpaare waren gestutzt worden. Die Prozedur, bei der die äußersten Federn gekürzt und die stabilsten mittigen Federn ausgedünnt wurden, war nicht unbedingt sehr schmerzhaft, sondern lediglich unangenehm. Was das Stutzen der Flügel aber zur Konsequenz hatte, war die Tatsache, dass das Fliegen um ein Vielfaches anstrengender wurde. Weite Strecken und große Höhen schlossen sich praktisch aus; es war unmöglich, die rasanten Geschwindigkeiten zu erreichen, die den Sturmalben normalerweise so recht waren. Die Federn wuchsen immer wieder nach, sodass sie ihm selbst meist alle drei oder vier Monde gekürzt wurden. Zudem trugen beide Mahrilliumreifen um ihre Fußgelenke.

»Sollen wir es ihm jetzt schon sagen?«, fragte Ragnal seinen Zwillingsbruder, doch bevor derjenige antworten konnte, fingen Tyrans Sinne eine weitere Schwingung einer Aura auf.

Die drei Männer verstummten schlagartig. Tyran zwang sich, seine Körperhaltung zu entspannen, bis der Herold sie erreichte und das Gespräch unterbrach.

Was sagen? Tyran verfluchte den ungünstigen Zeitpunkt, als der Herold – Waylan, so hatten sie ihn genannt – die Hände in seine Hüften stemmte und einen Pfiff durch seine Zähne ausstieß.

»Na, da sieh mal einer an, was unter dem ganzen Schmutz zum Vorschein gekommen ist.«

Tyran warf seinen Vettern, die überraschend schnell die Lider senkten und vor dem Herold zurückwichen, einen kurzen Blick zu. Sie würden das Gespräch später fortsetzen müssen – und vor allem war es wichtig, dass niemand die allzu enge Verbindung zwischen ihnen bemerkte. Es war ein Vorteil, dass die Lichtalben und Nachtalben in Shayla die anderen großen Albenvölker als unter ihrer Würde betrachteten. Die Erdalben hatten es insgesamt vermutlich am schlimmsten getroffen. Zuerst waren sie von den Nachtalben beherrscht worden, in deren mächtigsten Blutlinien sich die stärksten Rúnirfarben und -zeichen häuften, bevor deren helle, gold- und silberhaarige Brüder und Schwestern nach dem Kataklysmus im Alten Tirnanóg und auf den Sommerinseln eine neue Heimat gesucht hatten. Die Eliten hatten sich durchmischt; der alte Nachtalbenadel war allzu leicht mit Gold, Seide und Wein ihrer damals noch exotischen Verwandten zu verführen gewesen. Das Nachsehen hatten Erdalben, die vor langer Zeit in Scharen nach Glynvail abgewandert waren, bevor die Grenzen sich auf beiden Seiten immer mehr verhärtet hatten. Mittlerweile war das südlichste Land des Kontinents fast unerreichbar, der einzige Pass durch die Gläsernen Berge abgeriegelt. Selbst Königin Lamia hatte diese letzte Schwelle noch nicht angetastet.

Die Sturmalben hatten nie gänzlich zu dem Machtkomplex Norfaegas dazugehört. Seitdem sie in Askyan herrschten, hatten sie sich mit diesem Gebiet zufriedengegeben und sich kaum mit den anderen Linien vermischt – Ausnahmen, die es gab, führten selten zu Gutem. Mischlinge hatten oft verkümmerte Flügel oder gar keine, und waren damit nicht nur wertlos für die Höfe in Askyan, deren Festungen teilweise mit dem klaren Gedanken errichtet worden waren, dass man fliegen können musste, um sie sinnvoll zu nutzen – nein, eigentlich war es schlimmer. Ein flügellos geborener Sturmalb war eine Belastung für die enge Gemeinschaft.

Aber solche Regeln verstanden die Shaylier nicht und es war ihnen auch egal. Das Clansystem war ihnen fremd; in Shayla waren Familienmitglieder nur Spielfiguren bei einer Partie Langer Atem.

»Unsere Königin erwartet dich.«

Sie ist nicht meine Königin.

»Von welcher Königin sprechen wir? Ich habe hier bisher eine einzige Frau gesehen, und das war eine läufige Hündin. Dem Geruch nach zu urteilen – und dem Blähen deiner Nasenflügel – da, schon wieder – eine, die du auch schon hattest.«

Ein scharfer, wilder Impuls von Schmerz schoss durch Tyrans Kopf, sodass er sich am Türrahmen festhalten musste. Er schüttelte sich, als könnte er so das betäubende Klingeln aus seinen Ohren herausbekommen.

Der Herold ließ die Kette, an der er das Gegenstück zu Tyrans Scherbe trug, klimpern.

»Wirst du mir tatsächlich Schwierigkeiten machen? Ich kann dich auch fesseln und mitschleifen lassen. Aber vielleicht bevorzugst du es, aufrecht zu deiner neuen Königin zu gehen.«

Sie ist nicht meine Königin!

Es brachte nichts, jeden Funken Protest hier zu verschwenden. Wenn er sich jetzt geschickt anstellte, würde diese Schlampe Elnesta nur ein einziges Mal versuchen, ihn in ihr Bett zu holen. Mit einer spöttischen Verneigung bedeutete er dem Herold, voranzugehen, doch jener ließ ihn schnell zu sich aufschließen. Vermutlich war es ihm genauso unangenehm wie jedem anderen Alben, eine unberechenbare Gefahrenquelle direkt hinter sich zu haben, wo selbst die feinen Sinne einen nicht immer vor Schaden bewahren konnten.

»Du wirst sie mit ›Majestät‹ ansprechen«, informierte der Herold ihn. Das war nichts Ungewöhnliches. Nicht hier. Im Kristallpalast hingegen verzichteten viele der Königinnen auf den höchsten Ehrentitel in der Gegenwart von Lamia. Das Umgewöhnen, wann welcher Titel benutzt werden sollte, war lästig, aber glücklicherweise erwarteten sie selten eine elaborierte Konversation von ihm.

Oakwrath war weitaus weniger fortschrittlich als der Kristallpalast, was die Aufarbeitung der Architektur betraf, stellte Tyran fest. Nicht dass es ihn sonderlich gestört hätte. Aber die Festung wirkte so, als hätte sie schon einige Jahrhunderte unter den Gezeiten gelitten. Der Innenhof stellte eindeutig das Zentrum des hier ansässigen Hoflebens der Herolde und Höflinge dar – anders als in der Hauptstadt Shaylas mit dem imposanten Thronsaal, den mit Spiegeln ausgekleideten Hallen voller Gold und Silber und den Separees, die mit kostbarem Samt ausgekleidet waren und in denen sich die Elite von Königin Lamias Hof zu ein paar vergnüglichen Stunden traf.

Ein paar Männer trainierten an Übungspuppen, andere standen zusammen und tranken. Die Festung war trotz der offeneren Bauweise so viel kleiner als der Kristallpalast, dass es Tyran merkwürdig vorkam, wie schnell sie die Gemächer der Königin erreichten. Die Tür wurde von zwei Kriegern flankiert, die ihn zusammen mit dem Herold hineinbegleiteten.

Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme? Oder schätzt Elnesta einfach Zuschauer?

Es war unerheblich. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, Scham zu empfinden. Das zu schaffen war vielleicht das Schwerste gewesen. Aber irgendwie war es ihm doch gelungen, etwas in sich zu bewahren, das unangetastet blieb von Blicken und Worten.

Die Königin hatte sich herausgeputzt, das konnte er mit einem Blick erkennen. Oakwrath war nicht die Kristallstadt. Das hier war die Provinz, und sie hatte sich jedes Schmuckstück umgehängt, das sie besaß. Wie würde sich wohl ihr Gesichtsausdruck verändern, der jetzt die gleiche freudige und oberflächliche Überraschung wie schon zuvor im Hof zeigte, wenn er die goldenen Ketten um seine Hand wickelte und zuzog, bis sie erstickte?

»Da bist du ja«, begrüßte sie ihn, als hätte er eine Wahl gehabt.

Tyran starrte sie schweigend an.

Sie seufzte dramatisch.

»Tyran, richtig? Natürlich weiß ich, dass die askyanische Form deines Namens Tyranar lauten müsste. Ich hätte nichts dagegen, dich so zu nennen, wenn du das möchtest.« Sie leckte sich über ihre bemalten Lippen. »Ich möchte nämlich, dass wir beide gute Freunde werden.«

Tyran lachte verächtlich auf.

Es gibt keine Freundschaft zwischen Falken und Ratten.

Eine Faust traf ihn ohne Vorbereitung in den Magen und die Wucht sorgte dafür, dass er sich krümmte, nur für einen Augenblick.

»Du wirst antworten, wenn Königin Elnesta dich adressiert«, sagte Waylan.

»Mäßige dich«, ermahnte die Herrin von Oakwrath ihren Herold und wandte sich erneut an Tyran: »Du musst seine Übereifrigkeit entschuldigen. Waylan ist es nicht gewöhnt, dass ein Sklave eine mächtigere Rún als er selbst trägt. Was mich angeht … finde ich den Gedanken ausgesprochen anregend.« Sie klatschte in die Hände. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, ich erinnere mich. Gute Freunde.«

Mit wenigen Schritten trat sie zu einem Tischchen, auf dem mehrere Krüge standen.

»Ich hatte ja eigentlich vor, dir Wein anzubieten. Aber natürlich weiß ich über euch Sturmalben besser Bescheid. Ihr bevorzugt Bier, richtig?«

So durchschaubar. So vorhersehbar. Tyran fühlte, wie die Wut wieder in ihm zu brodeln begann – dabei hatte sie ihn noch nicht einmal angefasst. Wie oft hatte er diese Art von Gespräch erlebt? Den Versuch einer Bestechung? Wie oft hatte er erlebt, wie Königinnen mit gezuckerten Worten versuchten, die Illusion von Vertrauen zu erschaffen, von der sie sich versprachen, sie würde ihn auch nur im Geringsten davon abhalten, ihr die Kehle herauszureißen, sobald er die Gelegenheit hatte?

Er beobachtete, wie sie einen Becher mit dunklem Bier füllte. Sie hatte nicht unrecht, nicht, was das Getränk betraf. Der Wein, den sie im Kristallpalast zu ziemlich jeder Gelegenheit tranken, war nicht schlecht – leicht und süß und fein – aber askyanisches Bier schmeckte nach Bergen und Wäldern und nach Heimat.

Die Königin hielt ihm den Becher hin.

»Du darfst trinken«, ermutigte sie ihn lächelnd.

Es war kein gutes Lächeln.

Tyran nahm das Bier an und ertastete die Flüssigkeit routiniert mit seinem Geist, um eine mögliche Droge zu erkennen, die Elnesta hineingetan haben könnte. Sie erkannte sein Zögern und deutete es richtig.

»Ah«, machte sie, als sie sich auf ihren Schreibtisch setzte und lasziv ein Bein über das andere schlug, »ich sehe, du bist geübt darin, Getränke zu überprüfen. Wer hat dir das beigebracht?«

Das Getränk war sauber. Hätte sie etwas hineingetan, hätte sein Rot die Spuren des schwächeren Grüns erkannt. Tyran hob den Becher an seine Lippen und trank.

»Der Blutritter«, antwortete Tyran schlicht und genoss den Moment der Erkenntnis in Königin Elnestas Augen. Er würde Rodric definitiv nicht erzählen, dass er mit seinem Namen derartige Reaktionen auslösen konnte.

Der Bastard ist schon arrogant genug, auch ohne das.

»Ich habe viel von eurer … Freundschaft gehört«, sagte Elnesta. »Was hat er dir denn noch … beigebracht?«

Die Wut verdichtete sich in seinen Adern. Etwas daran, wie sie dort saß – selbstgefällig, als hätte sie einen großen Sieg damit verzeichnet, dass er das Getränk angenommen hatte –, ließ sein Blut heiß werden. Vielleicht sollte er unauffällig bleiben – ihr Interesse nicht durch zu große Provokation anheizen. Geduldig sein, wie Rodric es ihm immer wieder riet.

Elnesta zog den Stoff, der eben noch ihre Beine bedeckt hatte, nach oben, als würde ihn der Anblick ihrer nackten Haut um den Verstand bringen.

Ach, scheiß drauf!

Tyran trank das Bier aus und mit einer einzelnen Bewegung warf er den Becher in die Flammen des flackernden Kaminfeuers. Die Wachen reagierten alarmiert und griffen nach ihren Schwertern – aber Königin Elnesta mit gespannter Erwartung, als er sich ihr näherte. Sie hob ihre Hand, was die Krieger innehalten ließ.

Seine linke Hand legte Tyran auf den entblößten Oberschenkel, mit der rechten stützte er sich auf dem Tisch ab. Er war ihr nun so nah, dass er beinahe ihren Atem schmecken konnte.

»Ich habe eine Menge von ihm gelernt«, raunte Tyran direkt an ihren Lippen.

Sie kicherte und hielt ihn nicht auf, als er seine Hand nach oben wandern ließ, bis sein Daumen den rasenden Puls ihrer Halsschlagader fand. Tyran beugte sich weiter vor und öffnete seine Flügel.

»Das hier zum Beispiel.«

Sein Instinkt und seine Wut entschieden für ihn, bevor sein Verstand Einspruch einlegen konnte. Die Mahrillium-Schellen würden ihn vorerst von allem zurückhalten, was seine Mahr benötigte – aber die Königin hatte vergessen, dass ein Krieger mehr war als seine Rún.

Der Griff um ihren Hals festigte sich – war das ein Aufblitzen von Lust in ihren Augen? – und fast war Tyran überrascht, mit welcher Leichtigkeit er Elnesta nach hinten stoßen konnte. Es gab ein hässliches, dumpfes Geräusch, als ihr Hinterkopf auf der Tischplatte aufschlug. Die Sekunden, in denen die Wachen von dem Aufschrei ihrer Herrin zu perplex waren, gaben Tyran kostbare Zeit, und er riss sie erneut nach oben, nur, um die Geste zu wiederholen. Ein zweites Mal donnerte er ihren Kopf gegen das Holz.

Waylan erreichte ihn und setzte seine Schwertspitze an seinen Nacken, doch Tyran war zu schnell für ihn. Er fuhr herum, seine Flügelspannweite ausnutzend, und traf mit seiner Handkante den empfindlichen Kehlkopf. Der Herold stolperte nach Atem ringend zurück. Obwohl ihn der Rausch eines beginnenden Kampfes normalerweise mit einer grimmigen Vorfreude erfüllte, war da noch etwas anderes. Ein merkwürdiges Gefühl, das seinen Herzschlag beschleunigte und das sich bei Weitem nicht so gut anfühlte wie das instinktive Wissen eines Kriegers, dass Blut fließen würde.

Etwas stimmte nicht.

»Ergreift ihn! Ergreift ihn!«

Das Kreischen der Königin ließ Tyran ausholen. Die Ohrfeige, die folgte, brachte sie zum Schweigen und zeigte Tyran den echten erstaunten Ausdruck im Gegensatz zu dem gespielten. Es blieb keine Zeit, sich ihr gründlicher zu widmen. Die zwei übrigen Krieger fanden endlich ihren Mut und traten mit gezogenen Schwertern auf ihn zu.

Tyran strich sich die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie beäugten ihn wie ein wildes Tier. Gut so.

»Ihr wolltet einen Askyaner sehen«, flüsterte er. »Das hier ist einer.«

»Ergreift ihn endlich!«

Der Befehl der Königin trieb einen der beiden Krieger genügend an, um sich nach vorn zu stürzen. Tyran wich der Schwertklinge aus, bekam das Handgelenk des Mannes zu fassen und drehte es, langsamer, als er es gemusst hätte. Er fand den Moment, kurz bevor es brach, und entlockte dem Krieger einen gellenden Schrei.

Ein scharfer, heißer Schmerz fuhr durch Tyrans Kopf und ließ sein Sichtfeld fast schlagartig schmal werden. Mit einem Knurren drehte er das Handgelenk noch ein wenig weiter, bis das Knacken des Knochens und das Aufheulen des Kriegers ihm verrieten, dass es der Belastung nicht mehr standgehalten hatte.

Tyran schwankte. Die Scherbe. Wer? Wo?

Es war nicht Waylan, der Herold kam erst wieder auf die Beine – aber das merkwürdige Gefühl, das sich in Tyran ausbreitete, verdichtete sich immer mehr. Es war nicht nur die Scherbe. Es war noch etwas anderes.

»Was habt ihr getan?«, grollte Tyran. Sein Blut rauschte in seinen Ohren. Wieso war ihm so schlecht? Ein Schwindel erfasste ihn und er stieß irgendetwas – einen Kerzenleuchter? Einen Briefbeschwerer? Er wusste es nicht. – von dem Schreibtisch, das auf den Fliesen zu Bruch ging.

Tyrans Muskeln streikten und er folgte dem Gegenstand zu Boden.

Die Gewissheit griff nach ihm mit kalten, klammen Fingern.

»Gift«, stieß er hervor; halb lachend – lachend vor Zorn, vor Verachtung, und Elnesta kam näher.

»Nein, nein«, gurrte sie. »Nein, Tyranar, kein Gift.«

Ihre Finger durchwühlten sein Haar, und ihm wurde mit Schrecken bewusst, dass es einen Teil in ihm gab, der ihre Finger an einer ganz anderen Stelle spüren wollte.

»Es ist nichts Gefährliches«, sagte die Herrin von Oakwrath, während ihre Hände sein Gesicht erreichten. Es fiel ihm schwer, ihren Worten konzentriert zuzuhören.

Tyran versuchte, sich aufzurichten, aber weiter als auf seine Unterarme gestützt kam er nicht.

Er beugte sich weiter vor, sich krümmend, als er spürte, wie das Blut sich bei seiner Körpermitte sammelte … und dann tiefer.

Er wand sich in dem Versuch, auf die Beine zu kommen, doch mittlerweile hatten die Krieger sich wieder gefasst. Er konnte denjenigen, dem er das Handgelenk gebrochen hatte, nicht sehen, aber der Herold und der übrige Krieger packten ihn um die Oberarme.

»Schafft ihn ins Schlafzimmer«, befahl die Königin. Die beiden Männer zogen ihn weit genug nach oben, um ihn aufzurichten, aber nicht genug, als dass er wieder in den Stand hätte finden können. Tyran suchte in sich nach dem Fokus seiner Mahr; er musste versuchen, die Schellen zu sprengen. Doch selbst wenn ihm dies gelang – was dann? Er hatte sich übertölpeln lassen von dem Miststück.

Nein, so ist es nicht. Er hatte das Bier überprüft. Er hatte ertastet, ob sich darin etwas befand, und keine Droge war seinen Sinnen aufgefallen. Wie …?

Der Anblick, der sich ihm in dem Schlafzimmer der Königin offenbarte, fegte jeden vernünftigen Gedanken aus seinem Kopf. Seine Augen begriffen schneller als sein Verstand und ein fassungsloser Schrei löste sich aus seiner Kehle.

Über dem Bett hing, weit aufgespannt und mit silbernen Nägeln in die Holzvertäfelung geschlagen, ein Paar Flügel.

Sein Magen rebellierte.

Die Flügel eines Askyaners, wie er einer war; wunderschön und tiefbraun glänzend. Der Flügelspannweite nach zu urteilen waren es die eines Mannes – sie waren beinahe so groß wie seine. Tyran würgte, aber er hatte zu wenig im Magen, als dass er hätte erbrechen können.

»Sie waren perfekt. Ein so dichtes, schimmerndes Gefieder. Ich musste sie einfach behalten«, schwärmte die Königin, die seinen Blick richtig gedeutet hatte. Sie beobachtete genau, wie man seine Hände zusammenkettete. Tyran erkannte die Absicht zu spät; erst, als eine zweite Kette durch eine Öse in der Decke heruntergeführt und mit seinen Händen verbunden wurde.

Sie zogen ihn nach oben. Es war ihm gleich. An der Wand hingen die Flügel eines Sturmalben, eines Kriegers, eines Bruders, und das Blut, das sich in seiner Körpermitte gesammelt hatte, verursachte Schmerzen, von denen er ahnte, dass es nur eine einzige Lösung geben würde, um sie zu lindern.

»Du verdammte Hure«, flüsterte er und hasste dabei, wie undeutlich seine Sprache durch die Droge geworden war. Die Königin durchkämmte ihr Haar mit den Fingern. Ihr Blut ließ die hellen Strähnen zusammenkleben. Er konnte riechen, dass sie ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen hatte, jetzt, da er in Ketten lag und die Droge ihm jede Konzentration raubte. Sie trat auf ihn zu und machte sich an seiner Gürtelschnalle zu schaffen.

»Möchtest du wissen, was mit dem Askyaner passiert ist, dessen Flügel ich als Andenken behalten habe?«

Tyran drehte den Kopf zur Seite und ballte die Hände zu Fäusten. Er trug Rot. Er war ein askyanischer Krieger. Er konnte diese Ketten sprengen. Er musste.

»Ich habe ihn in die Minen von Arngarth geschickt. Ich habe ja nicht ihn gebraucht – sondern nur seine Flügel. Das ist sehr lange her, Tyranar. Manchmal, wenn ich im Bett liege, denke ich daran, dass es für ihn viel bequemer gewesen sein muss, durch die Schächte zu kriechen, ohne diese großen Flügel, meinst du nicht auch?«

Das Zittern seiner Muskeln wollte nicht nachlassen und das dunkle Knurren wurde lauter, als sie sein Glied umschloss, das gegen seine Hose drängte.

»Ich werde dich töten«, versprach er ihr. »Und du solltest hoffen, dass es so kommt. Denn wenn ich es nicht tue, tut es Rodric.« Er schluckte, bebend vor Zorn. »Wir können dich beide in Stücke reißen, aber ihn würdest du darum anflehen, lange bevor er mit dir fertig ist.«

Für einen köstlichen Moment erkannte Tyran, wie ihre Gesichtsfarbe fahl wurde, bevor sie sich wieder daran erinnerte, wer angekettet war und wer nicht. Sie schlug ihn ins Gesicht; ein lächerlicher Schmerz verglichen mit dem Pulsieren zwischen seinen Beinen.

»Zieht ihn höher«, befahl sie, wobei sie sein Kinn zwischen ihre Finger nahm. Ihre Nägel bohrten sich tief in seine Haut. »Ich kann dich nicht verkaufen wie deinen Vorgänger hier – schließlich bist du nur gemietet. Aber du wirst sehr schnell lernen, dass es klüger ist, mir keinen Ärger zu bereiten.«

Die Schmerzen in seinen Armen und Schultergelenken nahmen zu mit jeder Handbreit, die sie ihn höherzogen, bis seine Zehenspitzen den Boden nur noch leicht berührten. Sie schlangen mit großer Sorgfalt Seile um seine Flügel, um ihn zu zwingen, sie zusammengefaltet an seinen Rücken zu legen.

Der Triumph in den Augen des Herolds prallte von Tyran ab, als jener seine Peitsche entrollte und ihm seine Tunika vom Körper riss.

Es blieb Tyran keine Zeit, sich darauf gefasst zu machen, doch er hatte die Peitsche in seinem Leben zu oft gespürt, als dass er sich davon ängstigen lassen würde. Sie hatten alle ihre Methoden, um damit umzugehen. Die Droge machte es schwieriger – sie vernebelte die Sinne und ließ ein gewaltsames, körperliches Verlangen in ihm aufsteigen, von dem er nicht wusste, wie er es bezwingen sollte. Aber Peitschenschläge waren so gewöhnlich, dass es ihn beinahe erleichterte, wie vertraut sich der erste Schlag auf seinem Brustkorb anfühlte.

»Eins«, zählte Waylan.

Eins. Stormwood.

»Zwei.«

Zwei. Der eiskalte, klare Fluss Prat, der im Arngarthgebirge seine Quelle hatte.

»Drei.«

Der Klang der Trommeln und der Laute am Abend, wenn die Himmelslichter erschienen.

»Vier.«

Die Stimme seiner Mutter, die ihn aufforderte, die Hände zu waschen, bevor er sich an den Tisch setzte.

Sein Vater, der am Feuer schnitzte.

Sein Onkel, der ihn von seinem Bier probieren ließ.

Das Brot, das er aus dem Schlafzimmer des Jägers gestohlen und mit Rodric heimlich gegessen hatte, als alle schliefen.

Rodric, der die Schuld dafür auf sich nahm. Rodric, der daraufhin mit den Narben angab, als würde er sich tatsächlich über sie freuen.

Tyran wusste, dass er schrie – er war nie sonderlich leise gewesen. Es lag keine Schande darin. Er schrie den Schmerz heraus und die Wut mit dazu, aber dieses Mal schien der Brand in seinem Inneren sich neu zu entzünden. Er bekam die letzte Zahl, die der Herold aussprach, nicht mit – waren es sechzig oder siebzig Schläge gewesen? Dafür wurde sein Bewusstsein wieder klarer, als sie die Kette lösten und seine Knie einknickten.

Er blutete aus vielfachen Wunden an seinem Oberkörper und den Bereichen des Rückens, die sie trotz der Flügel hatten erreichen können, und obwohl er heiser vom Schreien war und der Blutverlust das Bild vor seinen Augen verschwimmen ließ, war die Macht der Droge ungebrochen. Mittlerweile schmerzte es.

Verdammt. Es schmerzte so sehr, dass er dem Drang, die Hand auf sein Geschlecht zu legen, nicht widerstehen konnte, es aber im nächsten Moment bereute, als ein Gefühl von glühenden Nadeln durch das Fleisch jagte.

»Tyran«, sprach die Königin ihn an. Er hatte beinahe vergessen, dass sie ebenfalls dort war. Sie saß vor ihm auf dem Bett, doch bei dem Versuch, sie anzusehen, drifteten seine Augen wieder zu dem Flügelpaar ab.

Der Herold packte seinen Nacken und schob ihn nach vorn. Die Königin legte ihre Hände auf seine Schultern und blickte ihn eindringlich an.

»Bist du jetzt bereit, deiner Königin zu dienen?«

Du bist nicht meine Königin.

Als er sich nicht rührte, nickte sie dem Herold zu, der ihm einen weiteren Stoß versetzte. Elnesta schob ihr Kleid nach oben. Ihre Hände fuhren tief in sein Haar, krallten sich dort fest, sodass sie seinen Kopf zwischen ihre Beine dirigieren konnte.

Tyran schloss die Augen, während sein ganzer Körper von den Krämpfen, die die Droge auslöste, geschüttelt wurde. Die ohnmächtige Wut ließ seine Gedärme zu Stein werden. Von weit her hörte das widerliche Schnurren der Königin, als sie sich ihm entgegendrängte.

Doch noch während sie das tat, konnte er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.

Hier in Oakwrath musste es jemanden geben, der eine mächtigere Farbe als das Rot trug.

Und wenn er herausfinden würde, wer das war, dann würde er keine Sekunde mehr ruhen, bis er ihn getötet hatte.

Das Zeichen der Erzkönigin

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