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Kapitel 8
ОглавлениеDer Wirt stand hinter der Rezeption und hielt den Telefonhörer in der Hand, als Edith die Pension betrat. Sobald er sie sah, rief er: „Frau Löffler, Ihr Mann. Ich stelle nach oben durch.“
Schon im nächsten Augenblick hörte sie es in der ersten Etage hinter ihrer Zimmertür klingeln. Der Wirt reichte ihr den Schlüssel über die Theke. Sie hastete die Treppe hinauf, obwohl sie nichts weniger wollte als jetzt mit Rüdiger telefonieren. Doch das ging den Wirt nichts an. Im Zimmer hob sie, noch außer Atem, den Hörer ab.
„Bist du´s endlich?“
Rüdiger stieß die Worte mit hoher, zittriger Stimme hervor, wie immer, wenn er ungeduldig war. Sicher hatte er jetzt die tiefe, steile Falte auf seiner Stirn, die wie ein Ausrufezeichen zwischen seinen Augenbrauen stand.
„Wie kommst du dazu, einfach abzuhauen, ohne ein Wort?“
Seine Empörung klang echt. Ihm schien nicht im Entferntesten der Gedanke gekommen zu sein, dass es eine naheliegende Erklärung gab. Fühlte er sich tatsächlich so sicher?
„Woher weißt du, wo ich bin?“
Er holte tief Luft, bevor er sagte:
„Du hast mir keine andere Wahl gelassen.“
Unter seinem anklagenden Ton hörte sie jetzt Scham. Da begriff sie.
„Du hast in meinem Tagebuch gelesen.“
„Glaubst du, ich lehne mich geruhsam zurück, wenn du so mir nichts, dir nichts verschwindest? Ich habe mir Sorgen gemacht.“
Typisch Rüdiger. Die Sorge. Der große Sockel seiner Selbstgerechtigkeit. Nie sah er, wen er mit seiner Sorge beschwerte. Wen er damit über den Haufen rannte.
„Was willst du?“
„Komm zurück. Du verrennst dich da in etwas.“
„Ich habe dich und Silvia gehört.“
Das Stakkato seines Orgasmus war ihr schon vor der Wohnungstür entgegen gekommen. Sie hätte auf dem Absatz kehrt machen können. Niemand hätte ihren Rückzug beobachtet. Niemand hätte gesehen, dass nicht sie der Grund war. Doch sie schloss die Tür auf, weil sie das immer tat und die Bewegung ihr in Fleisch und Blut übergegangen war. Ihr Kopf war zu sehr damit beschäftigt, das zu begreifen, was vor sich ging, um eine Alternative zu erwägen. Dann stand sie im Flur, während aus dem Schlafzimmer das hohe, anschwellende Wimmern einer Frau drang. Ihr war plötzlich kalt, und sie drängte sich fröstelnd zwischen die Mäntel und Jacken, die an der Garderobe hingen. Nach einer Weile öffnete sich die Schlafzimmertür. Eine kleine, rundliche Gestalt trat heraus und kam durch den Flur auf sie zu. Im Halbdunkel erkannte sie Silvia, die einen Bademantel lose vor ihrem Körper zusammenraffte. Ihren Bademantel. Sie wich weiter gegen die Wand zurück wie ein Kind, das sich zwischen Mänteln und Jacken versteckt. Silvia bemerkte sie nicht, als sie zur Wohnungstür ging und sie öffnete. Das Geräusch der Hausschuhe, die gegen ihre Fußballen klappten, wurde leiser, während sie die Treppe hinunter zur Toilette lief. Edith hatte auf das Schließen der Toilettentür gewartet und sich dann, als sei sie der Eindringling, aus der Wohnung geschlichen.
Rüdiger schwieg einen Moment. Schließlich fragte er:
„Seit wann kümmert dich, mit wem ich schlafe?“
„Silvia ist unser Lehrling. So etwas tut man nicht.“
Sie hörte ihn schnauben.
„Das ist ja ganz neu, dass du dich für das interessierst, was im Geschäft vor sich geht. Sei ehrlich: Du hast einen Grund gesucht, heimlich zu fahren. Du wusstest, dass ich nicht einverstanden sein würde.“
„Habe ich dich etwa angestiftet, in unserem Schlafzimmer fremd zu gehen?“
Er lachte. Es klang wie eine Explosion.
„Unser Schlafzimmer? Das ist es doch schon lange nicht mehr.“
„Seit du ein Sterbezimmer daraus gemacht hast.“
Die Pause, die folgte, war so lang, dass sie schon glaubte, Rüdiger habe aufgelegt. Doch dann hörte sie ihn schwer atmen.
„Du warst einverstanden.“
Einverstanden. Was hätte sie denn tun sollen?
„Ich habe keine Lust, noch länger zu streiten“, sagte sie. „Es führt ja doch zu nichts.“
„Komm zurück.“
Er verlegte sich jetzt aufs Bitten.
„Ganz sicher nicht.“
Als sie den Hörer vom Ohr nahm, um aufzulegen, hörte sie leise seine Stimme durch die Schallmuschel:
„Du hast doch keine Ahnung, auf was du dich da einlässt.“