Читать книгу Findeltochter - Vaterkind - Silke Grigo - Страница 20

Kapitel 18

Оглавление

„Christiane Stinhöfer.“ Sobald Edith die vertraute Stimme hörte, hatte sie das Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Das Tier in ihrem Körper löste sich auf. „Ich brauche jemanden, der mir zuhört.“

„Leg los.“

Sie stellte sich vor, wie Christiane langsam, Telefon und Hörer in den Händen, durch das helle Zimmer ihrer Kreuzberger Hinterhofwohnung ging und sich in ihrem großen Sessel am Fenster niederließ. Dort würde sie den Schneidersitz einnehmen und ihren gedrungenen, fülligen Körper entspannt zurücklehnen, in einer Pose der Unerschütterlichkeit, noch einmal kurz ihre bunten Locken aus der Stirn schütteln und konzentriert zuhören. Jedes Mal, wenn Edith diese Bewegung sah, musste sie an ihre Mutter denken. War es möglich, dass Angewohnheiten sich vererbten? Falls ja, so hatte das Erbe bei Christiane eine Veränderung durchlaufen. Sie schüttelte ihr Haar ohne Ungeduld, mit einer sanften, spielerischen Kopfbewegung, die zur Vielfarbigkeit ihrer Frisur passte. Das Gemisch aus rotblonden und blassgrünen Locken war weder geeignet, ihr Gesicht zu verfinstern noch es bloßzustellen, gleich, in welche Richtung es fiel. Edith suchte nach den richtigen Worten. „Ich weiß nicht, ob ich weitermachen soll. Es hat ganz mies angefangen.“ Christiane wartete ab. Wie so oft fand Edith ihr Schweigen auch dieses Mal mühsam. Sie wünschte, ihre Schwester würde irgendetwas sagen. Das werde ich nicht tun. Wie häufig hatten sie das schon diskutiert. Es gibt zu viele Leute, die einfach irgendetwas sagen, wenn jemand versucht, sich mitzuteilen. Wir schwätzen einander in Grund und Boden. Was ist so schlimm daran, eine Weile abzuwarten, bis jemand die richtigen Worte gefunden hat?

„Er demütigt mich dauernd.“

„Wer? Dieser Mann aus der Zeitung?“

„Otto Guse, ja.“

„Wie?“

„Er spottet über meine Kleidung, duzt mich und nennt mich Mädchen.“

Bedroht mich mit der Axt, setzte sie in Gedanken fort, rührt alte Wunden wieder auf. Aber sie sprach es nicht aus. Plötzlich befürchtete sie, Christiane würde ihr genauso wie Rüdiger raten, nach Berlin zurückzukehren. Also hatte sie doch entschieden zu bleiben? Ihr fiel wieder ein, dass sie eben noch gekrümmt im Bett gelegen hatte, in der Gewalt des aufgewachten Tieres.

„Ich habe Angst, dass er mich zerstört.“

„Weil er über deine Kleidung spottet und dich Mädchen nennt? Du hast mir noch nicht alles erzählt. Was ist passiert?“

Sie schluckte und nahm einen neuen Anlauf.

„Er hat gesagt, man können mir ansehen, dass ich keine Kinder habe. Ich sähe aus, als sei ich zurückgeblieben. Es war, als wüsste er das mit dem Kind.“

„Lass mich raten: Ihm geht es nicht gut. Er ist jähzornig und hat sich schlecht unter Kontrolle. Fühlt sich schnell in die Enge getrieben.“

Die Ruhe und Bestimmtheit, mit der Christiane sprach, tat gut.

„Woher weißt du das?“

„Solche Typen kenne ich aus der Beratungsstelle. Komplett verunsichert. Leben nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung und schlagen so lange um sich, bis sie einen wunden Punkt treffen. Mit Menschenkenntnis hat das nichts zu tun. Es ist der reine Bluff.“

„Dafür, dass es nur Bluff war, habe ich mich danach ganz schön mies gefühlt.“

„Klar. Die Wunde ist ja echt. Deshalb funktioniert es. Nur gibt es keinen Grund, diesem Otto Guse deshalb einen besonderen psychologischen Riecher anzudichten. Damit gibst du ihm zu viel Macht.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“

„Beobachte das nächste Mal, was vorausgegangen ist, wenn er dich angreift. Du hast ihn nicht zufällig vorher gefragt, ob er Kinder hat?“

„Genau.“

Erst jetzt fiel ihr das wieder ein.

„Dann war ihm die Frage vermutlich sehr unangenehm. Das solltest du natürlich nicht merken.“

Christiane hatte Recht. Der Alte hatte nur kurz den Kopf geschüttelt und dann seine Worte wie Pfeile abgeschossen. Sie spürte, dass ihr Atem vor Erleichterung wieder freier ging.

„Danke. Du hast mir sehr geholfen.“

„Keine Ursache.“

Christiane machte eine kleine Pause und setzte dann leiser, in einem behutsameren Ton hinzu:

„Weiß Rüdiger immer noch nichts von dem Kind?“

Mit einem Mal legte sich ein Druck auf ihre Brust und ihren Kehlkopf. Sie hatte Mühe zu sprechen.

„Der Stand ist unverändert. Wir haben nie darüber geredet.“

Findeltochter - Vaterkind

Подняться наверх