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6 Tiberius Gracchus
ОглавлениеDie fortschreitende Verelendung der besitzlosen Masse bei gleichzeitiger immenser Steigerung des Reichtums der Aristokraten führte zu einer Reformbewegung, einer „Demokratisierungsbewegung“.
Der Volkstribun Tiberius Gracchus versuchte im Jahre 133 ein „Ackergesetz“ zur Begrenzung des Landbesitzes und Zuweisung von staatseigenem „Gemeindeland“, ager publicus, an die Besitzlosen durchzubringen. Niemand sollte mehr als ein gewisses Quantum an Staatsland besitzen dürfen; wer mehr besaß, sollte diesen Überhang abgeben; das frei werdende Land sollte dann an Neusiedler verteilt werden. Zwar kam das Gesetz durch, seine Umsetzung scheiterte jedoch an den „Realverhältnissen“, der „reaktionären“ Obstruktion der Besitzenden; Tiberius wurde mit vielen seiner Anhängern auf dem Kapitol erschlagen, die Leichen warf man in den Tiber. Ähnlich erging es einige Jahre später seinem Bruder Gaius.
Der griechische Historiker und Philosoph PLUTARCH zitiert aus einer hochberühmten Rede des Tiberius Gracchus vor dem Volk; eine Fahrt durch die Toskana habe dem Reformer die Landflucht der Bauern vor Augen geführt, er habe nur Felder gesehen, die von Sklaven aus dem Ausland bestellt wurden, die für Großgrundbesitzer arbeiteten; das sei für ihn ein Schlüsselerlebnis und ein Antrieb zu politischer Initiative gewesen:
Jedes Tier in den Wäldern Italiens hat einen Schlupfwinkel oder eine Lagerstätte, doch die Menschen, die für Italien kämpfen und sterben, haben nur Luft und Sonnenlicht, nichts anderes. Sie irren ohne Haus und Heim mit Frau und Kindern umher, die Feldherren aber belügen ihre Soldaten in der Schlacht, wenn sie sie mit den Worten anspornen, sie kämpften für die Gräber der Vorfahren und ihre Hausaltäre gegen die Feinde. Denn keiner der Kämpfenden hat einen Hausaltar oder ein Ahnenbild, sondern sie kämpfen und sterben für den Luxus und den Reichtum Anderer; man nennt Euch die Herren der Welt, aber Ihr habt keine Scholle, die Ihr euer Eigen nennt.
Angesichts dieser desolaten Zustände im Sozial- und Besitzgefüge bilden sich in dieser Zeit politische Parteien heraus (partes), auf der einen Seite die Senatspartei, die sich selbstbewusst Partei der optimates nennt und natürlich die alte Ordnung bewahren will, „Ackergesetz“ bleibt für sie bis zum Ende der Republik ein rotes Tuch, auf der anderen Seite die Volkspartei, die populares, die „Männer des Volkes“; bei deren Protagonisten geht es aber oft nicht etwa um „demokratische Sozialreformen“, sondern vorrangig um die Durchsetzung eigener Machtinteressen (Musterbeispiel: Caesar).
Der Todestag des Tiberius Gracchus ist gleichsam ein „schwarzer“ Tag für Rom; das folgende Jahrhundert, in das Cicero hineingeboren wird und in dem er eine bedeutende Rolle in Rom spielt, ist geprägt vom blutigen innenpolitischen Kampf. Man nennt diese 100 Jahre auch das „Jahrhundert der Revolution“, das mit der „Machtergreifung“ Octavians, des späteren Kaisers Augustus, endet, was das Ende der römischen Republik bedeutet, deren Rettung durch Ausgleich der Standesinteressen (concordia ordinum bzw. später concordia omnium bonorum, s.u.) Cicero sich zum politischen Lebensziel gemacht hatte. Dieses Jahrhundert der Bürgerkriege gleicht nach Ciceros Worten einem nicht enden wollenden Teufelskreis der Gewalt, in dem Gewalt stets neue Gegengewalt generiere. Im Laufe dieses Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass diese spezifische Form von „Republik“, die keine Demokratie war, sondern eine „timokratisch-plutokratische Oligarchie“, d.h. wo nur sozialer Status und Reichtum zählte, wo „Eifersüchteleien herrschten, ehrgeizige Rivalität zwischen Familien und Einzelnen, wobei jedes Mittel erlaubt scheint“ (KROLL), eine effiziente Lenkung des immer weiter wachsenden Imperiums unmöglich zu machen schien. Wie schon MONTESQUIEU 1734 feststellte, ging die römische Republik an ihrer eigenen Größe zugrunde.