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II Das soziale Geburtstrauma 1 Quellen zu Ciceros Leben. Die Briefe

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Neben Ciceros Schriften selbst sind die drei wichtigsten Quellen zu seinem Leben in griechischer Sprache verfasst und stammen aus nachchristlicher Zeit: erstens PLUTARCHS Cicero-Biographie, zweitens APPIAN mit seiner Römischen Geschichte sowie drittens CASSIUS DIO, dessen Hauptwerk ebenfalls Römische Geschichte heißt.

Ciceros Gesamtwerk spiegelt in einer für die römische Literatur einmaligen Weise die Zeit und das Leben seines Verfassers. Allein seine Briefe, die in der Renaissance von PETRARCA und SALUTATI wiederentdeckt wurden, ermöglichen es uns, den Menschen Cicero so intensiv wie niemanden in der Antike kennenzulernen; sie geben uns einen unmittelbaren Einblick in die politischen Strömungen und Geschehnisse der ausgehenden römischen Republik.

Die Briefe Ciceros umfassen zwei kleine und zwei große Gruppen; von den kleinen beinhaltet die eine die Briefe an seinen Bruder Quintus, die andere den Briefwechsel mit Brutus, dem Caesarmörder; die eine der großen Gruppen bilden die Briefe an seinen Freund und Verleger Atticus, die andere erhielt in der Moderne den Namen Ad familiares. Bei dem Wort familiaris ist vor scheinbarer Vertrautheit zu warnen: Es ist ein gutes Beispiel für die semantische Entwicklung und Verschiebung von Wörtern. Familia bedeutete zunächst „Gesinde“, „Dienerschaft“, daher auch der famulus – „Diener“; familia bedeutet nicht exakt das, was wir unter Familie verstehen (Vater, Mutter, Kind …), dafür gebraucht der Lateiner eher z.B. domus; vielmehr umfasst das lateinische familia alle zum Haus gehörenden Personen und Sachen, inklusive Diener und Klienten; daher bedeutet familia auch „Habe“.

„Erst nach Auflösung der institutionellen Einheit des Hauses durch die Trennung von Produktions- und Kosumptionssphäre in der bürgerlichen Gesellschaft entstehen Phänomen, Begriff und Theorie der modernen Familie. In diesem Prozess wird das ältere deutsche ‚Weib und Kind’ durch das Fremdwort ‚Familie’ ersetzt“ (FRESE); dementsprechend bedeutet das Adjektiv familiaris zunächst „zur Dienerschaft gehörig“, dann „bekannt“, „befreundet“, substantiviert „Bekannter“, „Freund“. Ciceros Briefsammlung Ad familiares enthält somit Briefe an Politiker, persönliche Bekannte, Freunde und Familienmitglieder. Eine frühe Würdigung der Briefe finden wir bei NEPOS in seiner Atticus-Biographie:

1 1 Quamquam eum praecipue dilexit Cicero, ut ne frater quidem ei Quintus carior

2 2 fuerit aut familiarior. Ei rei sunt indicio praeter eos libros, in quibus de eo facit

3 3 mentionem, qui in vulgus sunt editi, sedecim volumina epistularum ab consulatu

4 4 eius usque ad extremum tempus ad Atticum missarum: quae qui legat, non mul-

5 5 tum desideret historiam contextam eorum temporum. Sic enim omnia de studiis

6 6 principum, vitiis ducum, mutationibus rei publicae perspecta sunt, ut nihil in iis

7 7 non appareat.

1 Z. 1 quamquam – hier Einleitung eines selbständigen Satzes i. S.v. „doch“, „jedoch“

2 1 eum – d.h. Atticus; Cicero und Atticus hatten völlig divergierende Lebensausrichtungen, was Cicero in einem Brief an ihn so skizziert: Neque ego inter me atque te quidquam interesse\umquam duxi praeter voluntatem institutae vitae: quod me ambitio quaedam ad honorum Studium, te autem alia minime reprehendenda ratio ad honestum otium duxit; Atticus war nämlich Epikureer (s.u.).

3 1 ne … quidem – nicht einmal

4 2 rei … indicio – doppelter Dativ

5 3 in vulgus editi – in vulgus edere: veröffentlichen

6 3 ab consulatu – 63 v. Chr.

7 4 quae – relativischer Satzanschluss

8 5 desideret – Konj. Präs. als Potentialis, ebenso legat

9 6 principum – substantiviertes Adjektiv

10 6f. ut … appareat – ut + Konj., hier in konsekutiver Sinnrichtung

Der NEPOS-Text unterscheidet also zwischen den – erst posthum edierten – privaten Briefen und den veröffentlichten Büchern; diese gliedert man in drei Hauptgruppen, erstens Reden, zweitens philosophische Schriften, drittens rhetorische Schriften. Doch sollte man das Werk nicht streng in Fachgebiete sezieren, denn „die Reden, die philosophischen Schriften und die rhetorischen Schriften erwachsen aus dem Lebensganzen. (…). Man sollte den Politiker, den Philosophen und den Theoretiker der Rhetorik als Einheit betrachten“ (BÜCHNER).

Nicht nur bei den Reden, sondern auch bei den philosophisch-rhetorischen Schriften ist im Falle Ciceros die Berücksichtigung der historischen Umstände ihrer Entstehung für eine angemessene Würdigung unerlässlich.

Mit Cicero zum Latinum

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