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2 Die erste causa publica: Pro Sexto Roscio

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In diese Zeit der Diktatur Sullas fällt der erste Auftritt Ciceros in einer causa publica, d.h. einem Kriminalprozess im Jahre 80 v. Chr. Ein Jahr zuvor hatte er seinen ersten Auftritt vor Gericht überhaupt, in einem Zivilrechtsfall (causa privata), mit der Rede Pro Quinctio. Der übliche Ort für Gerichtsprozesse war das comitium (s.o.), ein öffentlicher Platz in der Nähe des Senatsgebäudes, der curia; außerdem standen zu Ciceros Zeiten vor der Erneuerung des Forums durch Caesar und Augustus vier repräsentative, mehrschiffige große Bauten am Forum für Gerichtsprozesse zur Verfügung. Solche Großbauten hießen basilica, „Königshalle“, ein aus den Zentren der hellenistischen Reiche des Ostens übernommener Bautypus. „Basilika“ hat also ursprünglich nichts mit „Kirche“ zu tun, vielmehr nutzten die Christen mitunter diese alten Großbauten für ihre Zusammenkünfte, im Laufe der Zeit konnotierte man sie mit Kirche. Auf dem comitium leiteten die Prätoren, auf ihrer sella curulis sitzend, vom tribunal herab, einer erhöhten Bühne, unter freiem Himmel die Prozesse (POHLAND). Die große Rednertribüne, die rostra auf dem Forum Romanum, von der weiter unten die Rede sein wird, die curia und eben das comitium bilden „eine architektonische Einheit, die für die Besucher des Forums in republikanischer Zeit die politische Ordnung der republikanischen Gesellschaft widerspiegelt“ (KISSEL). Das comitium war der locus iustitiae, vis-à-vis waren daher auch die berühmten duodecim tabulae, die Jahrhunderte alte Rechtskodifikation, aufgestellt.

Zurück zu Ciceros Kriminalprozess; zu diesem berichtet PLUTARCH in seiner Cicero-Biographie, Chrysogonus, ein Günstling des Diktators, habe in einer Scheinversteigerung die stattlichen Güter eines Proskriptionsopfers (Vermögen war ein häufiger Ächtungsgrund) zu einem Spottpreis „erworben“, worüber der Sohn des Opfers, Sextus Roscius, der rechtmäßige Erbe, sich beklagt habe; das habe den Unmut des Diktators erregt.

Dieser habe dann über seinen Günstling, der einen Strohmann als offiziellen Ankläger vorschob, den Sohn des Vatermordes angeklagt, woraufhin kein Anwalt es angesichts der Unberechenbarkeit des Diktators gewagt habe, die Verteidigung des jungen Mannes zu übernehmen.

Nur der junge Cicero habe das Risiko auf sich genommen, wobei er einen Spagat hinbekommen musste: einerseits bloß nicht den Diktator zu reizen – Cicero nennt ihn hier deshalb „Retter des Staates“ –, andererseits überzeugend und mit Nachdruck die Perfidie des Chrysogonus aufzuzeigen. Die hier präsentierte Exposition (1ff.) dieser Rede lässt die Lähmung in Rom angesichts der Diktatur erahnen.

1 1 Credo ego vos, iudices, mirari, quid sit, quod, cum tot summi oratores homines-

2 2 que nobilissimi sedeant, ego potissimum surrexerim, is qui neque aetate neque

3 3 ingenio neque auctoritate sim cum his, qui sedeant, comparandus. Omnes hi,

4 4 quos videtis adesse in hac causa, iniuriam novo scelere conflatam putant oportere

5 5 defendi, defendere ipsi propter iniquitatem temporum non audent. Ita fit, ut ad-

6 6 sint propterea, quod officium sequuntur, taceant autem idcirco, quia periculum

7 7 vitant.

8 8 Quid ergo? Audacissimus ego ex omnibus? Minime. An tanto officiosior quam

9 9 ceteri?

10 10 Ne istius quidem laudis ita sum cupidus, ut aliis eam praereptam velim. Quae me

11 11 igitur res praeter ceteros impulit, ut causam Sex. Roscii reciperem? Quia, si qui

12 12 istorum dixisset, quos videtis adesse, in quibus summa auctoritas est atque am-

13 13 plitudo, si verbum de re publica fecisset, id quod in hac causa fieri necesse est,

14 14 multo plura dixisse, quam dixisset, putaretur. Ego autem si omnia, quae dicenda

15 15 sunt, libere dixero, nequaquam tamen similiter oratio mea exire atque in volgus

16 16 emanare poterit. Deinde quod ceterorum neque dictum obscurum potest esse

17 17 propter nobilitatem et amplitudinem neque temere dicto concedi propter aeta-

18 18 tem et prudentiam. Ego si quid liberius dixero, vel occultum esse, propterea quod

19 19 nondum ad rem publicam accessi, vel ignosci adulescentiae meae poterit.

1 Z. 1ff. Gleich dieser erste Satz des ersten großen Auftritts Ciceros ist ein schulmäßiges Beispiel für eine klassische Satzperiode; derartige abgezirkelte hypotaktische Gefüge sind ein Wesensmerkmal der „goldenen Latinität“, für die Cicero steht, er ist der Meister der Kunst des lateinischen Periodenbaus. Nach der von STEINTHAL eingeführten Schachtelmethode bzw. Einrückmethode graphisch dargestellt, ist diese Periode, deren Tendenz „fallend“ ist, folgendermaßen aufgebaut:Credo ego vos, iudices, mirari, quid sit, quod, cum tot summi oratores hominesque nobilissimi sedeant, ego potissimum surrexerim, is qui neque aetate neque ingenio neque auctoritate sim cum his, qui sedeant, comparandus.

2 1 mirari – Infinitiv des ACI; sit – Konjunktiv, da indirekter Fragesatz

3 1 quid sit, quod – etwa: was der Grund dafür ist, dass …

4 2 sedeant – cum + Konj. hier mit adversativ-konzessiver Sinnrichtung

5 3 sim – konjunktivischer Relativsatz, ebenfalls mit konzessiver Sinnrichtung

6 3 comparandus – Gerundivum als Prädikatsnomen („nicht verglichen werden kann“)

7 4 quos videtis adesse – sog. relativische Satzverschränkung (ACI im Relativsatz), so auch in Z. 12

8 4 conflatam – hier im Sinne von „aushecken“

9 5 ita fit, ut – so kommt es, dass …(→ fieri)

10 8 tanto officiosior – tanto: abl. mensurae zum Komparativ officiosior: um so …

11 10 laudis – gen. obiectivus, abhängig von cupidus: begierig nach …

12 11 qui – hier: Indefinitpronomen, da enklitisch an si angehängt

13 12 dixisset – Irrealis der Vergangenheit

14 14 putaretur – Irrealis der Gegenwart, Ausgangspunkt eines NCI (dixisse)

15 14 dicenda – Gerundivum als Prädikatsnomen

16 18 quid – wie qui in Z. 11: hier Indefinitpronomen, wieder wegen des „Stützwortes“ si.

17 18 liberius – hier: Adverb des Komparativs

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